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Organhandel-Vorwurf im Kosovo – Hat die Bundeswehr damals weggeschaut?

Ein Beitrag von Franz Feyder und Peter Hornung in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderation):
Ende vergangenen Jahres hat der Schweizer Abgeordnete des Europarats, Dick Marty, schwere Vorwürfe gegen Führer der ehemaligen kosovarischen Befreiungsarmee UCK erhoben. Sie sollen kurz nach dem Kosovokrieg 1999 serbische Gefangene nach Albanien verschleppt haben, um ihnen dort Organe zu entnehmen. Diese sollen anschließend auf dem Schwarzmarkt verkauft worden sein. Die Regierung im Kosovo weist diese Anschuldigungen allerdings entschieden zurück.
Nach Ende des Luftkrieges wurde das Kosovo von der NATO-geführten KFOR-Truppe kontrolliert. Auch die Bundeswehr stellte Soldaten. Hat die Truppe etwas von solchen Machenschaften mitbekommen? NDR Info liegt nun ein vertrauliches UN-Dokument vor. Franz Feyder und Peter Hornung berichten:


Manuskript Franz Feyder/Peter Hornung

„Zeuge B“ nennen die Ermittler den Mann, der aus dem Südwesten des Kosovo stammte. Er war Ende 1998 zur UCK gestoßen. Im Sommer darauf bekam er den Befehl, einen heiklen Transport durchzuführen. Ein Ermittler der UN-Mission im Kosovo schreibt in einem vertraulichen Bericht, was der Mann ihm schilderte. Der Zeuge beschreibt eine Fahrt durch die Region Anfang Juli 1999, wenige Wochen nach dem Einmarsch der NATO-Truppen.

Zitat UNO-Ermittler über Zeuge B aus UNMIK-Dokument
„Sie fuhren nach Talinovci und noch einmal hundert Meter nach Norden und kamen zu einem Haus, in dessen Keller fünf Serben von der UCK festgehalten wurden. Er sah zwei ältere Männer in den Sechzigern, und zwei jüngere Männer, die vielleicht Ende zwanzig oder Anfang dreißig waren. Sie waren sehr schmutzig und hatten Blutergüsse am Kopf. Einer trug ein jugoslawisches Armeehemd. Auch eine Frau Ende fünfzig war da. Der dritte Mann beschimpfte sie, schrie, die Serben würden nun bezahlen für alles, was sie den Albanern angetan hätten. Er griff sich einen der älteren Männer und fragte nach seinem Sohn. Der ältere Mann schwieg, und da schlug ihn der Albaner mit der Faust, der Serbe fiel hin. Dann schaute er die jüngeren Serben genauer an und führte sie hinaus. Er verpasste ihnen Handschellen und brachte sie zum Wagen. Dann fuhren die Drei zurück nach Suva Reka und blieben dort über Nacht.“

Die zwei jungen nahm man mit. In einem VW-Bus ging es zunächst nach Prizren, der Stadt, in der seit Ende des Krieges das Kosovo-Kontingent der Bundeswehr sein Hauptquartier hatte. Fünf weitere Gefangene kamen dazu, vier davon angebliche „Verräter“ aus dem eigenen Volk. Jetzt fuhr man Richtung Albanien. Zitat UNO-Ermittler über Zeuge B aus UNMIK-Dokument:

Zitat UNO-Ermittler über Zeuge B aus UNMIK-Dokument
„Es waren vier Albaner und drei Serben hinten im Kleinbus. Sie klebten ihnen Band über den Mund, sie trugen ja schon Handschellen, und ihnen wurde befohlen, still zu sein, sonst würde sie auf der Stelle erschossen. Sie passierten die Grenze ohne Probleme. Sie hupten den Deutschen zu. Das war alles.“

Am Grenzübergang Morina standen Bundeswehr-Soldaten. Sie hatten den Auftrag, die Grenze zu Albanien zu überwachen. In einer schriftlichen Antwort des Bundesverteidigungsministeriums auf eine Anfrage von NDR Info heißt es:

Zitat Antwort BMVg
„Es wurden dabei auch stichprobenartige Kontrollen durchgeführt. UCK-Kämpfern war ab 21. Juni 1999 der Grenzübertritt verboten. Über Zwischenfälle am Grenzübergang Morina ist nichts bekannt.“

