Clinton lässt in Moskau Charme spielen
USA und Russland bekräftigen ihren Willen zum Neustart in den Beziehungen
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Die russisch-amerikanische Zusammenarbeit habe ein qualitativ höheres Niveau erreicht,
konstatierte Präsident Dmitri Medwedjew am Dienstagabend nach dem Treffen mit der USamerikanischen
Außenministerin Hillary Clinton.
Der G20-Gipfel in Pittsburgh und die UN-Vollversammlung Ende September haben nach
Medwedjews Ansicht gezeigt, dass Russland und die USA gewillt seien, auch für sehr komplizierte
Fragen Antworten zu finden: Nahost, Iran, Nordkorea, Abrüstung und Rüstungskontrolle.
Vor der Begegnung auf Medwedjews Landsitz Barwicha bei Moskau hatte Hillary Clinton mehrere
Stunden lang mit ihrem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow konferiert. Die anschließende
Pressekonferenz zeigte, dass der von beiden Präsidenten bei Barack Obamas Moskau-Besuch
Anfang Juli ausgehandelte Neustart der beiderseitigen Beziehungen bereits Tritt gefasst hat und die
gemeinsamen Schnittmengen erheblich größer sind als in der Ära Bush. Außer in Sachen Georgien,
wo beider Standpunkte einander nach wie vor entgegengesetzt sind, stellten Beobachter mehr oder
minder einstimmig die zunehmende Nähe der Positionen fest.
Schärfere Sanktionen gegen Iran halten beide derzeit für kontraproduktiv. Vor ein paar Monaten
hatte man in Washington noch laut über Bombenschläge gegen Teheran nachgedacht. Auch bei der
Raketenabwehr setzen Washington wie Moskau statt auf Konfrontation auf Kooperation. Russische
Medien meldeten, Clinton habe Medwedjew diesbezügliche Vorstellungen der USA in groben Zügen
erläutert. Die Außenministerin bestätigte dies, wollte sich zu Details, über die Experten beider Seiten
verhandeln sollen, jedoch noch nicht äußern.
Auch der Zeitplan für die Unterzeichnung eines Folgeabkommens für den am 5. Dezember
auslaufenden START-I-Vertrag zur Begrenzung strategischer Offensivwaffen wird Hillary Clinton
zufolge eingehalten. Obwohl sich die Verhandlungen der Experten in Genf extrem schwierig
gestalten. Russische Beobachter rechnen mit etappenweisen Reduzierungen bei
Langstreckenraketen und Kernsprengköpfen und glauben, dass beide Seiten sich letztendlich auf je
800 Gefechtsköpfe einigen werden. Clinton stellte zudem in Aussicht, dass russische Militärs USamerikanische
Atomobjekte besuchen dürfen.
Beide Präsidenten, erklärte Clinton in einem Exklusivinterview für Radio »Echo Moskwy«, vertrauten
einander, die Chemie zwischen ihnen stimme. Mehr noch: Clinton bekannte sich indirekt sogar zum
Konzept einer Welt mit mehreren Schwerkraftzentren, das Russland seit langem verficht. Auch will
Washington künftig auf öffentliche Kritik an Russlands Sonderweg zur Demokratie verzichten. So
jedenfalls interpretierten russische Kommentatoren eine Unterredung zwischen Obamas Russland-
Berater Michael MacFaul und Wladislaw Surkow, dem Chefideologen des Kremls. Auch hier sei ein
»radikaler Kurswechsel nötig«, zitierte die Zeitung »Kommersant« den US-Amerikaner.
Hillary Clintons Dementi dazu fiel matt aus. Dafür rügten Aktivisten der russischen Opposition, die
sie zuvor in der Moskauer US-Botschaft empfangen hatte, Washingtons Pragmatismus in scharfen
Worten. Ein Verzicht auf die Demokratisierung Russlands, befand Ludmila Alexejewa, die große alte
Dame der russischen Dissidentenbewegung, gefährde die Stabilität weltweit, die Vergabe des
Friedensnobelpreises an Obama sei daher womöglich voreilig gewesen.
Beobachter erklären Clintons Charmeoffensive vor allem damit, dass Washington sich Russlands
Unterstützung beim Streit um Irans Atomprogramm sichern will. Fragezeichen stehen jedoch hinter
Moskaus realem Einfluss auf Teheran. In Iran misstraut man dem nördlichen Nachbarn aufgrund
historischer Erfahrungen gründlich.
Trotz allen Mediengetöses ist die von Iran ausgehende Bedrohung nicht die eigentliche
Herausforderung für Obama. Mehr noch: Die USA brauchen Iran für das Krisenmanagement in
Afghanistan. In noch größerem Maße sind sie dort jedoch auf Kooperation mit Russland
angewiesen. Und geradezu natürliche Verbündete sind die USA und Russland, wenn es gilt, die
Supermacht der Zukunft in Schach zu halten: China, das die USA nach Ende der Krise als führende
Wirtschaftsmacht beerben könnte und sich für Russland zum Konkurrenten in Zentralasien mausert.
* Aus: Neues Deutschland, 15. Oktober 2009
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Russland behält sich atomaren Erstschlag vor
Russland behält sich nach den Worten eines ranghohen Regierungsvertreters weiterhin den Ersteinsatz von Atomwaffen vor, und zwar in regionalen und selbst lokalen Konflikten.
Zwar machten die laufenden Abrüstungsverhandlungen mit den USA Fortschritte, doch könnte die Sicherheit Russlands durch regionale Kriege gefährdet werden, sagte der Sekretär des nationalen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, der Zeitung "Iswestija". "Im Fall einer schweren Gefährdung der nationalen Sicherheit können wir daher einen atomaren Erstschlag nicht ausschließen", ergänzte Patruschew zur Erläuterung der überarbeiteten Militärdoktrin seines Landes. Die neuen Grundsätze würden Präsident Dmitri Medwedjew, der dem Sicherheitsrat vorsitzt, Ende des Jahres vorgelegt.
Russische Armee von Atomwaffenarsenal abhängig
Die Bedingungen für den Einsatz von Atomwaffen zur Abwehr einer Aggression in regionalen und sogar örtlichen Kriegen seien überarbeitet worden, fügte Patruschew ohne Nennung von Details hinzu. Die russischen Streitkräfte sind mangels moderner Ausrüstung von ihrem noch immer großen Atomwaffenarsenal abhängig. Die Führung in Moskau verweist mit Stolz auf ihren schnellen militärischen Erfolg im Krieg gegen das kleine Georgien im vorigen Jahr. Russland-Experten zweifeln jedoch, dass das Land eine größere und stärkere Nation mit der selben Leichtigkeit in die Schranken verweisen kann.
www.tagesschau.de, 13. Oktober 2009
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