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Der Streit um den Status des Kosovo eskaliert

Immer neue Pläne und Angebote im Gespräch - Serben wollen Kosovo nicht einmal gegen eine EU-Mitgliedschaft eintauschen

Im Dezember sollen endgültige Entscheidungen falle. Bis dahin wird weiter verhandelt - so z.B. ab Montag, den 5. November, in Wien. Die Aussichten auf eine Einigung mit Belgrad sind nicht gut. Der Westen steht vor vielen offenen Fragen, die nicht lösbar scheinen.
Im Folgenden eine kleine Auswahl aus Presseberichten, Analysen und Kommentaren der letzten Tage.



Serbien warnt vor Rechtsbruch - Klage wegen Kosovo geplant

Auszug aus einem Artikel von Frank Herold in der Berliner Zeitung vom 29. Oktober 2007

Serbien wird eine einseitige Unabhängigkeit des Kosovo nicht hinnehmen, sondern vor internationalen Gerichten wegen Bruch des Völkerrechts klagen. "Wir werden alle diplomatischen und juristischen Mittel nutzen, um eine Teilung Serbiens zu verhindern", sagte der serbische Präsident Boris Tadic bei einem Gespräch mit Journalisten aus EU-Ländern.

"Die Teilung Serbiens - und nichts anderes wäre die Unabhängigkeit des Kosovo - bedeutet einen Bruch des Völkerrechts, die Verletzung unserer territorialen Integrität", sagte der als pro-westlich geltende Staatschef Tadic. (...)

Eine einseitige Erklärung der Unabhängigkeit des Kosovo und mehr noch die danach erfolgende Anerkennung eines neuen Staates durch eine Reihe von Staaten werde weit über die Region hinaus ausstrahlen, warnte Tadic. "Separatisten in aller Welt warten nur darauf, was mit Kosovo passiert." Kosovo sei kein einzigartiges Beispiel, wie immer wieder behauptet werde, es gebe viele Kosovos auf dem Balkan und in der Schwarzmeer-Region. Tadic verwies unter anderem auf die aktuellen Spannungen in Bosnien-Herzegowina. (...)


Serbische Trümpfe

Aus einer Analyse von Norbert Mappes-Niediek in der Frankfurter Rundschau vom 29. Oktober 2007

Im großen Poker um das Kosovo hat die Endrunde begonnen. Belgrad spielt seine letzten Karten aus, um doch noch zu verhindern, dass die Europäische Union im Dezember die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennt. Einer seiner wichtigsten Trümpfe ist die Stabilität in Bosnien.

Verbunden sind Bosnien und das Kosovo zwar nicht durch eine gemeinsame Grenze, aber durch die Prinzipien westlicher Balkanpolitik. Im früheren Jugoslawien darf nach Belgrader Lesart nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Entweder die ex-jugoslawischen Republiken bleiben unangetastet, wie es bisher die Position der Europäer war, oder die Grenzen werden nach ethnischen Kriterien neu gezogen. Im einen Fall darf nach serbischer Argumentation das Kosovo nicht unabhängig werden, weil Serbien unteilbar ist.

Im anderen Fall hätten die bosnischen Serben das Recht, sich aus Bosnien zu verabschieden und Serbien anzuschließen. Mit der Krise in Bosnien kann Belgrad zeigen, dass jede Verschiebung eine Kettenreaktion auslösen kann. Anders ist die Heftigkeit, mit der die Serben nun dem neuen Repräsentanten der Staatengemeinschaft entgegen treten, nicht zu erklären.

Machen die bosnischen Serben ihre Drohungen wahr und ziehen sich aus dem Gesamtstaat zurück, steht die EU vor einem Problem, das die Sorge um das Kosovo noch übertreffen dürfte.
(...)


Modell Hongkong oder Deutschland

Dass zu allem Überfluss offenbar auch noch Schmiergeld im Spiel ist, geht aus einem Artikel im Wiener "Standard" vom 2. November hervor. Wichtig sind aber die gehandelten "Modelle" des Autonomiestatus des Kosovo. Im "Standard" heißt es dazu u.a.:

Vor den nächsten Kosovo-Gesprächen in Wien am Montag (5. November) machen neue Begriffe die Runde. In Prishtina wird über das „Hongkong-Modell“ diskutiert. Demnach soll der Kosovo in zwölf Jahren unabhängig werden. Der Vorschlag soll von den USA gekommen sein. Diskutiert werden soll in Wien auch der 14-Punkte-Vorschlag des EU-Vertreters in der Kosovo-Troika, Wolfgang Ischinger, wonach Serbien etwa keine „physische Präsenz“ mehr im Kosovo haben soll.

