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Jemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten

Deutsche Polizisten arbeiten im Folterstaat Saudi-Arabien als Exporthelfer für den Rüstungskonzern EADS

Von René Heilig *

»Die Mauer in Berlin ist eine Realität; aber realistisch ist sie nicht, denn sie ist nicht vernünftig, nicht human. Deshalb wird sie in der geschichtlichen Perspektive keinen Bestand haben.« Das sagte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker im März 1986. Dreieinhalb Jahre später wurde die Mauer niedergerissen. Das seit der Grenzöffnung mögliche Zusammenwachsen Europas wird als Vorbild für andere Teile der Welt gepriesen.

Gaddafi? Geht gar nicht! Der Mann aus der Führungsriege des Auswärtigen Amtes klingt überzeugt, dass der Öffnungsprozess, der in Tunesien und Ägypten begonnen hat, um Libyen und Syrien keinen Bogen machen wird. Ja, versichert er, auch die deutsche Politik hat gelernt aus den von den Völkern getragenen Reformen. Zu lange habe man die in der Region gewünschte Stabilität mit Stagnation verwechselt. Schluss damit, nun werde man nach Kräften alles unterstützen, was Öffnung und Dynamik verspricht. Auch in Saudi-Arabien? Eine lange Pause, dann die Antwort: Das Königreich ist wohl das größte strategischen Fragezeichen in der Region ...

Dienst unter der Sonne im Schattenreich

Sonne am Ost- oder Nordseestrand ist wunderbar. Sonne in den Wüstengebieten Saudi-Arabien ist gnadenlos. Die deutschen Bundespolizisten, die unter diesen Bedingungen saudische Kollegen ausbilden, haben einen harten Dienst. Zudem ist die politische Situation in der Region alles andere als friedlich. Im Innern machen Polizei und Geheimdienst Jagd auf Menschen, die auch nur an demokratische Reformen denken. Amnesty International berichtet seit Jahren von »normalen« Inhaftierungen ohne Richterspruch, von Folter und Todesurteilen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung, Religions-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit ist extrem eingeschränkt, Frauen werden nach wie vor diskriminiert, Arbeitsmigranten wie Dreck behandelt.

Jenseits der Grenzen lauern weitere Gefahren. In den Nachbarländern Irak und Jemen tobt ein mehr oder minder verdeckter Bürgerkrieg, in Jordanien und Bahrain regt sich Widerstand gegen die Diktaturen. Warum also sind deutsche Polizeiausbilder dennoch in dem arabischen Land mit dem größten strategischen Fragezeichen? Und wie viele sind es überhaupt?

Der zuständige Ministerialdirektor im Bundesinnenministerium listet auf: Im Projektbüro in Riad arbeiten ständig zehn Beamte, jeweils zwei in zwei nördlichen Außenstellen. Macht 14. Das direkte Training werde von 75 Beamten leistet. Nachdem das TV-Magazin »Fakt« jüngst das Thema aufgriff und auch in einigen anderen Medien Vermutungen unter dem Stichwort »Exporthilfe« auftauchten, wollten Abgeordnete des Bundestagsinnenausschusses Fakten wissen. Und Ole Schröder (CDU), Staatssekretär im Bundesinnenministerium, müsste Fakten kennen. Schließlich hat sein Haus die Aufsicht über die Bundespolizei. Doch offenbar hatte der europäische Luft-, Raumfahrt- und Rüstungsriese EADS ihm keinen Sprechzettel in die Hand gegeben. So machte Schröder das, was er am besten kann: drum herum reden.

Und EADS? Der Konzern ist ebenso verschwiegen wie seine Auftraggeber in Riad. Nachdem EADS und sein saudischer Partner Al-Raschid bereits im März einen ersten Auftrag zur Sicherung der 900-Kilometer-Grenze zu Irak mit Stacheldraht, Radar- und Wärmedetektoren bestätigt hatten, ist nunmehr klar, dass der Konzern die gesamte 9000 Kilometer lange Grenze von Saudi-Arabien zu Lande, zu Wasser und in der Luft ausbauen wird. Man kann Stefan Zoller, Chef von EADS Defence & Security, glauben, wenn er vom weltgrößten Projekt und von langfristigen Investitionen spricht.

