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Kosovo: Gefährlicher Präzedenzfall

Zum ersten Mal seit Jahren spricht man wieder von einem möglichen Krieg

Von Jean-Arnault Dérens *

Was hatte die serbische Delegation unter der Leitung von Präsident Boris Tadic und Premierminister Vojislav Kostunica für den Kosovo nicht alles vorgeschlagen: Die Modelle reichten von dem eines britischen Überseegebiets (wie die Falklandinseln) über das einer wirtschaftlichen Unabhängigkeit (wie jene von Hongkong gegenüber der Volksrepublik China) bis hin zur autonomen Verwaltung (wie die finnischen Ålandinseln). Doch die kosovo-albanische Delegation lehnte sämtliche Vorschläge ab. Sie interessierte sich einzig für das Datum ihrer Unabhängigkeitserklärung - versicherte jedoch gleichzeitig, dass diese in Absprache mit der «internationalen Gemeinschaft» erfolgen werde.

Jetzt wird die diplomatische Troika aus VertreterInnen der USA, der EU und Russlands dem Uno-Generalsekretär am 10. Dezember ihren Bericht vorlegen. Allerdings wird es sich dabei um kaum mehr als eine Aufzählung der Differenzen zwischen der Regierung der Republik Serbien in Belgrad und der serbischen Teilrepublik Kosovo handeln. Seit Februar 2006 haben die Parteien unter der Vermittlung der Troika um den zukünftigen politischen Status des Kosovo beraten. Ende November ist nun auch die vorerst letzte Verhandlungsrunde gescheitert.

Doch auch in der «internationalen Gemeinschaft« ist äusserst umstritten, was mit dem Kosovo geschehen soll: Wenn der Rat der Europäischen Union am 13. Dezember die Kosovo-Frage debattiert, werden die Meinungsverschiedenheiten der Mitgliedsstaaten offen zutage treten. Denn Britannien und Frankreich, die eine Unabhängigkeit des Kosovo befürworten, verfolgen eine andere Politik als Spanien, die Slowakei, Rumänien, Griechenland und Zypern, die genau dies ablehnen. Andere EU-Staaten wiederum halten sich vorsichtig zurück. Zu ihnen gehören Deutschland, Italien, Österreich sowie Slowenien, das am 1. Januar 2008 die EU-Präsidentschaft übernimmt.

Unterschiedliche Positionen werden auch im Uno-Sicherheitsrat vorgetragen, wenn der am 19. Dezember über die Kosovo-Frage berät. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Russland seine ablehnende Haltung gegenüber einem unabhängigen Kosovo aufgibt. Ent­sprechend gering ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Resolution 1244 des Sicherheitsrats von 1999, die die Grundlage für den Einsatz der Uno-Mission im Kosovo (Unmik) bildet, durch eine neue ersetzt werden könnte. Gleichzeitig endet am 31. Dezember die Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Kosovo. Sie ist ein wichtiger Teil der Unmik, besonders im Bereich der Wahlbeobachtung und der Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte. Eine Verlängerung des seit 2000 jährlich erneuerten OSZE-Mandats setzt die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten voraus, also auch die von Russland und Serbien.

Westliche DiplomatInnen befürchten, dass das kosovarische Parlament bereits am 15. Januar die einseitige Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Die Westmächte werden wohl versuchen, die kosovarische Führung davon zu überzeugen, diese Erklärung zu verschieben. Denn Ende Januar wird der serbische Präsident gewählt. Eine kosovarische Unabhängigkeitserklärung könnte aber die Wiederwahl des gemässigten serbischen Präsidenten Tadic gefährden. Belgrad hat bereits gedroht, die diplomatischen Beziehungen zu jenen Ländern einzuschränken, die einen unabhängigen Kosovo anerkennen.

Sollten die kosovarischen PolitikerInnen tatsächlich den westlichen «Empfehlungen» folgen, droht ihnen Ungemach. Noch spielen radikale Gruppen wie beispielsweise die Nationale Albanische Armee eine Aussenseiterrolle. Doch wenn der politische Prozess in Richtung Unabhängigkeit weiterhin stagniert, könnte die Zahl ihrer Anhänger­Innen steigen. Zusätzlich sorgt sich der Westen auch um die Reaktionen der serbischen Bevölkerung im Norden des Kosovo. Diese würde eine Unabhängigkeitserklärung der ­kosovo-albanischen Regierung im besten Falle als ungültig betrachten - oder sich möglicherweise ihrerseits vom Kosovo abspalten.