Der im August im Standard präsentierte Vorschlag Ischingers, den deutsch-deutschen Grundlagenvertrag aus dem Jahr 1972 als Grundlage für die Regelung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo zu nehmen, lehnt Belgrad grundsätzlich ab. Der Grundlagenvertrag gehe von zwei unabhängigen Staaten mit territorialer Integrität aus, und das sei für Serbien absolut inakzeptabel, sagte der serbische Minister für den Kosovo, Slobodan Samardžiæ.

Die Statusverhandlungen sollen am 10. 12. beendet werden. Kosovo-Premier Agim Çeku erklärte, dass das kosovarische Parlament unabhängig vom Ausgang der Gespräche bis zum Jahresende die Unabhängigkeit ausrufen werde.(...)

Die EU müsse sich schnell etwas einfallen lassen, sonst könnte die politische Lage in der Region außer Kontrolle geraten, sagte ein europäischer Diplomat in Belgrad. Statt sich ganz auf die an sich „fast aussichtslose“ Kosovo-Frage zu konzentrieren, müsse man nun auch die politische Krise in Bosnien berücksichtigen. (...)

Die kosovarische Zeitung Express berichtete indes, dass gegen den Chef der UN-Mission im Kosovo (Unmik), Joachim Rücker, Ermittlungen eingeleitet worden seien. Schon seit September ermittelt der UN-Sitz in New York gegen den Vize-Chef der Unmik, Steven Schook. Die Computerfestplatten von Rücker, Schook und dem Leiter der Rechtsabteilung, Alexander Borg Olivier, sollen beschlagnahmt worden sein. Laut Express stehen die Ermittlungen gegen Borg und Schook im Zusammenhang mit einem Kraftwerksbau und mit Treibstofflieferungen.

Umfrage: Serben wollen Kosovo nicht gegen EU-Mitgliedschaft tauschen

Die meisten Serben würden den Beitritt ihres Landes zur EU begrüßen, wollen jedoch das Kosovo nicht gegen eine schnellere Einbindung in die Europäische Union tauschen.

Das ergab eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Politikum, die im September im Auftrag des serbischen Ministeriums für Kosovo und Metochien durchgeführt wurde.

Befragt wurden 1300 Menschen in allen serbischen Provinzen mit Ausnahme des Kosovo. Für einen Betritt zur EU stimmten 71,55 Prozent der Serben, 21 waren dagegen, während sieben Prozent unschlüssig waren. Auf die Frage, ob Serbien in die Unabhängigkeit der mehrheitlich von Albanern besiedelten südlichen Provinz Kosovo einwilligen solle, um somit seinen eigenen Beitritt zur EU zu beschleunigen, antworteten 70,21 Prozent mit „nein“.

Gegen eine NATO-Mitgliedschaft Serbiens sprachen sich rund 60 Prozent der Befragten aus, 26,20 Prozent waren gegenteiliger Meinung. Für engere Beziehungen mit Russland plädierten 59,31 Prozent, dagegen waren rund 25,38 Prozent.

Nur 6 Prozent der Serben stimmten einer Unabhängigkeit des abtrünnigen Kosovo zu. Nach Ansicht von etwa 57 Prozent könnte der Konflikt beigelegt werden, wenn das Kosovo weitgehende Autonomierechte im Bestand Serbiens erhalten würde. Rund 28 Prozent sprachen sich für eine Aufteilung der umstrittenen Provinz in einen serbischen und einen albanischen Teil aus, während vier Prozent für eine dauerhafte UN-Verwaltung im Kosovo plädierten.

Als „ermutigend“ sieht der Minister für Kosovo und Metochien, Slobodan Samardzic, dass die meisten Serben das Kosovo nicht gegen eine EU-Mitgliedschaft tauschen wollen.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 1. November 2007



Kosovo: Gefährliches Spiel

Es folgt ein Auszug aus einem Kommentar von Adelheid Wölfl im "Standard" vom 3./4. November 2007:

(...) Seit Beginn der Verhandlungen vor mehr als eineinhalb Jahren betonen Vertreter der internationalen Gemeinschaft, dass Bosnien-Herzegowina nicht mit der Zukunft des Kosovo in Verbindung gebracht werden darf.

