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Kosovo-Albaner wollen Unabhängigkeit ausrufen

Nach den Parlamentswahlen in der serbischen Provinz: Früherer UCK-Kämpfer Hashim Thaci erklärt sich zum Sieger

Zunächst informieren wir über das - vorläufige - Ergebnis der am 17. November abgehaltenen Wahlen in der serbischen Provinz Kosovo. Im Anschluss dokumentieren wir einen Artikel, der vor der Wahl veröffentlicht wurde.



Nach Thacis Sieg droht die einseitige Unabhängigkeitserklärung

Der frühere Anführer der albanischen Untergrundarmee UCK, Hashim Thaci, hat seine Demokratische Partei Kosovos (PDK) zum Sieger der Parlamentswahlen in der abtrünnigen südserbischen Provinz erklärt. Vor jubelnden Anhängern sprach Thaci in der Nacht zum 18. November in Pristina von einem "historischen Tag" für die Provinz, die er als künftiger Chef einer Koalitionsregierung binnen Wochen in die Unabhängigkeit von Serbien führen wolle.

Nach inoffiziellen Ergebnissen, die auf der Auszählung von mehr als der Hälfte der Wahlzettel beruhten, erhielt Thacis oppositionelle PDK 35 Prozent der Stimmen. Zweitstärkste Kraft wurde den Angaben der unabhängigen Wahlbeobachterorganisation "Democracy in Action" zufolge mit 22 Prozent die Demokratische Liga Kosovos (LDK) des im vergangenen Jahr gestorbenen Präsidenten Ibrahim Rugova. An dritter Stelle liegt mit 12 Prozent die Allianz Neues Kosovo (AKR). Alle albanischen Parteien im Kosovo befürworten eine Loslösung von Serbien und die baldige Unabhängigkeit.

Die rund 100.000 Serben (davon rund 40.000 stimmberechtigt) im Kosovo blieben dem Urnengang weitgehend fern. Sie wollten den "vorläufigen" Institutionen des Kosovo keine "Legitimation" verschaffen, sagte ein Sprecher der Partei des serbischen Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica.

Der Leiter der OSZE-Mission im Kosovo, Tim Guldimann, zeigte sich zufrieden mit dem Wahlverlauf. Größere Zwischenfälle wurden nicht bekannt. Die rund 40.000 stimmberechtigten Serben in der Provinz hatte die Wahlen fast durchweg boykottiert; damit entsprachen sie einer Empfehlung der serbischen Regierung.

"Wir werden die Unabhängigkeit unmittelbar nach dem 10. Dezember ausrufen", sagte Thaci in der Wahlnacht. Am 10. Dezember will die sogenannte Vermittlungstroika aus Vertretern Russlands, der EU und der USA UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ein Ergebnis ihrer monatelangen Bemühungen um eine Einigung im Streit um den künftigen Status des Kosovos vorlegen. Bisher haben Albaner und Serben in der Frage keinerlei Annäherung erzielt.

Nach Angaben der Zentralen Wahlkommission in Pristina beteiligten sich an den Wahlen am Samstag nur zwischen 40 und 45 Prozent der rund 1,5 Millionen Stimmberechtigten. Das war die niedrigste Wahlbeteiligung seit 1999, als Serbien die Kontrolle der Provinz den Vereinten Nationen und den Nato-Truppen überlassen musste.

Wer ist Hashim Thaci?

Der am 24. April 1968 im Dorf Buroje im traditionell unruhigen Gebiet im Drenica-Tal (westlich der Kosovo-Hauptstadt Pristina) geborene Thaci studierte an der Universität von Pristina Geschichte. Nach Aufhebung der Autonomie Kosovos 1989/1990 durch den damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic war er in der Unabhängigen albanischen Studentenunion aktiv und verließ 1992 die Heimat. An der Universität Zürich studierte er Internationales Recht und südosteuropäische Geschichte.

In der Schweiz wurde er 1993 einer der Gründer der UCK. Nach seiner militärischen Ausbildung in Albanien kehrte er ins Kosovo zurück, wo er den Kampfnamen «Gjarperi» (die Schlange) bekam. Im Juli 1997 wurde er von einem serbischen Gericht wegen Terrorismus und Beteiligung an mehreren Morden zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Bei den gescheiterten Verhandlungen zur Lösung der Kosovo-Krise leitete er im Februar/März 1999 im französischen Rambouillet die Albanerdelegation.

Nach den NATO-Luftangriffen und dem Rückzug der serbischen Sicherheitskräfte im Juni 1999 war Thaci mehrere Monate der erste Regierungschef in der nun von der Vereinten Nationen verwalteten Provinz. Seine im Oktober des gleichen Jahres gegründete Demokratische Partei Kosovos (PDK) gilt als die Nachfolgeorganisation der politischen Strukturen der UCK. Thaci ist verheiratet, hat einen Sohn und spricht Englisch und Deutsch.