13 Jahre hat man um den Auftrag gerungen. EADS setzte sich gegen BAE Systems aus Großbritannien, den US-Rüstungskonzerns Raytheon und den französische Mitbewerber Thales durch. Was hat EADS, das die Konkurrenten nicht haben? Richtig, den Zugriff auf die Bundespolizei. Die Saudi-Führung wollte Bundespolizisten als Ausbilder für das Grenzsystem, EADS klärte das schnell mit dem Innenministerium. Im Mai 2009 fuhr der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) nach Saudi-Arabien und besprach »Unterstützungsleistungen Deutschlands für Saudi-Arabien bei der Modernisierung seiner landesweiten Grenzsicherung«. In der dürren Mitteilung hieß es: »Im Rahmen dieser bilateralen grenzpolizeilichen Zusammenarbeit führen Experten der Bundespolizei seit Beginn diesen Jahres Trainingsmaßnahmen zur Qualifizierung von Führungskräften des saudischen Grenzschutzes durch.« Das war's.

Fast jedenfalls. Doch so einfach erklärte es Ole Schröder den »antiterroristischen Schutzwall« freilich nicht. Er beschreibt zunächst die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit dem Königsstaat. Seit den Anschlägen von New York und Washington im September 2001 sei Deutschland extrem bedroht und brauche Informationen zur Abwehr des Bösen. Der Tipp zu den Luftfrachtbomben sei nicht nur aus Jemen, sondern auch aus Saudi-Arabien gekommen.

Eigentlich sollte er es besser wissen. Deutschland und Saudi-Arabien haben im Sicherheitsbereich bereits lange vor den Terroranschlägen vom 9. 11. 2001 kooperiert. Man lieferte Ausrüstungen bis hin zum Elektroschocker, der erste Chef der deutschen GSG 9 beriet die Saudis bei der Aufstellung einer vergleichbaren Truppe.

Schröder räumte aber immerhin ein, dass es immer ein wenig »problematisch« sei zu entscheiden, inwieweit polizeiliche Ausbildung Aufträge der deutschen und europäischen Industrie flankieren dürfe. Aber deutsches Polizeitraining sei ja immer auch eine Ausbildung in Sachen Menschenrechte und überhaupt wäre es ja so neu nicht, dass man mit den Saudis polizeilich kooperiere.

Motto: Fasst euch an eure eigene Nase. SPD und Grüne tun es und schweigen. Denn schon unter Rot-Grün hat es im Innenministerium eine besondere Projektgruppe »Golf« gegeben. Da auch die Regierungsparteien kein Bedürfnis haben, den Grenzfall Saudi-Arabien in der Öffentlichkeit zu debattieren, mosert nur die Linksfraktion und schob eine kleine Anfrage nach, die auf Bearbeitung wartet.

Das Parlament darf fragen, sonst nichts

Der Kern der Antwort ist schon jetzt klar: Das Innenministerium geht davon aus, dass solche Einsätze durch Paragraf 65 des Bundespolizeigesetzes gedeckt sind und das Parlament zwar nach dem Einsatz fragen könne, doch keinerlei Rückholmöglichkeiten habe.

Dass die Bundesregierung sehr wohl weiß, dass sie sich mit der Exporthilfe auf glattem Parkett bewegte, zeigt sich unter anderem daran: Man hat die aktiven und die inzwischen auch rekrutierten ehemaligen Bundespolizisten nicht – wie bei bilateralen Projekten üblich – mit Diplomatenpässen ausgestattet. So müssen die Ausbilder alle 30 Tage aus Saudi-Arabien ausreisen und nach erfolgter Visaverlängerung wieder ins Einsatzland zurückkehren. Damit die Dienstleisterfunktion deutscher Beamter für EADS nicht zu deutlich wird, zahlt der Konzern die beamtenrechtlich fällige Auslandszulage auch nicht direkt an die Berechtigten. Wie im Geheimdienstmilieu schaltete man einen Dritten ein, die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit GmbH, kurz GTZ. Die ist inzwischen mit dem Deutschen Entwicklungsdienst GmbH zur Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH verschmolzen.

Derartige profitable Gaunerstücke haben Tradition. Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) ist 2004 nach Katar gereist, um über die Modernisierung der dortigen Küstenwache zu sprechen. Nachdem die Bundespolizei See die Ausbildungszusage gab, bestellte der Wüstenstaat entsprechende Boote bei Blohm und Voss. Im Innenministerium wundert man sich über weitere Nachfragen. Schließlich war bisher polizeiliche Ausbildungshilfe doch total normal – in Ägypten, Algerien, Iran, Irak, Jemen, Jordanien, Katar, Kuwait, Libanon, Marokko, Oman, Syrien, Tunesien, den Emiraten. Die Beteiligten hätten gewusst, dass es sich bei den Ländern nicht um Demokratien gehandelt habe.

Aktuell, so beruhigt Staatssekretär Schröder, werde keiner auf den Gedanken kommen, mit Libyen zu kooperieren. Klar: Gaddafi geht gar nicht!

* Aus: Neues Deutschland, 13. Mai 2011


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