Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Auswärtiges Amt: "Resolution 1244 (1999) verbietet eine einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht" - Norman Paech: "Weder Resolution 1244 (1999) noch das allgemeine Völkerrecht erlauben die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo"

Im Wortlaut: Gutachten des Auswärtigen Amtes und Gegenstellungnahme des Völkerrechtlers Prof. Dr. Norman Paech

Im Folgenden dokumentieren wir ein Gutachten des Auswärtigen Amtes zum völkerrechtlichen Status der serbischen Provinz Kosovo. Darin wird u.a. die brisante These aufgestellt, eine einseitige Unabhängigkeitserklärung sei durchaus mit dem geltenden Völkerrecht vereinbar. Dagegen meldet sich der emeritierte Völkerrechts-Professor Dr. Norman Paech, Abgeordneter der Fraktion Die LINKE im Bundestag, zu Wort. Auch seine Gegenstellungnahme dokumentieren wir im Anschluss an das Gutachten des AA.
Hier geht es zur viel zitierten Resolution 1244 (1999) (auch als pdf-Datei verfügbar [englisch]).



[Gutachten des Auswärtigen Amtes]

Kosovo

Resolution des Sicherheitsrates 1244 (1999) und eine evtl. Unabhängigkeitserklärung des Kosovo

1. Resolution 1244 (1999) verbietet eine einseitige Unabhängigkeitserklärung und die nachfolgende Anerkennung des Kosovo durch andere Staaten nicht.
  • Die in der Präambel sowie im Anhang 2 der Resolution 1244 enthaltene Verpflichtung der Mitgliedstaaten der VN auf die Wahrung der Souveränität und territorialen Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien (heute: Republik Serbien) bezieht sich auf das Übergangsregime, das mit der Resolution eingerichtet wurde.
  • Resolution 1244 (1999) trifft keine Aussage über den endgültigen Rechtsstatus des Kosovo.
  • Resolution 1244 (1999) fordert einen politischen Prozess zur Lösung der Statusfrage. Nachdem alle Möglichkeiten einer Einigung zwischen Serbien und Kosovaren mit ergebnislosem Abschluß des sog. Troika-Prozesses ausgeschöpft sind, sind jedoch andere, völkerrechtlich zulässige Möglichkeiten zur Lösung der Statusfrage nicht länger ausgeschlossen.
  • Die Annahme, Resolution 1244 (1999) verbiete jede andere Lösung auch über das klare und definitive Scheitern eines Verhandlungsprozesses hinaus, würde dazu führen, daß beim Scheitern dieses Prozesses überhaupt kein anderer Weg mehr gangbar wäre. Das kann auch der Sicherheitsrat mit dieser Resolution nicht bezweckt haben.
2. Resolution 1244 (1999) gilt auch über eine evtl. einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo hinaus fort.
  • Resolution 1244 enthält keine Befristung und keine auflösende Bedingung, bei deren Ablauf bzw. Eintritt die in ihr enthaltenen Mandate automatisch erlöschen würden.
  • Ziff. 19 dieser Resolution ordnet vielmehr ausdrücklich an, daß die Mandate der internationalen zivilen und Sicherheitspräsenzen, die die Resolution vorsieht, solange bestehen, bis der Sicherheitsrat selbst etwas anderes beschließt.
  • Ob der Sicherheitsrat eine Veränderung der Rahmenbedingungen, die in einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo und in der Anerkennung des Kosovo als unabhängigem Staat läge, wenigstens konkludent zu einem Beendigungsgrund für seine Resolution machen wollte, ist durch Auslegung der Resolution selbst zu ermitteln. Diese Auslegung ergibt keine Anhaltspunkte für einen solchen Willen des Sicherheitsrates:
    • Erfahrungen mit früheren Resolutionen in verschiedenen Bereichen sprechen dagegen, daß der Sicherheitsrat die Entstehung eines sich für unabhängig erklärenden Kosovo zur auflösenden Bedingung seiner Resolution machen wollte. Diese Präzedenfälle demonstrieren im Gegenteil, daß selbst dort, wo sich die Lage fundamental verändert hatte (Bsp.: Sturz des Regimes von Saddam Hussein im Irak) der Sicherheitsrat immer noch Wert darauf legte, selbst die Konsequenzen für seine Resolutionen zu ziehen (in diesem Beispiel: ausdrückliche Aufhebung des Sanktionsregimes Irak in einer neuen Resolution und nicht etwa stillschweigendes Wegfallen der Sanktionen). Es entspricht der Praxis des VN-Sicherheitsrates, Mandate, sofern sie nicht von vorneherein befristet sind, formell zu beenden (Beispiel aus jüngerer Zeit: Beendigung von UNMOVIC im Irak durch Resolution 1762 vom 29. Juni 2007). Auch Ziff. 11 (f) der Resolution 1244 (1999) spricht dagegen, daß der Sicherheitsrat bereits eine Unabhängigkeitserklärung des Kosovo als Beendigungsgrund für seine eigene Resolution werten wollte: Dort ist nämlich von einer Schlußphase die Rede, in der die Staatsgewalt von den provisorischen Einrichtungen auf die im Rahmen einer endgültigen Lösung geschaffenen Institutionen übertragen werden soll. Diese Formulierung ergibt nur dann einen Sinn, wenn auch die Resolution mindestens so lange gelten soll.