Doch die deutschen Soldaten waren offenbar kein Hindernis für diesen und andere Transporte der UCK. Was die Gefangenen in Albanien erwartete, hat der Schweizer Ständerat Dick Marty in einem vergangenen Dezember veröffentlichten Bericht im Auftrag des Europarats niedergeschrieben. Es gebe, so Marty, „zahlreiche konkrete und übereinstimmende Hinweise darauf“, dass diese Gefangenen mit zahlreichen anderen in den Jahren 1999 und 2000 „einfach verschwunden seien“. Marty – der sich zurzeit nicht mehr vor dem Mikrofon äußern will - spricht von Hinweisen auf planmäßige Erschießungen, anschließend habe man den Opfern die Nieren entfernt und binnen Stunden ins Ausland gebracht. In Serbien selbst seit langem ein Thema, im dortigen Fernsehen berichteten Kosovo-Serben über verschwundene Angehörige:

O-Ton Serbisches Fernsehen
Sein Vater sei wohl entführt worden, so dieser Mann, vom Zigarettenholen sei er nicht mehr zurückgekehrt.

Dass die UCK Gefangene nahm und illegale Gefängnisse betrieb, wusste man auch beim deutschen KFOR-Kontingent – schließlich hatte man eines bei der Einnahme des früheren Polizeipräsidiums in Prizren entdeckt – wenige Tage nach Ende des Krieges. Wenn man etwas gehört habe, habe man auch ermittelt, sagt das Verteidigungsministerium:

Zitat Antwort BMVg
„Den Hinweisen auf illegale Gefängnisse oder Entführungen wurde im Rahmen des Möglichen nachgegangen. Konkrete Hinweise auf Deportationen von Serben und Roma nach Albanien oder in sonstige Nachbarländer des Kosovo lagen ebenso wenig vor wie konkrete Hinweise auf angeblichen Organhandel.“

Das UN-Dokument mit den schockierenden Zeugenaussagen war bisher nur in Ausschnitten bekannt – durch die nun aufgetauchte Originalfassung aber lässt sich nachvollziehen, dass Gefangene im Bundeswehrsektor festgehalten worden waren. Mehr noch: Die Deportationen geschahen praktisch unter den Augen des deutschen KFOR-Kontingents. Haben die Bundeswehrsoldaten nicht genau hingeschaut in dieser Zeit? Tatsächlich habe es oft eine große Nähe zur UCK gegeben, sagt Peter Matthiesen, damals als Oberstleutnant und auch im Kosovo eingesetzt:

O-Ton Matthiesen
„Die einzigen Ansprechpartner, die in der inneren Sicherheit noch etwas bewegen konnten, waren die Kommandeure der UCK. Zu diesen entwickelte sich ein Vertrauensverhältnis. Und zum Teil entwickelten sich fast Freundschaften zwischen den militärischen Führern und den in der Region zuständigen UCK-Kommandeuren.“

Die eingesetzten Bundeswehr-Offiziere hätten sich in einem Dilemma befunden – auf der einen Seite sei es notwendig gewesen, enge Kontakte zur UCK zu knüpfen. Auf der anderen Seite habe man dann aber von angeblichen Verbrechen erfahren. Doch: Erzählt worden sei vieles – nur was war Wahrheit und was Erfindung? Peter Matthiesen:

O-Ton Matthiesen
„Der Balkan lebt von Gerüchten. Es ist oft schwierig zu entscheiden, was daran Wahrheit und was daran Gerücht ist. Und dazu bedarf es Zeit und Erfahrung. Diese Zeit und Erfahrung hat die Truppe in wenigen Monaten aber nicht entwickeln können. Insoweit blieb es sicherlich bei den Gerüchten und der militärische Führer verfolgte ja nun keine innerstaatlichen Ziele, sondern nur das Ziel äußere Sicherheit. Und insoweit ist es kein Wunder, dass bestimmte Dinge, die bekannt wurden, auch nicht verfolgt worden sind.“

Ein anderer hoher Offizier räumt jedoch ein, dass man von den Transporten durchaus gehört habe. Er will anonym bleiben, seine Stimme haben wir nachgesprochen:

Zitat Offizier
„Da gab es auch Hinweise darauf, dass entführte Albaner, Serben, Roma und Bosnier nach Albanien geschafft wurden, wo weitere Gefängnisse existieren sollten. Aber von Morden und Organentnahmen habe ich in dieser Zeit nichts, absolut nichts gehört. Für mich stellte sich die Lage so dar, dass die Entführten zur Zwangsarbeit auf die Territorien der führenden kosovoalbanischen Clans in Albanien geschafft wurden.“

Gestoppt hat die Bundeswehr diese Transporte jedoch nicht. Zeugen berichteten den Vereinten Nationen von weiteren Fahrten nach Albanien, bis zum Frühsommer des Jahres 2000.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 9. April 2011; www.ndrinfo.de


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