Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Sicherheit durch Entwicklung"

Ein im Mai verabschiedetes Strategiepapier skizziert die Grundlagen zum Schutz der Russischen Föderation

Egbert Lemcke und Frank Preiß *

Am 12. Mai 2009 unterzeichnete der russische Präsident Dmitri Medwedew den Ukas Nr. 537 »Über die Strategie der nationalen Sicherheit der Russischen Föderation bis zum Jahr 2020«. Die Skepsis gegenüber derartigen Papieren ist hierzulande so traditionell wie in Rußland selbst – war doch auch das Vorgängerdokument, die »Konzeption der nationalen Sicherheit« aus dem Jahr 1997 eher behördliche Rhetorik als wirkliche Arbeitsgrundlage. Die neue Strategie gibt jedoch einigen Anlaß zu anderer Erwartung. Während die »Konzeption« von 1997 nach den Worten von Nikolaj D. Patruschew, Sekretär des Sicherheitsrates, lediglich die Handlungsrichtung des Staates in den einzelnen sicherheitsrelevanten Sphären formulierte, ändere die nun aktuelle »Strategie« das Prinzip zur Gewährleistung der nationalen Sicherheit grundlegend. Eine zunehmend komplexe und geänderte innere und äußere Gefahrenlage, aber auch ein im Vergleich zu den 90er Jahren merklich konsolidiertes Rußland drängen zu einem neuen Verständnis von Sicherheit. Als Handlungsrichtungen werden strategische Prioritäten benannt, die in ihrer wechselseitigen Beziehung zueinander entwickelt werden. Diese Prioritätsrichtungen sind: die nationale Verteidigung, die staatliche und gesellschaftliche Sicherheit – aber gleichermaßen auch: die Erhöhung der Lebensqualität der Bürger, wirtschaftliches Wachstum, Wissenschaft, Technologie, Bildung, Gesundheitswesen und Kultur, Ökologie und rationale Nutzung der Natur, strategische Stabilität und Gleichberechtigung in den internationalen Beziehungen. Bemerkenswert dabei: Die Gewährleistung von würdigen Lebensbedingungen für die Bürger Rußlands wird als gleichrangig gegenüber den traditionellen Schwerpunkten wie Verteidigungsfähigkeit und staatliche Sicherheit betrachtet. Diese soziale und sozialpolitische Schwerpunktsetzung ist tatsächlich neu, kann aber angesichts der sozialen Zustände nicht verwundern.

Langfristige Orientierung

Der Hauptinhalt der außenpolitischen Prioritäten besteht in der Schaffung von günstigen Bedingungen für eine stabile Entwicklung des Landes und zur Gewährleistung der nationalen Sicherheit. Dies bedeutet eine langfristige Orientierung auf die Schaffung von internationalen Beziehungen, basierend auf den Prinzipien der Gleichberechtigung, und einer gegenseitig vorteilhaften Zusammenarbeit der Staaten, gestützt auf internationales Recht, sowie die Gewährleistung einer zuverlässigen und gleichen Sicherheit für alle Partner. Für den Schutz der eigenen nationalen Interessen will Rußland dazu eine rationale und pragmatische Außenpolitik führen, die eine aufwendige Konfrontation und ein neues Wettrüsten ausschließt. Hier ist ein direkter Bezug auf die bereits am 12. Juli 2008 bestätigte »Konzeption der Außenpolitik der Russischen Föderation« zu erkennen.

Insgesamt präzisiert die »Strategie« die Ziele, wesentlichen Richtungen und Aufgaben zur Entwicklung eines Systems der Gewährleistung von nationaler Sicherheit für die kurzfristige (bis 2012), mittelfristige (bis 2015) und langfristige Perspektive (bis 2020). Die Hauptaufmerksamkeit konzentriert sich auf die Fragen der Gewährleistung von nationaler Sicherheit in jeder der strategischen nationalen Prioritäten. Dabei wird nach einem einheitlichen methodologischen Schema vorgegangen: Analyse der jeweiligen Gefahren – Maßnahmen zu deren Neutralisierung.

Der abschließende Teil enthält organisatorische, normative, rechtliche und informatorische Fragen der Umsetzung der Strategie. Neu ist hier auch, daß ein Bewertungssystem für den Zustand nationaler Sicherheit über Kontrollkennzahlen eingeführt wird, das wiederum einer periodischen Präzisierung unterliegen soll.

