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Bush spielt die Kosovo-Karte

USA wollen Unabhängigkeit der serbischen Provinz durchdrücken

Von Hannes Hofbauer, Wien *

Am 19. Dezember soll der UN-Sicherheitsrat den Bericht der aus EU, Russland und den USA bestehenden Troika zum zukünftigen Status von Kosovo behandeln. In Serbien liegen derweil die Nerven blank.

Eine einvernehmliche Lösung wird es in Sachen Kosovo nicht geben. Die Unterstützung einer Unabhängigkeitserklärung gegen die UN-Resolution 1244 würde das Völkerrecht zur Makulatur werden lassen. Vieles deutet genau darauf hin. Eigentlich hätte es über den Status Kosovos nichts zu verhandeln gegeben. Nach dem Rückzug der serbischen Militäreinheiten im Juni 1999 hat die UNO in ihren Resolutionen 1244 (1999) und 1345 (2001) die »Verpflichtung zur Souveränität und territorialen Unversehrtheit Jugoslawiens« festgeschrieben. Serbien stand als Rechtsnachfolger nie zur Disposition. Es war vor allem der Druck der USA, die zwischenzeitlich nahe Urosevac/Ferizaj in »Camp Bondsteel« ihr größtes Militärlager in Europa aufgebaut hatten, der die Statusfrage Kosovos auf die internationale Tagesordnung setzte.

Beteiligte an diesen Gesprächen meinen »off the records«, dass es reine Scheinverhandlungen gewesen seien. Nachdem das Ahtisaari-Papier für eine von der EU in Kolonialmanier »überwachte Souveränität« Kosovos im Juli 2007 von der UNO nicht approbiert worden war, wurde die sogenannte Troika beauftragt, bis zum 10. Dezember 2007 eine Verhandlungslösung zu finden. Eine solche gab es nicht, am 28. November mussten EU-Verhandlungsleiter Wolfgang Ischinger & Co. in Baden bei Wien die Gespräche abbrechen. Die serbische Suche nach einem Kompromiss, mithin das Angebot an die kosovo-albanische Führung für substanzielle Autonomie inklusive Teilnahme an wirtschaftlichen internationalen Organisationen, scheiterte nicht zuletzt an der zeitlichen Befristung der Gespräche.

Albaner-Vertreter sprachen offen darüber, keinem Kompromiss zustimmen, sondern nur die Unabhängigkeit akzeptieren zu wollen. Nachdem USA-Präsident George Bush anlässlich seines Besuchs ausgerechnet in Tirana im Juni dieses Jahres eine Unterstützung für die einseitige Ausrufung einer kosovarischen Staatlichkeit bekundet hatte, bestand für die Verhandler aus Pristina kein Anlass mehr zu verhandeln. Erstmals in der Geschichte der UNO könnte es dazu kommen, dass einem Mitgliedstaat – Serbien – ein Teil seines Territoriums ohne eigene Zustimmung und jener des Sicherheitsrates weggenommen wird.

Ein solch eklatanter Bruch des Völkerrechts bedeutet nichts weniger als der Anfang vom Ende der größten internationalen Organisation. Der Politik von Slobodan Milosevic würde damit nachträglich Recht gegeben, denn während seiner Amtszeit wurde die »territoriale Integrität« international garantiert, während sie nun, unter geänderten, vermeintlich »demokratischen« Verhältnissen in Serbien missachtet wird. Möglich geworden ist diese unheilvolle internationale Konstellation durch den Druck der USA auf die EU-Staaten.

Glaubt man Diplomaten aus dem Umkreis der Verhandlungen, muss dieser Druck enorm gewesen sein. In informellen Gesprächen war die Stimmung eine völlig andere als vor den Mikrofonen. Die allermeisten EU-Diplomaten wollten den Verhandlungsprozess fortsetzen. Auf Pressebriefings gaben sie allerdings der Überzeugung Ausdruck, der Zug sei abgefahren. Eine Schlüsselrolle nahm dabei die neue französische Regierung ein, die sich transatlantische Bündnistreue auf ihre Fahnen geschrieben hat und mit dem heutigen Außenminister Bernard Kouchner den ersten Kolonialverwalter in Kosovo stellte, in dessen Amtszeit die Vertreibungen der Serben und Roma zum Massenphänomen wurden. Frankreichs Präsident Sarkozy betreibt die Ablösung Großbritanniens als europäische Flanke der USA, womit der »Gaullismus« endgültig der Vergangenheit angehört.

Das Kalkül der USA dürfte ein doppeltes sein: im slawisch-orthodoxen Umfeld auf dem Balkan eine starke und treue albanische Bastion zu errichten und zugleich den Spaltkeil in die Europäische Union zu treiben. Denn mit der bevorstehenden administrativen Übernahme Kosovos durch die EU werden die wirtschaftlich, sozial und ethnisch nicht gelösten Probleme Brüssel und den EU-Mitgliedstaaten aufgebürdet. Viele von ihnen – wie Zypern, Griechenland, Spanien, Rumänien, die Slowakei – stehen einer formalen Unabhängigkeit ablehnend gegenüber.

Die Verweigerung der Anerkennung staatlich-kosovarischer Autorität im nördlichen, serbisch besiedelten Teil der Provinz und ein möglicherweise bevorstehendes Referendum in der bosnischen Republika Srpska zur eigenen Unabhängigkeit könnten nun unmittelbare Konsequenzen der Missachtung der UNO-Resolution 1244 sowie der Umgehung des UN-Sicherheitsrates sein und schwere Krisen zur Folge haben. Angedrohte diplomatische Schritte Belgrads gegen jene Staaten, die Kosovo anerkennen, wären in der Lage, bilateral Beziehungen und die Arbeitsfähigkeit internationaler Organisationen wie der OSZE oder der UNO beträchtlich zu erschweren.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Dezember 2007


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