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Eurasische Union unter Druck

Kasachstans Präsident kritisierte auf Minsker Gipfel russischen Protektionismus

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Kasachstans Präsident fordert umfassende Reformen der Euroasiatischen Wirtschaftsunion und kritisiert den russischen Protektionismus.

Die gute Nachricht für den Kreml: Zwei weitere ehemalige Republiken der Sowjetunion – Armenien und Kirgistan – wollen der Zollunion als Vollmitglieder beitreten. Sie ist Kernstück der 2011 von Russland, Belarus und Kasachstan gegründeten Euroasiatischen Wirtschaftsunion, die die Reintegration der einstigen Sowjetrepubliken vorantreiben soll. Als Idealfall dürfte gelten, wenn sie verhindern könnte, dass prowestliche UdSSR-Spaltprodukte wie die Ukraine sich für Assoziierungsabkommen mit der EU entscheiden.

Eine Arbeitsgruppe, so kündigte Russlands Präsident Wladimir Putin in der belarussischen Hauptstadt Minsk an, wo Donnerstagabend eine turnusmäßige Sitzung des Höchsten Rates der Wirtschaftsunion begann, werde bereits in Kürze einen detaillierten Plan für den Einstieg der Neumitglieder in die Integrationsprojekte vorlegen.

Indien – neben China einer der wichtigsten Handelspartner Russlands und der zentralasiatischen Republiken – hat zudem sein Interesse an einer Freihandelszone mit der Zollunion bekundet. Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew möchte gern auch einen weiteren potenten Partner ins Boot holen: die Türkei. Deren Präsident, so ließ Nasarbajew sich von der Nachrichtenagentur RIA Nowosti zitieren, habe ihn ausdrücklich um diesen Gefallen gebeten. Ankara ist frustriert von den offenkundig nicht ergebnisorientierten Gesprächen mit der Europäischen Union über einen konkreten Termin für Beitrittsverhandlungen. Nun versucht es, seinen Einfluss in ehemaligen Provinzen des Osmanischen Reichs und in Zentralasien wiederherzustellen. Die meisten dort lebenden Völker sind enge ethnische Verwandte der Türken.

Um attraktiv für neue Partner zu sein, warnte Nasarbajew, müsse die Euroasiatische Wirtschaftsunion sich jedoch zu umfassenden Reformen durchringen. Handlungsbedarf sieht er – und das ist die schlechte Nachricht für Wladimir Putin – vor allem bei Russland. Sein Land, kritisierte der Kasache, sei beim Verkauf von Waren innerhalb der Zollunion nach wie vor mit massiven Problemen und strengen Auflagen konfrontiert. Russland halte an rigiden Importbestimmungen fest, stelle bei der Einfuhr von Fleisch, Milch und anderen Agrarprodukten zuweilen unerfüllbare sanitäre Forderungen. Vor allem aber könne Kasachstan seinen Strom weder an Russland selbst verkaufen noch dessen Netze für die Durchleitung nutzen.

Außerdem verlangte Nasarbajew die Auflösung der 2005 gegründeten Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft. Deren Strukturen würden die der Euroasiatischen Wirtschaftsunion doublieren, auch seien die Mitglieder in etwa identisch. Putin indes hält den Vorschlag für übereilt und warnte: Damit würde in Teilen das rechtliche Fundament, auf dem die Zollunion errichtet wurde, eingerissen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 26. Oktober 2013


Kein Bruderbund mit dem Kreml

Von Klaus Joachim Herrmann **

Mit seinen Nachfolgebündnissen als Ersatz für die zerfallene Sowjetunion hatte der Kreml bislang recht wenig Glück. Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) kam nie in Schwung. Nun knirscht es weithin hörbar in der Eurasischen Wirtschaftsunion. Dabei sollen gerade mit ihrer Hilfe alte Bindungen mit Russland wenigstens erhalten, wieder angeknüpft und bestenfalls sogar neue hergestellt werden.

Vor allem für die Zollunion gibt es sogar weitere Interessenten und Bewerber. Doch Kasachstans Präsident Nasarbajew legte auf dem Minsker Gipfel eine lange Mängelliste vor. Die richtet sich unverhohlen gegen Russland selbst. Das stellt an den Grenzen immer wieder kaum erfüllbare und zuweilen auch überraschend neue Forderungen an Importgüter oder verweigert den Transit. Längst kein Geheimnis mehr ist inzwischen, dass auch Pipelines nicht nur unter dem Druck von Gas und Öl, sondern auch der Politik stehen.

Innerhalb eines vermeintlich freundschaftlichen Bruderbundes musste von der östlich herrschenden Führungsmacht einst hingenommen werden, was heute auf Widerstand trifft. Kein Partner will seine Interessen noch in unverbindlichen Freundschaftsbeteuerungen verschwimmen sehen – ein Ansatz, zu dem mancher im Westen wohl erst noch finden muss.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 26. Oktober 2013 (Kommentar)


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