Praktischer Anspruch

Auf der Sitzung des Sicherheitsrates am 24. März 2009, auf der dieses Dokument abschließend erörtert wurde, betonte Patruschew die praktische Ausrichtung und den bewußten Verzicht auf ausländische Phraseologien. Ziel ist es, das Konzept zur Grundlage der gesamten strategischen Planung im Sicherheitsbereich zu machen. Diese soll durch zwei weitere Dokumente konkretisiert werden: »Grundlagen der strategischen Planung in Rußland« sowie, als deren Bestandteil, eine »Liste der Kriterien und Kennwerte der nationalen Sicherheit«. Nach Aussagen von Patruschew mangelt es bisher in Rußland prinzipiell an einer einheitlichen Struktur zur Vorbereitung von Dokumenten der strategischen Planung, so daß dieser Prozeß häufig durch die jeweiligen behördlichen Interessen dominiert wurde. Ein eigentlich unhaltbarer Zustand, der aber erklärt, weshalb bisher wichtigste Fragen der nationalen Sicherheit in einigen offiziellen Dokumenten lediglich formal benannt wurden. Schlimmer noch, Entwicklungskontinuitäten brechen bei einem bloßen Wechsel von Personen und behördlichen Zuständigkeiten fast zwangsläufig ab, tatsächliche Entscheidungen fallen auf Basis von Voluntarismus und Klientelpolitik – und zwar unabhängig von ihrer strategischen Relevanz für die nationale Sicherheit insgesamt. Die sowjetische und auch insbesondere jüngere russische Geschichte kennt eine Fülle derartiger Beispiele für sicherheitspolitische Brüche.

Beide Dokumente wurden auf einer operativen Beratung des Sicherheitsrates im Januar dieses Jahres erörtert. Im Ergebnis gelangte man auf Vorschlag der Regierung dahin, die Fragen der stabilen sozialpolitischen Entwicklung und der Gewährleistung von nationaler Sicherheit inhaltlich zu verbinden. Insgesamt sind die »Grundlagen« nun darauf ausgerichtet, daß der Sicherheitsrat seine Funktion im Interesse der Vorbereitung von Entscheidungen des Präsidenten zur Bestimmung der Prioritäten der Innen- und Außenpolitik des Staates effektiv erfüllen kann. Dadurch soll nun ein System von Dokumenten entstehen, Mechanismen der strategischen Planung, aber auch die Überwachung des Entwicklungsniveaus des Staates und des Zustandes der nationalen Sicherheit ermöglicht werden. So ist geplant, dem Präsidenten noch in diesem Jahr die folgenden weiteren Dokumente zur Bestätigung vorzulegen: die »Militärdoktrin der Russischen Föderation«, die »Doktrin der Lebensmittelsicherheit der Russischen Föderation für den Zeitraum bis 2020« sowie die »Konzeption der staatlichen und nationalen Politik der Russischen Föderation für den Zeitraum bis 2020«.

Die »Strategie« und die »Grundlagen« sollen also zu den systembildenden Dokumenten der strategischen Planung werden. Untrennbarer Bestandteil dieses Systems ist auch die bereits am 17. November 2008 unter Nr. 1662-r [1] vom Regierungsvorsitzenden bestätigte »Konzeption der langfristigen sozialökonomischen Entwicklung der Russischen Föderation für den Zeitraum bis 2020«. Diese umfaßt 194 Seiten, entspricht bezüglich der Idee, der Struktur und des Inhalts bereits der »Strategie« und ist detailliert mit Zahlen unterlegt. Hierin wurde beispielsweise schon die sehr ambitionierte Forderung formuliert, daß Rußland im Zeitraum 2015 bis 2020 zu den fünf führenden Staaten nach dem Bruttoinlandsprodukt (gemessen nach Kaufkraftparität) aufgeschlossen haben soll. Die »Strategie« bestätigt diesen Anspruch lediglich nochmals, nun jedoch unter den aktuellen Bedingungen einer globalen Wirtschafts- und Finanzkrise.

