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Kosovo-Politik der UNO auf dem Prüfstand

Sondergesandter soll Federführung bei Statusverhandlungen übernehmen

Von Markus Bickel, Sarajevo*

UNO-Generalsekretär Kofi Annan traf sich Ende letzter Woche mit Vertretern der Balkan-Kontaktgruppe (USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Russland, Italien). Gegenstand waren wieder einmal »Standards« und »Status« von Kosovo.

»Standards vor Status« lautete die Formel, die der ehemalige Chef der UN-Mission in Kosovo (UNMIK), Michael Steiner, geprägt hatte. Erst müsse Kosovo bestimmte demokratische, wirtschaftliche und menschenrechtliche Standards erfüllen, bevor über den Status der völkerrechtlich bisher zu Serbien gehörenden Provinz entschieden werden könne.

Die antiserbischen Pogrome im März, bei denen mindestens 19 Menschen getötet und mehr als 4000 vertrieben wurden, haben erneut Diskussionen um die Umsetzung dieser Formel und die Wirksamkeit der UNMIK ausgelöst. Im Auftrag Kofi Annans legte der Norweger Kai Eide Ende Juli einen Bericht vor, der die bisherige Herrschaft der UNO-Übergangsverwaltung scharf kritisierte. Dieser Bericht soll nach Aussagen westlicher Diplomaten in Pristina als Grundlage künftiger Politik der Weltgemeinschaft in dem Protektorat dienen. Die kosovo-albanische Tageszeitung »Zeri« berichtete, dass man sich bei den Gesprächen in New York, an denen auch UNMIK-Chef Sören Jessen-Petersen teilnahm, auf die Ernennung eines Sondergesandten geeinigt habe, der die Federführung in den Statusverhandlungen zwischen Belgrad und Pristina übernehmen soll. In Pristina hieß es, der UNMIK-Chef selbst sei nicht geeignet, sich neben seinen Verwaltungsaufgaben in der Provinz auch noch um die Klärung der Statusfrage zu kümmern. Der Sondergesandte solle im März kommenden Jahres benannt werden. Möglich sei auch, dass wie bei den Ohrider Friedensverhandlungen in Mazedonien 2001 ein USA- und ein EU-Delegierter gemeinsam mit der Aufgabe betraut werden.

Der Generalsekretär der von Serbiens Präsident Boris Tadic geführten Demokratischen Partei (DS), Milos Jevtic, sagte dem ND dazu: »Wir sind absolut bereit für Verhandlungen, doch die Unabhängigkeit (Kosovos) ist keine Option.« Und ehe über eine Klärung des Status gesprochen werde, müsse die Wahrung der Rechte der Minderheiten gesichert werden. Bereits Anfang September hatte der Außenminister Serbiens und Montenegros, Vuk Draskovic, völkerrechtliche Lösungen für Kosovo ausgeschlossen, »durch die nicht die Sicherheit aller Bewohner garantiert« würde.

In kosovo-albanischen Zeitungen waren zuletzt der frühere deutsche Außenminister Klaus Kinkel und sein britischer Kollege Robin Cook als Kandidaten für den Posten eines Status-Sondergesandten genannt worden. Auf USA-Seite käme demnach der frühere Balkan-Sondergesandte und »Architekt« des Dayton-Vertrages für Bosnien, Richard Holbrooke, in Frage. Das wären allerdings Personen, mit denen sich Belgrad kaum anfreunden könnte. Diplomaten in Pristina verrieten, dass Mitglieder der Balkan-Kontaktgruppe eine erste Überprüfung der bislang erreichten demokratischen, wirtschaftlichen und menschenrechtlichen Standards schon Ende Oktober vornehmen werden. Ursprünglich war eine solche Bilanz erst Mitte nächsten Jahres vorgesehen. Michael Steiner hatte dafür einen sieben Punkte umfassenden Katalog entworfen. Jetzt meinte ein westlicher Diplomat, das sei ein »Visionspapier, das nicht einmal in Kanada oder in der Schweiz ideal umgesetzt werden könnte«. Die internationale Gemeinschaft werde sich künftig auf »Kernprioritäten« konzentrieren: Neben der Rückkehr der Flüchtlinge und der friedlichen Koexistenz von kosovo-albanischer und Minderheitenbevölkerung zähle dazu die Umsetzung rechtsstaatlicher Prinzipien.

Derweil hat in Kosovo die heiße Phase vor den Parlamentswahlen am 23. Oktober begonnen. Das Gros der serbischen Parteien in der Provinz hat einen Wahlboykott angekündigt. Einer ihrer Führer, Oliver Ivanovic, erklärte dazu, ohne ein Versprechen, dass sich Ausschreitungen wie im März nicht wiederholen, sei es sinnlos, sich an irgendwelchen Institutionen zu beteiligen, die nicht in der Lage sind, die Serben zu schützen. In Übereinstimmung mit Belgrad verlangte er Garantien für Sicherheit und Bewegungsfreiheit der Serben sowie den Beginn der Flüchtlingsrückkehr.

*Aus: Neues Deutschland, 27. September 2004


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