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Vom Nordpolarmeer in die Karibik

Russische Kriegsschiffe mit Kurs Venezuela

Irina Wolkowa, Moskau *

Noch pflügen die am Montag ausgelaufenen russischen Kriegsschiffe das Europäische Nordmeer. In Kürze wird der Verband in den Atlantik einlaufen und dann Kurs Südwest nehmen.

Ziel ist die Küste Venezuelas, wo die ersten gemeinsamen Manöver beider Staaten stattfinden. Für die Mission, an der neben dem Raketenkreuzer »Peter der Große« – dem Flaggschiff der russischen Nordmeerflotte – auch mehrere Atom-U-Boote mit Sprengköpfen an Bord beteiligt sein sollen, wie die »Nesawissimaja Gaseta« schreibt, hat der Generalstab in Moskau insgesamt zwei Monate veranschlagt. Beide Seiten wollen bei dem Manöver laut offizieller Darstellung neben Suche und Rettung von Schiffbrüchigen auch das Zusammenwirken der Stäbe üben. Auch der Einsatz von Marinefliegern ist vorgesehen.

Die Übung, so Flottensprecher Igor Dygalo, sei bereits vor einem Jahr geplant worden und habe nichts mit den aktuellen Entwicklungen zu tun. Experten sprechen dennoch von einer Demonstration der Stärke in der Karibik. Zumal erst vor ein paar Tagen zwei russische Langstreckenbomber des Typs TU-160 von einem Patrouillenflug aus der Region zurückgekehrt sind. Hartnäckig halten sich in Moskau auch Gerüchte, wonach Russland nicht nur die Wiederinbetriebnahme sowjetischer Basen in Kuba, sondern auch die Einrichtung neuer Stützpunkte in Venezuela plant. Entsprechende Zusagen soll Präsident Dmitri Medwedjew von Hugo Chávez, seinem Amtskollegen aus Caracas, bei dessen Besuch im Juli erhalten haben. Moskau revanchierte sich dafür mit umfangreichen Lieferungen von Militärtechnik zu Freundschaftspreisen und hebelt dadurch ein 2006 von Washington verhängtes Waffenembargo gegen Venezuela aus.

Das sorgte bereits vor Beginn der Kaukasus-Krise für weitere Trübungen im amerikanischrussischen Verhältnis. Durch die russisch-venezolanischen Manöver dürfte Washington sich erneut herausgefordert sehen. Umso mehr, da Moskau momentan auch in anderen Regionen die Muskeln spielen lässt.

Erst vor ein paar Tagen übte die Baltische Flotte bei Kaliningrad den Sturm gut befestigter Teile der Ostseeküste. Und gestern begannen gemeinsame Manöver mit Belarus, an denen sämtliche Teilstreitkräfte und alle Militärbezirke – von Brest bis Wladiwostok – beteiligt sind. Den Oberbefehl bei »Stabilität 2008« führt Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow, das Drehbuch hat Medwedjew persönlich bestätigt.

Geübt werden die Abwehr von Angriffen aus der Luft und aus dem Kosmos sowie Luftunterstützung für das Heer bei Offensiven der Organisation für Kollektive Sicherheit – dem Verteidigungsbündnis der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS. Allein das lässt aufhorchen. Denn Russlands Militärdoktrin ist nicht für den Angriffs-, sondern für den Verteidigungsfall konzipiert. Entsprechende Korrekturen für die Manöver, so die »Nesawissimaja«, seien erst in letzter Minute erfolgt und Moskaus »asymmetrische Antwort« auf Pläne der NATO für eine schnelle Eingreiftruppe. Diese will die Allianz angeblich an den Grenzen Russlands stationieren, um operativ auf Bedrohungen für die osteuropäischen Neumitglieder der Allianz reagieren zu können.

So jedenfalls zitierten hiesige Medien US-Verteidigungsminister Robert Gates. Dieser hatte auf einer Ratstagung am Freitag seine westeuropäischen Amtskollegen aufgefordert, Konsequenzen aus dem Krieg im Kaukasus zu ziehen, zu dem Moskau Georgien provoziert habe.