Quelle: Agenturmeldungen, 18. November 2007



Kosovo-Albaner kompromisslos

Parlamentswahlen in der Konfliktprovinz

Von Detlef D. Pries *


Mit dem Aufruf »Nicht wählen!« sind etliche Wahlplakate in der südserbischen Provinz Kosovo überschrieben, deren Bewohner am heutigen Sonnabend über die Zusammensetzung des Parlaments und der Gemeindevertretungen bestimmen sollen.

Der Aufruf gilt nicht den rund 100 000 Serben in Kosovo. Deren große Mehrheit wird die Wahl ohnehin boykottieren – wie die Albaner seit Jahren alle serbischen Wahlen ignorieren. Nein, auch die Albaner sollen die Stimmabgabe verweigern. Das fordert die radikale Bewegung »Vetëvendosje« (Selbstbestimmung), denn nicht Wahlen gehörten auf die Tagesordnung, sondern ein Referendum über die Unabhängigkeit. Die seit 1999 andauernde »Kolonialherrschaft« der UN-Mission in Kosovo (UNMIK) müsse ein Ende haben.

Das meinen zwar auch die Parteien, die sich zur Wahl stellen, doch die setzen darauf, dass sie Kosovos Unabhängigkeit eben mit Hilfe ihrer ausländischen Fürsprecher erstreiten. Als deren wichtigster gilt George W. Bush, der im Juni in Albaniens Hauptstadt Tirana verkündete: »Früher oder später muss man sagen: Genug ist genug, Kosovo ist unabhängig.« Veton Surroi, Vorsitzender der Partei Ora, wirbt denn auch mit einem Plakat, das ihn an der Seite des USA-Präsidenten zeigt.

Die Allianz für die Zukunft Kosovos (AAK) verspricht indes: »Mit Ramush als Ministerpräsident schaffen wir es.« Ramush Haradinaj war schon einmal Regierungschef in der Kosovo-Hauptstadt Pristina, derzeit muss er sich allerdings vor dem Haager Jugoslawien-Tribunal schwerer Verbrechensvorwürfe erwehren. Seinen früheren Posten nimmt derzeit Agim Ceku ein, der einer Anklage in Den Haag nur dank mächtiger Paten im Westen entgangen ist.

Die AAK regiert bisher im Bündnis mit der Demokratischen Liga Kosovos (LDK), deren Zugpferd, der ehemalige kosovarische Präsident Ibrahim Rugova, allerdings im Januar 2006 verstorben ist. Vielleicht auch deshalb droht die LDK, lange Zeit stärkste Partei der Provinz, ihre Spitzenstellung einzubüßen. Die unvermeidlichen Umfragen billigen ihr jedenfalls nur 29 Prozent der Stimmen zu, zwei Prozentpunkte weniger als der Demokratischen Partei Kosovos (PDK) unter dem früheren Chef der »Befreiungsarmee« UCK, Hashim Thaci. Auch Thaci sieht sich schon als künftiger Premier und verbreitet Zuversicht: Neben den USA hätten bereits 22 von 27 EU-Staaten zugestimmt, die Unabhängigkeit anzuerkennen. Die soll das neue Parlament – glaubt man dem »Express« aus Pristina – Mitte Januar ausrufen. Offenbar unabhängig vom Ergebnis der Bemühungen jener »Troika« aus Diplomaten der USA, der EU und Russlands, die zwischen Serben und Albanern vermitteln soll.

Ein Erfolg der Vermittlungsbemühungen setzt Kompromissbereitschaft der streitenden Parteien voraus. Während Serbien unter Berufung auf UNO-Resolutionen und Völkerrecht eine staatsrechtliche Abtrennung der Provinz vom »Mutterland« ablehnt, doch zu umfassenden Zugeständnissen hinsichtlich der Selbstbestimmung der Kosovaren bereit ist, bekräftigte Kosovo-Präsident Fatmir Sejdiu dieser Tage: »Wir akzeptieren kein anderes Konzept als die Unabhängigkeit.«

Dabei müssen immer noch 40 Prozent der rund zwei Millionen Kosovaren mit weniger als 1,50 Euro am Tag auskommen. Hohe Arbeitslosigkeit, Korruption und Kriminalität prägen den Alltag, wesentlich stärker als die offiziellen Organe bestimmen Untergrundstrukturen das gesellschaftliche Leben – sofern beide nicht identisch sind. Warum die Unabhängigkeit – und nur sie – daran etwas ändern sollte, das kann niemand den Wählern erklären.

* Aus: Neues Deutschland, 17. November 2007


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