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Saudi-Arabien und der US-Krieg gegen den Terrorismus

Dem US-Verbündeten entschwindet das Fundament

Im Folgenden dokumentieren wir einen Auszug aus einer Broschüre, die das institut für sozial-ökologische wirtschaftsforschung München (isw) Anfang Januar 2002 vorgelegt hat.

Mit Bajonetten kann man alles, aber sitzen kann man auf ihnen nicht. Diese alte Politologen-Weisheit mussten die USA erfahren, als sie zum Angriff auf Afghanistan bliesen und sie ihre saudischen Stützpunkte als Basis der Militärschläge nutzen wollten. Schließlich hatten sie bei Al Kharj den Luftwaffenstützpunkt "Prinz Sultan" gebaut, von dem sie auf 1.500 Kilometer alle Flugbewegungen erfassen und mithin fast den gesamten Mittleren Osten überwachen konnten. Hier sollte die Einsatzzentrale für die Angriffe auf die Taliban hin. Doch anders als zu Beginn des zweiten Golfkriegs machte das saudische Königshaus diesmal nicht mit. Weder durfte der Luftwaffenstützpunkt genutzt werden, noch durften sich die 6.000 dauerhaft in Saudi-Arabien stationierten US-Soldaten an offensiven Operationen beteiligen. (Vgl. Financial Times Deutschland, 5.10.01)

Angesichts des wachsenden Unmuts ihres Volkes wagten die Herrscher nicht mehr, sich offen an einem Waffengang der USA gegen ein "islamisches Brudervolk" zu beteiligen. Immerhin hatten die Saudis die afghanischen Taliban auch nach deren Bruch mit den USA weiterhin anerkannt. Die Taliban entspringen dem selben Islam-Stamm der Wahabbiten, auf dem auch die saudische Herrschaft ruht. Bin Laden, der für das Königshaus die antisowjetische Gotteskrieger-Guerrilla in Afghanistan organisiert hatte, war zwar 1994 auf Druck der US-Amerikaner ausgebürgert worden, verfügte aber offenbar in Saudi-Arabien über eine wachsende Schar von Anhängern. Gerade unter den "fundamentalistischen" Moslems wuchs die Gegnerschaft zu den USA. 1994 und 1995 war es bereits zu Anschlägen gegen US-Einrichtungen in Saudi-Arabien gekommen, bei denen 26 Men-schen getötet und fast 400 verletzt wurden.

Die Entfremdung zwischen Königshaus und Volk hat eine materielle Basis: Die große Mehrheit der Bevölkerung erlebt seit Jahren einen rasanten wirtschaftlichen Niedergang. Das Pro-Kopf-Ein-kommen der 21 Millionen Bürger Saudi-Arabiens ist von 1981 bis 1998 von 16.650 auf 6.520 US-Dollar gefallen. (Wirtschaftswoche, 29.6.00). Von den Männern im Alter von 20 bis 29 Jahren sind 15 bis 20 % ohne Arbeit. 57 % der Saudis sind jünger als 19 Jahre. Sie wachsen in eine Zukunft ohne ausreichendes Wachstum an Industrie und Arbeitsplätzen. Der Staat ist mit über 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldet, jährlich kommen 5 Prozent Schulden dazu (Handelsblatt, 30.3.2000) Die ölreichste Region der Erde "droht zum Paria der Globalisierung zu werden" (Zeit, 27.9.01). Gleichzeitig erfahren die verarmten Massen immer öfter, wie sich ihre Herrscher schamlos und illegal bereichern. Von den 450 Millionen DM, die der Thyssen-Konzern offiziell von den Saudis für 36 Spür-Panzer erhielt, sind nach Auskunft des früheren Leiters der Thyssen-Rechtsabteilung rund 200 Millionen DM "im weitesten Umfeld des Königshauses" verblieben. (Der Spiegel, 48/2001) Wenn unter "Fundamentalisten" solche Moslems zu verstehen sind, die das Gefühl haben, ihre Probleme rührten von einem Übermaß an solcher Art von Modernisierung her (Bernhard Lewis: Revolt of the Islam. New Yorker, 19.11.01) dann muss man sich nicht wundern, dass ihre Zahl und Entschlossenheit ständig zunimmt.