    • Noch weniger ist anzunehmen, daß der Sicherheitsrat beabsichtigt hat, seine Resolution unter die auflösende Bedingung der Anerkennung eines unabhängigen Kosovo durch andere Staaten zu stellen. Da verschiedene Staaten zu unterschiedlichen Zeitpunkten und manche Staaten auch gar nicht anerkennen werden, würde das bedeuten, daß eine an alle Mitgliedstaaten der VN gerichtete Resolution des Sicherheitsrates für einige Staaten schneller, für andere langsamer wegfiele und für wieder andere unbefristet weitergälte. Es kann dem Sicherheitsrat nicht unterstellt werden, daß er eine derartige Zersplitterung der Geltung seiner Resolution gewollt oder gebilligt hat.
    • Gegen eine solche Auslegung der Resolution 1244 (1999) spricht auch der große Wert, den der Sicherheitsrat auf seine Autorität als des für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit hauptsächlich verantwortlichen Organs (Art. 24 der VN-Charta) legt. Auch diese Erfahrung spricht dafür, daß der Sicherheitsrat Fragen von fundamentaler Bedeutung – wie Beginn und Ende von ihm erteilter Kapitel-VII-Mandate – selbst trifft, wenn die Frage entscheidungsreif ist, und nicht von möglicherweise sehr unbestimmten Bedingungen abhängig macht. Dies würde a fortiori gelten, wenn jeder Staat durch die Entscheidung, ob und wann er ein unabhängiges Kosovo anerkennt, selbst die Geltungsdauer einer Sicherheitsratsresolution bestimmen könnte.
    • Resolution 1244 (1999) verfolgt das Ziel, für eine Übergangsphase Frieden und Sicherheit zu gewährleisten und dadurch die Herbeiführung einer endgültigen Lösung des Kosovo-Problems zu ermöglichen. Ein „Wegfallen“ der Mandate nach einer Unabhängigkeitserklärung würde diesem Ziel (Beendigung des Konfliktes, Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung im Kosovo als einer multiethnischen Gesellschaft) geradezu entgegenwirken. Die Mission müßte beendet werden, wenn sie am dringendsten gebraucht würde. Das kann nicht im Sinne des Sicherheitsrates sein.
3. „Einladung“ der internationalen Präsenzen durch das Kosovo ist wünschenswert
  • Eine Einladung des Kosovo an die internationale Gemeinschaft, die zivilen und Sicherheitspräsenzen auf der bisherigen Grundlage weiterzuführen, wäre – für sich gesehen und unabhängig von Resolution 1244 (1999) – ebenfalls eine ausreichende völkerrechtliche Grundlage für die Fortführung der Missionen.
  • Da Resolution 1244 (1999) fortgilt und weiterhin eine ausreichende Grundlage für die Missionen darstellt, benötigen wir eine Einladung des Kosovo aus rechtlichen Gründen nicht.
  • Aus politischen Gründen wird eine solche Einladung aber von großer Bedeutung sein, weil sie klarstellt, daß die Missionen mit Zustimmung und auf Wunsch von Regierung und Volk des Kosovo weitergeführt werden

Prof. Dr. Norman Paech

"Resolution des Sicherheitsrats 1244 (1999) und eine evtl. Unabhängigkeitserklärung des Kosovo"

Eine Gegenstellungnahme zur Position des Auswärtigen Amtes

Das Auswärtige Amt hat dem Außenpolitischen Ausschuss des Bundestages eine völkerrechtliche Einschätzung der „Resolution des Sicherheitsrates 1244 (1999) und eine evtl. Unabhängigkeitserklärung des Kosovo“ übermittelt. Darin vertritt es angesichts der als unvermeidlich angesehenen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Frühjahr 2008 im Wesentlichen drei Thesen: 1. Die Resolution 1244 (1999) des UNO-Sicherheitsrats verbiete ebenso wenig die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo wie die anschließende Anerkennung des Kosovo durch Drittstaaten. 2) Die Resolution 1244 (1999) gelte auch nach einer Unabhängigkeitserklärung des Kosovo weiter, was die Fortwirkung der Mandate für UNMIK und KFOR sicherstelle. 3) Dennoch sei eine ausdrückliche Einladung durch das unabhängige Kosovo für die internationalen Präsenzen wünschenswert.