Eine Unabhängigkeitserklärung des Kosovo ohne die Rückendeckung des Uno-Sicherheitsrats würde also einen Präzedenzfall schaffen - auch für die angrenzenden Regionen. So kam es in den letzten Wochen im Westen von Mazedonien, in dem viele Albaner­Innen leben, immer wieder zu Zusammenstössen zwischen der Polizei und bewaffneten Gruppen. Auch im nördlichen Nachbarn Bosnien-Herzegowina droht die Führung der serbisch dominierten Republik Srpska seit Jahren mit einem Referendum für «Selbstbestimmung».

Entscheidend ist die Haltung der Europäischen Union. Doch deren Mitglieder sind heute hinsichtlich des Kosovo so gespalten wie selten zuvor. Das erinnert fatal an die Uneinigkeit Anfang der neunziger Jahre. 1991 fiel Jugoslawien auseinander, nachdem sich verschiedene Teilrepubliken für unabhängig erklärt hatten. Die Folgen der damaligen Differenzen zwischen den EU-Staaten sind bekannt.

* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 6. Dezember 2007


Im Gespräch

Wie souverän wird ein unabhängiges Kosovo sein, Herr Mutz? **



FREITAG: Ein letzter Verhandlungsversuch zwischen Kosovo-Albanern und Serben ist gescheitert - was kann jetzt die Gründung eines Staates Kosovo noch aufhalten?

REINHARD MUTZ: Die politische Vernunft der Europäer etwa. Der UN-Generalsekretär hat um einen Bericht gebeten. Andere Terminzwänge existieren nicht. Vor allem besteht keine Notwendigkeit, einen unausgegorenen Plan kopflos umzusetzen. Das Kosovo würde auf absehbare Zukunft dasselbe sein wie heute auch - ein Staatsfragment unter internationaler Aufsicht, ein Protektorat. Nur der Protektor hätte gewechselt, von der UNO zur EU. Muss man dafür Belgrad ignorieren, Moskau brüskieren und den Sicherheitsrat links liegen lassen?

Billigt die so genannte Staatengemeinschaft demnächst auch eine Unabhängigkeitserklärung der Repulika Srspka in Bosnien?

Wohl kaum. Aber schon, dass solche Frage jetzt massiv auftauchen, macht deutlich, wie widersprüchlich die internationale Balkanpolitik aussieht. Immer hat der Westen beteuert, keiner ethnischen Homogenisierung Vorschub zu leisten. Genau das unternimmt er nun. Wie souverän wird dieses unabhängige Kosovo denn sein? Souverän genug, um die Vereinigung mit dem souveränen Albanien anzustreben? Mit politischen Tretminen solchen Kalibers ist die Region nur so gepflastert.

Hat es seit 1999, als das Kosovo unter UN-Verwaltung kam, je eine andere Möglichkeit gegeben als die jetzt erwartete?

Die Frage habe ich schon einmal gestellt bekommen, ein knappes Jahr nach dem Kosovo-Krieg. Damals war meine Vermutung, "dass die unter dem humanitären Banner der Menschenrechte geführte Intervention letztendlich dasselbe Ergebnis zeitigen wird wie Hunderte ordinärer Kriege zuvor: Der Sieger beziehungsweise der Schützling des Siegers erhält, was der Verlierer abtreten muss". So ganz falsch war die Prognose wohl nicht.

Überkommt Sie nicht ein flaues Gefühl, wenn eine dem Völkerrecht widersprechende Statsgründung erfolgt, die Resultat eienr völkerrechtswidrigen NATO-Invasion ist?

Robin Cook, dem früheren britischen Außenminister, wird nachgesagt, er habe sich 1999 besorgt gezeigt, weil seine Juristen die Luftschläge gegen Belgrad für unvereinbar mit der UN-Charta hielten. Die Antwort seiner Amtskollegin Madeleine Albright: Dann braucht ihr eben andere Völkerrechtler.

Das Gespräch führte Lutz Herden

** Reinhard Mutz war bis 2006 kommissarischer Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg.

Aus: Freitag 49, 7. Dezember 2007





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