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Russland-USA: Mal Freund, mal Feind

Von Ilja Kramnik *

Am 16. November feierten Russland und die USA den 75. Jahrestag der Wiederaufnahme der nach der Oktoberrevolution abgebrochenen diplomatischen Beziehungen.

In dem inzwischen vergangenen Dreivierteljahrhundert verliefen die Beziehungen nicht immer glatt, doch muss gesagt werden, dass davon in der ganzen Welt sehr viel abhing. Diese Abhängigkeit dehnte sich auf alle Bereiche aus, darunter und vor allem auf den militärischen.

Die ersten militärischen Kontakte zwischen den USA und der UdSSR wurden noch vor der offiziellen Anerkennung der Sowjetunion durch die US-Regierung aufgenommen. Nach Beendigung des Bürgerkriegs ging die Sowjetunion daran, die Industrie, darunter auch die militärische, intensiver wiederaufzubauen. Das erforderte Zugang zu modernen Technologien und Industrieerzeugnissen. Eine der Quellen solcher Technologien waren die USA. Es ist unmöglich, alle Modelle von Militärtechnik aufzuzählen, die die Sowjetunion in den USA kaufte, um sie zu erforschen, zu nutzen und später in eigenen Betrieben nachzubauen.

Es genügt, Erzeugnisse zu erwähnen, die bei der Entwicklung der sowjetischen Militärtechnik die bedeutendste Rolle spielten: Flugtriebwerke "Wright-Cyclon", deren verbesserte Kopien Zehntausenden sowjetischen Kampfflugzeugen eingebaut wurden; die Militärtransportflugzeuge DC-3, die in der UdSSR mit dem Namen Li-2 hergestellt wurden; die Panzer von Ingenieur Christie, die einen Prototyp der legendären BT-Serie darstellten, und vieles andere.

Der Umfang der Zusammenarbeit nahm mit Beginn des Zweiten Weltkriegs merklich zu, als die UdSSR nach dem Lend-Lease-Programm Hilfe zu bekommen begann. Ohne die Bedeutung dieser Hilfe zu übertreiben, muss dennoch gesagt werden, dass sie für den Sieg der UdSSR sehr wichtig war. Der Sieg wäre natürlich errungen worden, aber um einen höheren Preis. Viele Kriegsteilnehmer denken bisher dankbar an die amerikanischen Jäger R-39 und R-40, die Sherman-Panzer, die Studebecker-Lkw, die Willys-Jeeps und die andere Ausrüstung und Ausstattung bis hin zu den damals an die Sowjetunion gelieferten Schiffs- und Flugzeugradaren.

Dennoch wurde bereits in den Kriegsjahren das Fundament für die künftige Rivalität beider Supermächte gelegt. Die USA begannen dabei mit der Entwicklung von Atomwaffen. Die UdSSR wollte ihnen nicht nachstehen und startete auch ihr Atomprojekt, bei dessen Realisierung Angaben der sowjetischen Aufklärung eine große Rolle spielten. Sie stammten vom Territorium des Alliierten von vor kurzem, der sehr bald zu einem potentiellen Gegner werden sollte. Nach Beginn des Kalten Kriegs hörte die Kooperation zwischen der UdSSR und den USA keineswegs auf. Sie fand ihre Fortsetzung in Form der Rivalität und des Wettbewerbs, bisweilen am Rande eines weltweiten Atomkriegs. Dennoch war die Konkurrenz viele Jahrzehnte lang ein mächtiger Motor des weltweiten wissenschaftlich-technischen Fortschritts.

Die Notwendigkeit, auf die Neuentwicklungen des Gegners eine adäquate Antwort parat zu halten, bewirkte in beiden Ländern eine rasante Entwicklung der Ingenieurwissenschaften. Die militärische Rivalität gab einen Impuls zu kolossalen Errungenschaften des menschlichen Genius des 20. Jahrhunderts wie Atomenergieanlagen, Computer und das Internet sind. Schließlich erlaubte es gerade diese Rivalität beider Länder, die nicht nur die militärische Überlegenheit übereinander anstrebten, sondern auch der ganzen Welt ihre jeweilige Macht demonstrieren wollten, dem Menschen, in den Weltraum vorzustoßen, die Erdumlaufbahn und den Mond zu erreichen und, wenn auch mit Hilfe von unbemannten Flugapparaten, über die Grenze des Sonnensystems hinauszugelangen.

Dennoch raubte das Wettrüsten zuviel Kraft und führte zur Anhäufung immer größerer Waffenvorräte, die das Leben auf der Erde nicht gerade gemütlich machten. Im Ergebnis vereinbarten die UdSSR und die USA eine Reduzierung der strategischen Atomwaffenvorräte, was die internationale Lage entspannen half. Die Beendigung des Kalten Kriegs, die mit dem Zerfall der UdSSR einher ging, machte die Welt jedoch nicht sicherer: An die Stelle der vorhersagbaren und rationalen Konfrontation beider Supermächte kamen zahlreiche kleine Brandherde. Gestärkt wurden sie dadurch, dass die Supermächte ihre veralteten Waffen an Konfliktseiten verkauften.

Die Politik der USA in den letzten Jahren hat die Welt nicht sicherer gemacht. Sie ist auf die Nato-Erweiterung und darauf gerichtet, entlang der russischen Grenze eine Barriere aus US-Satellitenländern zu errichten. Das Ergebnis waren die Rückkehr der Begriffe aus den Kalte-Krieg-Zeiten in die diplomatischen Praktiken und der Start einer neuen Spirale der militärischen Konfrontation.

Angesichts der jetzigen Weltfinanzkrise und der äußerst hohen Gefahr der Entstehung großer Regionalkonflikte kann eine solche Rivalität wohl kaum einen neuen technologischen Vorwärtssprung herbei führen. Dafür wird sie sicherlich größere Spannungen nach sich ziehen.

In diesem Zusammenhang ist die Wiederherstellung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und den USA von kolossaler Bedeutung.

Unsere beiden Länder waren lange Zeit Rivalen in verschiedenen - großen und kleinen - Konflikten. Doch in Kriegen, in denen über das Schicksal der Menschheit entschieden wurde, waren sie Verbündete, vereint durch ein gemeinsames Ziel und die Hoffnung auf eine bessere Weltordnung. Die politische Kultur Russlands und der USA in der heutigen Zeit wurzelt in den gleichen humanistischen Losungen der Großen Französischen Revolution.

Man möchte glauben, dass diese Gemeinsamkeit wirksamer sein als politische Differenzen und es erlauben wird, gemeinsame Entwicklungsziele zu finden - aber ohne eine Erneuerung der militärischen Konfrontation.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 18. November 2008; http://de.rian.ru


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