Die USA präsentieren sich als der Messias dieser Moderne und in den Augen der Mehrzahl der Mosleme in allen arabischen Ländern betreiben sie eine doppelzüngige, eine verlogene Politik. Gegen Pakistan hatten die USA wegen dessen Atombombe ein einschneidendes Embargo verhängt; Israel hat längst gegen alle Atomwaffensperrverträge die Bombe, aber es wird von den USA nicht nur nicht verurteilt, sondern politisch und materiell massiv unterstützt. Der Irak wird von den USA und Großbritannien ständig wegen angeblicher Verletzung von UN-Resolutionen bombardiert und mit einem lückenlosen Embargo umzogen, das nach Schätzung von Experten schon eine halbe Million irakischer Kinder das Leben gekostet haben soll; doch Israel verletzt gegenüber den Palästinensern permanent alle einschlägigen UN-Resolutionen, ohne dass es zu irgendwelchen Konsequenzen käme. Zwei Wochen vor dem 11.9., dem Tag der Anschläge in Washington und New York, kritisierte der saudische Kronprinz Abdallah in einem Brief an Präsident George W. Bush diese Nahostpolitik der USA und verlangte, die Interessen der Palästinenser mehr zu berücksichtigen. "Es ist Zeit", schrieb der Kronprinz, der in Riad seit langem die Amtsgeschäfte führt, "dass die USA und Saudi-Arabien auch auf ihre unterschiedlichen Interessen achten. Regierungen, die nicht den Puls des Volkes fühlen und auf ihn reagieren, kann das Schicksal des iranischen Schahs drohen." (Zeit, 47/2001). Auch Ahmed Saki Jamani, der jahrzehntelang als Ölminister Saudi-Arabiens immer auch die Interessen des Westens im Auge hatte und heute das Center for Global Energy Studies in London leitet, ist davon überzeugt, dass die Israel-Palästina-Politik der USA prinzipiell geändert werden muss, andernfalls "(könnte) die ganze Region destabilisiert werden". (Die Zeit, 42/2001). "Das Schicksal des Schah" - bekanntlich wurde Reza Pahlevi im Namen Allahs gestürzt. Die Geister, die die Saudis riefen, kehren sich nun gegen sie. Und sie haben nicht mehr die Mittel, das Volk mit materiellen Wohltaten ruhig zu stellen. Dem zweiten der "Zwillings-Pfeiler" der US-Herrschaft am Golf entschwindet das Fundament.

Die USA müssen ihre Wahl treffen unter drei möglichen Entwicklungen. Entweder sie unterstützen säkular-demokratische Bewegungen, die im Gegensatz zu den Feudalregimes von großen Teilen der Bevölkerung getragen würden, weil sie einen größeren Teil der nationalen Bodenschätze zum Wohl des eigenen Volkes einsetzen würden. Ansätze zu solchen politischen Bewegungen gibt es nach Meinung einiger Beobachter sowohl im Iran als auch im Irak. Selbst wenn es so wäre, so ist offenkundig, dass die USA diese Richtung nicht wählen wollen. Sie wollen keine politische Macht dulden, die als nationaler Souverän in der Ölfrage auftritt. Deshalb bekämpfen sie auch nach wie vor den Iran als "Schurkenstaat", obwohl sich die politische Führung erkennnbar dem Westen zuneigt. Während die EU auf diesen Wandlungsprozess setzt, bleiben die USA bei ihrer Schroffen Ablehnung. Die USA wollen Satrapen, keine Partner, mit denen sie in ganz neuen Maßstäben teilen müssten. War der alte Bush noch eine Kreuzung zwischen Efeu und Kaktus (Spross einer Patrizierfamilie aus Neu-England und Ölmann in Texas), so ist der amtierende Sohn George W. bloß noch ein Kaktus, ein reiner Ölmann. Aus diesem Grund auch kommt es für die USA nicht in Frage, die in Bedrängnis geratenen Saudis - und mit ihnen alle Feudalregimes am Golf - zugunsten ihrer fundamentalistischen Opposition fallen zu lassen. Denn diese Opposition besteht ja gerade auf der Nutzung der Bodenschätze zum eigenen Gebrauch. Der " Fundamentalismus" ist nicht nur eine religiöse, sondern vor allem eine politische Qualität. Für einen Moslem ist die Welt nicht nach Nationen eingeteilt, die je verschiedene Religionen haben können, sondern nach Religionen, die in Nationen unterteilt sind. Wenn der "fundamentalistische" Moslem von "Un-gläubigen" spricht, dann meint er den politischen Gegner, dem er sich mit aller Kraft widersetzen will. (New Yorker, a.a.O.)