Angesichts der Entschlossenheit der Kosovo-Albaner und der sie unterstützenden USA sowie der meisten EU-Staaten, die Abtrennung des Kosovo von Serbien voranzutreiben und in den nächsten Monaten durchzusetzen, können die zu ihrer Legitimierung vorgetragenen völkerrechtlichen Argumente nicht unwidersprochen bleiben.

1. Weder Resolution 1244 (1999) noch das allgemeine Völkerrecht erlauben die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo.

Resolution 1244 (1999) betont an verschiedenen Stellen, sowohl in der Präambel und dem Hauptteil, als auch in Anlage 2 die Verpflichtung aller Staaten, „die Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien“ (später Serbien) zu beachten. Diese Verpflichtung ist eine völkerrechtliche Selbstverständlichkeit, die sich auch ohne Rückgriff auf Resolution 1244 aus Art. 2 UN-Charta ergibt. Sie ist also nicht auf die durch Resolution 1244 eingerichtete Übergangsverwaltung beschränkt, sondern gilt unabhängig und jenseits von ihr.

Im Rahmen dieser völkerrechtlichen Pflichten ist durchaus eine Abtrennung des Kosovo von Serbien als endgültige Statuslösung möglich. Sie muss jedoch auf der einvernehmlichen Übereinkunft beider betroffenen Staatsteile beruhen, wie es z.B. bei der Trennung der alten Tschechoslowakei der Fall gewesen ist. Sind die Verhandlungen gescheitert, wie es offensichtlich jetzt angenommen wird, so eröffnet sich nicht automatisch ein Recht auf Sezession. Dies ist genauso wenig der Fall, wie sich nach einem Veto im UNO-Sicherheitsrat ein Recht auf militärische Gewaltanwendung eröffnet. Die einseitige Sezession wurde nur den kolonial unterdrückten Völkern in ihrem Kampf um Unabhängigkeit zur Verwirklichung ihres Selbstbestimmungsrechts zuerkannt. Nachdem diese Epoche der Dekolonisation bis auf einige wenige Fälle (z.B. Westsahara) der Geschichte angehört, wird eine einseitige Sezession nur noch den Völkern zuerkannt, denen nachhaltig die elementaren Grund- und Menschenrechte vorenthalten werden. Das ist jedoch beim Kosovo trotz aller dort in der Vergangenheit begangener Verbrechen heute nicht der Fall. Die neue serbische Verfassung vom Oktober 2006 erkennt dem Kosovo ausdrücklich einen autonomen Status mit weitgehenden Selbstverwaltungsrechten zu.

Der UNO-Sicherheitsrat ist ebenso wie alle Mitgliedstaaten an die Achtung der Souveränität und territorialen Unversehrtheit gebunden und darf sich gem. Art. 2 Ziffer 7 UN-Charta nicht in die inneren Angelegenheiten eines Staates einmischen. Die Abtrennung eines Teils wäre aber auf jeden Fall eine solche unzulässige Einmischung. Eine derart einschneidende Entscheidung wäre auch nicht auf der Basis von Art. 42 Abs. 2 UN-Charta zur Sicherung oder Wiederherstellung des Friedens möglich. Die Einrichtung des Jugoslawientribunals oder die Einschränkung der Souveränität des Irak im kurdischen Norden des Landes durch die Resolution 688 von 1991 sind zwar auf der Basis von Art. 42 Abs. 2 UN-Charta getroffen worden, sind aber mit Maßnahmen der Staatenteilung und -neubildung nicht vergleichbar. Auch die berühmte Teilungsresolution 181 von 1947 war keine konstitutive Teilung Palästinas, sondern nur ein Vorschlag.