Genau das ist aber nun passiert: Serbische Politiker ziehen sich aus der gemeinsamen Regierung in Sarajewo zurück, angeblich aus Protest gegen die Anordnungen des internationalen Bosnien-Beauftragten Miroslav Lajcák. Dieser hat wie schon seine Vorgänger versucht, aus Bosnien einen besser funktionierenderen Staat zu machen. Bis heute kann ja durch den ethnischen Proporz von einer Volksgruppe jeder Fortschritt boykottiert werden. Es ist ihm sowie seinen Vorgängern nicht wirklich gelungen.

Dass die Serbenvertreter aber gerade jetzt auf stur schalten und jegliche Zusammenarbeit verweigern, kommt nicht von ungefähr. Die Kräfte um den serbischen Premier Vojislav Kostunica nutzen offenbar ihre Verbindungen, um der internationalen Gemeinschaft mit Sezessionsbestrebungen der Serbenrepublik in Bosnien zu drohen, falls der Kosovo unabhängig wird. Das ist nicht nur schädlich für Bosnien selbst, das ohnehin seit Jahren politisch und wirtschaftlich paralysiert ist, sondern auch für Serbien. (...)

(...) Die prowestlichen Kräfte in Belgrad verlieren an Terrain. Der Westen sah eine Lösung für den Kosovo immer als letzten Teil des Balkanpuzzles. Belgrad hat offenbar Lust weiterzuspielen. (DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.11.2007)

USA bieten Russland KSE-Vertrag gegen Iran und Kosovo an - "Nesawissimaja Gaseta"

Washington soll US-amerikanischen Quellen zufolge Moskau eine Paketlösung für die Konflikte um das Kosovo, Iran und KSE-Vertrag vorgeschlagen haben, die gegenseitige Kompromisse voraussetzt.

Wie die russische Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“ am Mittwoch mit Hinweis auf die Pariser „International Herald Tribune“ berichtet, boten die USA Russland Zugeständnisse im Streit um den KSE-Vertrag an. Im Gegenzug erwartet Washington von Moskau ein Einlenken in die Unabhängigkeit der umstrittenen serbischen Provinz Kosovo und Zustimmung für neue Sanktionen gegen Iran.

Der Kosovo-Streit soll am 10. Dezember im UN-Sicherheitsrat erörtert werden. Zwei Tage später will Russland den Vertrag über die konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE) auf Eis legen, sollte die NATO ihn bis dahin nicht ratifizieren.

Der Vizechef des Instituts für USA und Kanada der Russischen Akademie der Wissenschaften, Pawel Solotarjow, hält das „Tauschgeschäft“ für unrealistisch. „All diese Themen sind Gegenstand heftiger Diskussionen und sind miteinander nicht verbunden“, sagte Solotarjow. Deshalb könnten diese Probleme nicht auf einmal bewältigt werden.

Russland wolle dem Experten zufolge auf den KSE-Vertrag nicht endgültig verzichten, sondern es wolle die unbegründeten Einschränkungen des alten Vertrages loswerden und die Ratifizierung der modernisierten Vertragsfassung erwirken, die den heutigen Realitäten in Europa Rechnung trägt.

Was mögliche Zugeständnisse Washingtons im Streit um die Raketenabwehr anbetrifft, so sind diese bereits längst bekannt: Die USA bieten Russland eine Präsenz auf den geplanten Raketenabwehrbasen in Polen und Tschechien an. „Das ändert kaum etwas. Wichtig ist, wer die Raketenabwehrsysteme kontrolliert“, führte der Experte aus.

Auch Dmitri Simes, Präsident des Nixon-Zentrums in Washington, glaubt nicht an einen Deal zwischen Moskau und Washington. Er könne sich kaum vorstellen, dass Russland sein Herangehen an die Konflikte um das Kosovo und Iran ändern wird, die für es von prinzipieller Bedeutung sind, sagte Simes. Das um so mehr, als diese Probleme die Beziehungen mit Staaten tangieren, die von Russland nicht kontrolliert werden.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 31. Oktober 2007




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