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Hongkong-Lösung für Kosovo?

Verhandlungen zwischen Belgrad und Pristina immer noch in der Sackgasse

Von Marko Winter *

»Ein Staat – zwei Systeme« – die Formel, die China für die Übernahme der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong erfand, könne auch auf Kosovos künftiges Verhältnis zu Serbien angewandt werden. Mit dieser Idee überraschte Serbiens Präsident Boris Tadic kurz vor der vierten Runde der Wiener Kosovo-Verhandlungen.

Unter der Aufsicht der »Troika« aus Vertretern der EU, der USA und Russlands verhandeln Belgrad und Pristina am heutigen Montag ein weiteres Mal über den künftigen Status der südserbischen Provinz Kosovo. Die Troika soll dem UNO-Generalsekretär am 10. Dezember ihren Bericht über die Ergebnisse vorlegen.

Die Verhandlungen waren angesetzt worden, nachdem der Plan des ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari, der Kosovo eine »bedingte Unabhängigkeit« zugestehen wollte, am Widerstand Russlands und Serbiens gescheitert war. Belgrad und Moskau sahen darin einen ersten Erfolg ihres Beharrens auf der Einhaltung des Völkerrechts und der UN-Resolution 1244/99, die Kosovos Zugehörigkeit zu Serbien (damals zu Jugoslawien) bestätigt hatte. Vor allem die USA, aber auch die Mehrheit der EU-Staaten ließen indes keinen Zweifel daran, dass die bewusst auf 120 Tage befristeten Verhandlungen ergebnislos verlaufen würden. Mehr oder weniger offen sicherten sie der kosovo-albanischen Führung für diesen Fall die Anerkennung einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung zu. Damit war die Aufgabe der drei Vermittler – der Deutsche Wolfgang Ischinger für die EU, Frank Wisner für die USA und Alexander Bozan-Chartschenko für Russland – zusätzlich erschwert.

Belgrad war von Anfang an bereit, Kosovo weitestgehende Autonomie zu gewähren – aber eben auf der Grundlage des Völkerrechts, der UN-Charta, der KSZE-Schlussakte und vor allem der Resolution 1244. Einen zweiten Staat auf serbischem Territorium dürfe es nicht geben. Die Führung in Pristina dagegen bestand darauf, nur über die zukünftigen Beziehungen zwischen den »unabhängigen Staaten Serbien und Kosovo« zu verhandeln. Zwar verwies Ischinger wiederholt auf die sachliche Atmosphäre bei den Gesprächen, doch letztlich blieben die ersten drei Runden ergebnislos. Auch ein von der Troika zur dritten Runde eingebrachter 14-Punkte-Plan änderte daran nichts. Der Plan enthält das Wort »Unabhängigkeit« nicht, lässt aber auch die Resolution 1244 unerwähnt. Daraufhin legte Serbien seinerseits 14 Punkte vor, die auf dieser Resolution aufbauen. Die Kosovo-Führung dagegen will jene Punkte des Troika-Plans gestrichen sehen, die eine Einschränkung der Souveränität Kosovos bedeuten könnten.

Zur vierten Verhandlungsrunde reisen aus Belgrad Präsident Boris Tadic und Ministerpräsident Vojislav Kostunica an. In den ersten drei Runden war Serbien von Außenminister Vuk Jeremic und dem Minister für Kosovo-Fragen Slobodan Samardzic vertreten worden. Wie Tadics »Hongkong- Idee« verrät, wird auch diesmal wieder um den Status Kosovos gestritten werden, zugleich aber dürfte die Frage behandelt werden, wie es nach dem 10. Dezember weiter gehen soll. Serbien und Russland fordern nachdrücklich, dass die Verhandlungen bis zu einer für beide Seiten akzeptablen Lösung fortgeführt werden. Die von Pristina angekündigte einseitige Unabhängigkeitserklärung dürfe keine Anerkennung finden, denn nicht nur das Ansehen der UNO nähme dadurch schweren Schaden, auch die Lage in der Region würde destabilisiert. Anzeichen dafür gibt es bereits in Bosnien und Herzegowina, in Mazedonien und auch im südserbischen Presevo-Tal, in dem mehrheitlich Albaner leben. In Kosovo selbst ist mit erheblichen Unruhen zu rechnen, und selbst bewaffnete Auseinandersetzungen wie im März 2004 sind nicht auszuschließen. Die »Albanische Befreiungsarmee« (ANA), 2003 von der UNO zur terroristischen Organisation erklärt, ist bereits wieder aktiv, ohne dass die UN-Mission in Kosovo (UNMIK) und die NATO-geführte KFOR-Truppe energische dagegen vorgehen.

Die serbische Führung hat in seltener Einmütigkeit deutlich gemacht, dass eine Unabhängigkeitserklärung Kosovos für null und nichtig erklärt würde. Gegenmaßnahmen wären die unmittelbare Folge. Zwar will man keine militärischen Mittel einsetzen, aber schon eine Grenzschließung hätte erhebliche Auswirkungen: Fast 80 Prozent der Verbindungen Kosovos zur Außenwelt und seiner Versorgung laufen über Serbien.

Die Führung der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) von Premier Vojislav Kostunica hat bereits erklärt, Serbien wolle wohl Mitglied der EU werden, militärisch aber neutral bleiben, also nicht der NATO beitreten. Laut Umfragen sprechen sich derzeit 71,55 Prozent der Bürger für eine EUMitgliedschaft, aber nur 26,20 Prozent für einen NATO-Beitritt Serbiens aus. Kostunica stellte auf dem DSS-Parteitag im Oktober fest, alles weise darauf hin, dass die USA und die NATO Serbien 1999 grausam und völkerrechtswidrig bombardiert und ihre Truppen nach Kosovo gebracht haben, um dem Land 15 Prozent seines Territoriums zu entreißen. Die Errichtung der großen USAMilitärbasis in Kosovo und jener Teil des Ahtisaari-Plans, der die NATO zum eigentlichen Herrscher über Kosovo erklärte, seien eindeutige Beweise dafür. Kostunica erntete dafür großen Applaus. Fragt sich nur, ob das alles die USA veranlasst, der Führung in Pristina eine einseitige Unabhängigkeitserklärung vorerst auszureden.

* Aus: Neues Deutschland, 5. November 2007


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