Die Kontaktgruppe hat in den „Guiding Principles“ vom November 2005 ausdrücklich alle beteiligten Parteien davon unterrichtet, dass „die Regelung der Kosovo-Frage in voller Übereinstimmung mit den internationalen Standards der Menschenrechte, der Demokratie und des Völkerrechts erfolgen und zur regionalen Sicherheit beitragen“ solle, und ferner, dass „jede Lösung, die einseitig oder mit dem Einsatz von Gewalt herbeigeführt werde, unakzeptabel sei.“ Sie hat also selber jedes einseitige Vorgehen nicht als Beitrag zu einer friedlichen Lösung angesehen, sondern als Störung des Friedens abgelehnt.

2. Die Anerkennung einer unzulässigen Sezession ist ein völkerrechtliches Delikt.

Ein Staat bedarf zu seiner Entstehung nicht der Anerkennung der UNO oder anderer Staaten. Er muss lediglich ein Staatsgebiet, ein Staatsvolk und eine effektive Staatsgewalt vorweisen. Letztere wäre jedoch beim Kosovo zweifelhaft. Dies vor allem deswegen, weil die Resolution 1244 weiterhin verbindlich ist und der Unabhängigkeitserklärung entgegensteht. Sie ist als Beschluss des UN-Sicherheitsrats gem. Art. 25 UN-Charta für alle UN-Mitgliedstaaten verbindlich und damit auch für die EU. Sie verbietet deshalb nicht nur eine Anerkennung des Kosovo als Staat, sondern auch die Ausbildung und Unterstützung seiner eigenen separaten Staatsgewalt, wie es die USA und die EU jedoch beabsichtigen. Statt den abgespaltenen Kosovo anzuerkennen, müsste die deutsche Leitung der UNMIK-Übergangsverwaltung gegen die Unabhängigkeitserklärung vorgehen und ihre Ungültigkeit erklären. Der Leiter der UNMIK ist gleichsam der von den Staaten bestellte Garant von Recht und Ordnung, der Wahrer des Völkerrechts, der nicht tatenlos seine eigene Entmachtung durch ein nicht legitimiertes Provinzparlament hinnehmen dürfte. So haben die Vorgänger des gegenwärtigen Leiters der Protektoratsbehörde im Kosovo schon bei weitaus geringeren Verstößen von Politikern des Kosovo von ihren Amtsvollmachten Gebrauch gemacht und die Akte per Dekret aufgehoben.

Die Regierung in Belgrad hat angekündigt, gegen eine Anerkennung des Kosovo vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu klagen. Ihr zentrales Argument wäre der Bruch des Völkerrechts durch die Anerkennung, da mit ihr das in der UN-Charta verankerte Prinzip der territorialen Unversehrtheit der Staaten verletzt wäre. Es ist derzeit nichts ersichtlich, was einen solchen Verstoß gegen das Völkerrecht rechtfertigen könnte – auch nicht die immer wieder beschworenen Unruhen, die bei einer weiteren Hinauszögerung der endgültigen Entscheidung über den Status des Kosovo zu erwarten wären.

Die Staaten der EU würden mit einer Anerkennung zudem gegen ihre eigenen Prinzipien verstoßen. Die faktische Sezession Nordzyperns haben sie unter Hinweis auf das Völkerrecht ebenso nicht anerkannt, wie sie die Sezessionsbestrebungen der Kurden, Katalanen und der Basken ablehnen. Das Prinzip der territorialen Integrität geht in allen diesen Fällen dem Selbstbestimmungsrecht der Völker in der Form des Sezessionsrechts vor. Das Selbstbestimmungsrecht beschränkt sich auf die Einräumung von Autonomierechten, wie sie z.B. den Katalanen und Basken in weitgehendem Maße, den Kurden aber in gar keiner Weise eingeräumt worden sind.

3. Resolution 1244 (1999) kann eine einseitige völkerrechtswidrige Unabhängigkeitserklärung nicht überdauern.

Es ist zwar richtig, dass Resolution 1244 keine Befristung und keine auflösende Bedingung enthält. Sie dauert solange fort, bis der UN-Sicherheitsrat selbst eine neue Resolution beschließt. Dazu wird es auf Grund der unterschiedlichen Positionen vor allem der Veto-Mächte in absehbarer Zeit nicht kommen. Die Ansicht des Auswärtigen Amtes allerdings, dass der Sicherheitsrat auch nicht die einseitige Unabhängigkeitserklärung sowie die anschließende Anerkennung durch Drittstaaten zu einem Beendigungsgrund für seine Resolution machen wollte, sie also als Mandat für die UNMIKVerwaltung wie die KFOR-Truppen fortbestehen würde, geht an der Realität vorbei. Es ist unverständlich, wie das Auswärtige Amt, ganz abgesehen davon, dass Deutschland seinerzeit nicht Mitglied im Sicherheitsrat war und es auch derzeit nicht ist, zu dieser Interpretation des Willens des Sicherheitsrats kommen kann.