Die USA haben dies auch sehr klar erkannt, und eben den "fundamentalistischen" Islam zu ihrem Feind, zur Mutter des Terrors erkoren. Die Propagandisten aus Regierung und Medien werden nicht müde einzuhämmern, dass man zwischen diesem bösen und andererseits dem guten Islam unterscheiden müsse. Der gute Islam wird dargestellt von den Regimes, die den USA im Namen Allahs zur Seite stehen, die Könige und Emire und Scheichs der Golf-Region. Dies sind die bei allen internen Meinungsverschiedenheiten erprobten Geschäftspartner. Nicht nur im strategisch-allgemeinen, sondern auch im ganz persönlichen Sinn. Die Saudi Binladen Group war bis zum 11.9. - danach zog sie sich diskret zurück - an der US-Rüstungsfirma Carlyle Corporation beteiligt, die ihre Milliarden vor allem mit Rüstungslieferungen in den Nahen Osten machte. Berater bzw. Filialdirektor dieser Firma waren sowohl der Vater wie der Sohn Bush. (Zeit, 47/2000). Vorstand der Carlyle Corporation ist Frank Carlucci, der frühere US-Verteidigungsminister. Zu den Beratern der Firma zählt auch der frühere US-Außenminister Baker. Die Saudi Bin-Laden Group ist auch an der US-Investmentgesellschaft Fremont beteiligt, in deren Vorstand ein weiterer früherer US-Außenminister sitzt, George P. Shultz. Die Hausbank der Binladens im Westen, die Citigroup, wird wiederum von einem früheren US-Finanzminister geführt, von Robert Rubin. Es ist ein enges Geflecht von Interessen und Personen, ein fester Texas-Wallstreet- Golf-Block.

Die USA werden diesen Block sichern und jede demokratisch-säkulare wie fundamentalistisch-islamische Opposition unterdrücken. Natürlich wird so keine politische Stabilität erreicht. Aber das ist gerade der Witz. Da man auf Bajonetten nicht sitzen kann, haben die USA beschlossen, sie ständig kriegerisch einzusetzen. Sie wollen gar keine Stabilität, sie wollen eine Lage, in der sie jederzeit unter Hinweis auf terroristische Gefahren oder Gefährdung des freien Flusses von Öl und anderen Ressourcen oder der Transportwege des globalen Imperialismus schlechthin militärisch eingreifen können. Der Krieg gegen den Terror werde lange dauern, vielleicht Jahrzehnte, hat Präsident Bush gesagt - der dritte Weltkrieg findet statt in Form der permanenten militärischen Intervention.

Aus: Fred Schmidt/Conrad Schuhler, Krieg ums Erdöl - Zwischen Kaspischem Meer und Nahem Osten entscheidet sich die Zukunft des globalen Imperialismus (isw-spezial-Nr. 15), hrsg. vom institut für sozial-ökologische wirtschaftsforschung e.V., S. 28-30.
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