Das sei Politik im schlechtesten Sinne des Wortes, keilte Dmitri Rogosin, Russlands Botschafter bei der NATO, inzwischen zurück. Reale Chancen für eine schnelle Eingrifftruppe tendieren aus seiner Sicht allerdings gegen Null. Der Grund: Massive Probleme des Westens in Afghanistan und Irak.

* Aus: Neues Deutschland, 24. September 2008


Russlands Kriegsflotte zeigt Flagge im US-Hinterhof

Die Marineübung von Russland und Venezuela im Atlantik verspricht zu einem großen Schlagzeilenmacher zu werden

Von Ilja Kramnik **

Allein schon das Eintreffen der russischen Kriegsschiffe in der Karibik löst heftige Diskussionen aus, während die derzeitigen internationalen Spannungen das Gespenst des Kalten Krieges wieder erwachen lassen.

Das, was Russlands Marine im Atlantik macht, nennt man im Militärjargon „Flagge zeigen“. Das Ziel einer solchen Aktion besteht in der Regel darin, das Interesse an der Region zu bekräftigen und dem potentiellen Feind zu zeigen, dass er in dieser kritisch wichtigen Region angegriffen werden kann. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen nicht unbedingt schwere Schiffe entsandt werden. Seinerzeit wurden hierfür kleine Kanonenboote erfolgreich eingesetzt.

Die „Pjotr Weliki“ und das U-Boot-Abwehrschiff „Admiral Tschabanenko“, die bereits auf dem Weg zu Venezuelas Küste sind, sind die jüngsten und größten Überwasserschiffe der russischen Marine. Mit ihrer Entsendung will Russland nicht nur die Flagge hissen, sondern auch die Fähigkeit zeigen, seine Flagge zu schützen.

Wenn man die russische Marine mit der amerikanischen und der der Nato vergleicht, verweist man oft auf die kolossale zahlenmäßige Überlegenheit der Nato, gegen die die russische Flotte keine Chancen zu haben scheint. Die Stärke der US-Marine ist nicht bestreitbar. Doch man kann nicht überall stark sein. Ein unerwartetes Auftauchen von zwei schweren russischen Kriegsschiffen in der Karibik würde den USA um so mehr Sorgen machen, weil diese Region seit langem als ihr Hinterhof gilt.

Bei der „Pjotr Weliki“ und der „Admiral Tschabanenko“ handelt es sich um Mehrzweckschiffe. Die 25.000 Tonnen schwere „Pjotr Weliki“ ist mit dem Raketensystem P-700 Granit (20 Überschallraketen für die Bekämpfung von Schiffen) bewaffnet und in der Lage, alle Schiffstypen zu bekämpfen. An Bord des Raketenkreuzers befinden sich zudem Waffen für die U-Boot- und Luftabwehr.

Auch die „Admiral Tschabanenko“, die mit acht Anti-U-Boot-Raketen „Moskit“ sowie mit einem Flugabwehrsystem ausgerüstet ist, ist für die U-Boot-Jagd bestimmt. Die beiden Schiffe ergänzen sich und können dem Feind einen bedeutenden Schaden hinzufügen und dabei lange Zeit unversehrt bleiben.

Bei der jetzigen Atlantik-Reise kommt es wohl nicht auf die Feuerkraft der russischen Schiffe, sondern auf den Zweck ihrer Fahrt an. Die russische Regierung nutzt die Flotte zunehmend als politisches Instrument: Zuerst die Friedensoperation in Georgien, nun die Machtdemonstration vor der US-Küste.

Um auch weiterhin zu politischen Zwecken genutzt zu werden, muss die Marine aber modernisiert und mit neuen Waffen ausgestattet werden. Andernfalls können solche Machtdemonstrationen bald unwirksam werden.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 24. September 2008; http://de.rian.ru



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