Die Übergangsverwaltung, welche Resolution 1244 (1999) organisieren und garantieren sollte, wäre mit der Unabhängigkeit des Kosovo definitiv vorbei. Die Intention des Sicherheitsrats, den Endstatus mittels einer Vereinbarung zu erreichen, wäre durchkreuzt. Für ihn stand nie eine einseitige Unabhängigkeitserklärung, da völkerrechtswidrig, zur Debatte. Der Resolution 1244 (1999) wäre der faktische Boden entzogen, sie müsste durch eine neue Resolution ersetzt werden. Denn die Mandate für UNMIK und KFOR bezogen sich auf die Sicherung der Übergangsverwaltung. Sie können nicht nach der völkerrechtswidrigen Beendigung des Protektorats umstandslos für die neuen Aufgaben der Sicherung eines von dem Sicherheitsrat so nicht vorgesehenen Zustandes verwendet werden.

Die Anerkennung der Unabhängigkeit durch die USA und die Mehrheit der EU-Staaten würde an dieser rechtlichen Situation zunächst nichts ändern. Solange der Sicherheitsrat keine neue Resolution verabschiedet, besteht die alte Resolution zwar fort. Allerdings vermag sie auf Grund der veränderten Situation nicht mehr das Verbleiben von UNMIK und KFOR im Kosovo auf der bisherigen Grundlage zu legitimieren. Wenn beide nicht in der Lage sind, den völkerrechtsgemäßen Zustand zu gewährleisten, oder es nicht wollen, müssten sie sich zurückziehen.

Eine „Einladung“ durch ein „unabhängiges“ Kosovo an die internationale Staatengemeinschaft, ihre Truppen im Kosovo zu belassen, würde den Widerspruch zwischen völkerrechtswidrigem Status und politischer Entscheidung zunächst nicht auflösen können. Sie könnte allerdings ein Beleg für eine erstarkende effektive (kosovarische) Staatsgewalt sein und unterstreichen, dass der Prozess der Abtrennung faktisch vollzogen ist. Die militärischen Kontingente, die bislang als KFOR-Truppen fungiert haben, könnten ihre Legitimation aber nicht mehr auf die Resolution 1244 gründen.

4. Anstatt die Entwicklung bis zu diesem Punkt kommen zu lassen, die eine „kalte“ Aushebelung der Res. 1244 darstellen würde, müsste alles getan werden, um sie im letzten Augenblick noch zu verhindern.

Gegen den erklärten Willen der Kontaktgruppe und der USA dürften die Politiker im Kosovo es nicht wagen, ihre Unabhängigkeit von Serbien zu erklären. Sollten sie es dennoch tun, wäre die unmittelbar folgende Anerkennung das falsche Signal. Auf jeden Fall hätte sie schwerwiegende Folgen für die Glaubwürdigkeit der Ordnungs- und Friedenspolitik der NATOStaaten. Sie haben schon 1999 unter Verletzung des Völkerrechts Jugoslawien bombardiert und würden nun eine staatliche Neugründung fördern, die sie zwar für unvermeidbar halten, die aber erneut das Völkerrecht missachtet. Eine solche Politik untergräbt nicht nur ihre eigene Glaubwürdigkeit und führt zu neuen internationalen Spannungen, sondern trägt zur Erosion zentraler Prinzipien des Völkerrechts bei, wie die Gleichheit und Souveränität der Staaten, die territoriale Integrität und die Unversehrbarkeit der Grenzen. Insofern ist die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes kein Beitrag zu einer Friedenslösung sondern das Gegenteil davon. Sie steht in diametralem Widerspruch zu dem ausdrücklichen Bekenntnis des Auswärtigen Amtes zum Völkerrecht als Grundlage seiner Außenpolitik. Eine wiederholte Missachtung des Völkerrechts führt nämlich zu seiner Schwächung und zeitigt negative Konsequenzen für die Lösung anderer vergleichbarer Konflikte. Sie wird sich schließlich auch gegen die Staaten selbst wenden, die seine Prinzipien jetzt unterlaufen. Vor einer solchen Politik ist dringend zu warnen.

Hamburg, 3. Januar 2007
Prof. Dr. Norman Paech, MdB


Zurück zur Serbien-Seite

Zur Seite "Nato-Krieg gegen Jugoslawien"

Zur Völkerrechts-Seite

Zurück zur Homepage