Bündnispolitik

Einen Mangel an Selbstsicherheit kann man diesem Dokument ebensowenig bescheinigen wie Kurzatmigkeit. Die Arbeiten an der »Strategie« begannen bereits 2004. Sie kamen jedoch sehr schnell zum Erliegen. Ab Juni 2008 wurde die Vorbereitung des Strategieprojekts dann entsprechend einer speziellen Auflage Medwedews beschleunigt. Im September 2008 äußerte der Präsident dann erstmals öffentlich, daß die Strategie der nationalen Sicherheit eine Präzisierung erfordere. Dies geschah auf der Sitzung des Sicherheitsrates, die sich mit dem Überfall georgischer Truppen auf Südossetien befaßte. Es dürfte also vor allem die drastisch veränderte geopolitische Konstellation im unmittelbaren Umfeld Rußlands sein, die die Entstehung dieses Dokuments beschleunigte. Entwickeln sich doch die Konflikte im 21. Jahrhundert nicht, wie es die Chefredakteurin der Iswestija im Interview mit Nikolaj Patruschew am 15. Mai 2009 [2] provokant formulierte, nach den Plänen der Generalstäbe, sondern, in Anspielung auf den Zugriff auf wichtige Rohstoffe, nach Mendelejews Periodensystem. Ebenso deutlich wie die Fragestellung war Patruschews Antwort: Im Kampf um die globalen Ressourcen gehe es frei nach dem britischen Geographen und Geopolitiker Halford Mackinder (1861–1947) im Kern um die Kontrolle Eurasiens. Um alle geographischen Zweifel auszuräumen, erinnerte er dann an diesen Raum zwischen Nördlichem Eismeer und den Bergmassiven im Süden und Osten des Kontinents und betonte, daß dieser annähernd dem der verblichenen Sowjetunion entspräche, einschließlich eines Teils von Zentral- und Westeuropa im Westen sowie Tibet und der Mongolei im Osten. Diese Aussage impliziert natürlich auch einen weitsichtigen, wahrhaft strategischen Umgang mit seinen »natürlichen Verbündeten« im Raum der GUS – in der täglichen politischen Praxis durchaus keine Selbstverständlichkeit, wie der schwierige Weg zu Unionsstaat und Zollunion mit Belarus zeigt.

Stärkung der Machtvertikalen

Am 23. März unterzeichneten die EU und die Ukraine eine Deklaration über die Modernisierung des ukrainischen Gastransportsystems. Rußland wurde in keiner Form einbezogen. Auf der genannten Beratung des Sicherheitsrates am folgenden Tag fragte Regierungschef Putin demonstrativ verwundert, von welchem Gas dort die Rede gewesen sein soll, wenn nicht von russischem. – Die Aussagen der »Strategie« zur Energiesicherheit dürften daraufhin bis zum 12. Mai nochmals überprüft worden sein.

Der sehr vielschichtige Entstehungsprozeß dieses Dokuments unter der Ägide einer zwischenbehördlichen Arbeitsgruppe beim Nationalen Sicherheitsrat weckt Erwartungen. Die Schöpfer sind sich offenbar bewußt, daß der Erfolg der Umsetzung dieser »Strategie« wie auch der Prozeß ihrer Erarbeitung keine alleinige behördliche Angelegenheit sein kann. Das Ziel scheint klar: Kompetenzstärkung der Machtvertikalen durch breiteste Beteiligung gesellschaftlicher Kräfte.

Ein erster Prüfstein für das Funktionieren der strategischen Vertikale in all ihren Facetten dürften die beginnenden Verhandlungen mit den USA zu den strategischen Rüstungen sein. Öffentliche militärpolitische Diskussionen [3] zeugen in Rußland schon heute von der immer wieder berechtigten Sorge, daß gerade in solchen Situationen, wie mehrfach in der Vergangenheit geschehen, strategische Positionen zum Schaden für die Sicherheit des Landes selbstherrlich und leichtfertig aufgegeben wurden. Hat man inzwischen in Rußland gelernt, daß sich sicherheitspolitische Geschenke an westliche »Partner« bisher in aller Regel in einen dauerhaften strategischen Nachteil für das eigene Land umkehrten?

Fußnoten
  1. www.government.ru/content/governmentactivity/rfgovernmentdecisions/archive/2008/11/17/2982752.htm
  2. www.scrf.gov.ru/news/440.html
  3. siehe z. B.: nvo.ng.ru/armament/2009-05-29/8_weapon.html?insidedoc

Dokumentiert:

Auszüge aus der »Strategie der nationalen Sicherheit«

I. Allgemeine Lage

1. Rußland hat die Folgen der politischen und sozial-ökonomischen Systemkrise Ende des 20. Jahrhunderts überwunden. Der Rückgang des Lebensstandards und die Verringerung der Lebensqualität der russischen Bürger wurden gestoppt. Rußland hat dem Ansturm des Nationalismus, des Separatismus und des internationalen Terrors standgehalten. Die Diskreditierung des verfassungsrechtlichen Systems wurde abgewehrt, die Souveränität und territoriale Integrität wurden erhalten. Die Möglichkeiten für die Stärkung der Konkurrenzfähigkeit Rußlands und die Fähigkeit zur Verteidigung der nationalen Interessen wurden wieder hergestellt. Damit besitzt Rußland Eigenschaften, die es als ein Schlüsselsubjekt der sich herausbildenden multipolaren internationalen Beziehungen ausweist.

Es wird eine den inneren und äußeren Bedingungen angepaßte staatliche Politik der nationalen Verteidigung, der staatlichen und gesellschaftlichen Sicherheit und der stabilen Entwicklung Rußlands umgesetzt. Die Voraussetzungen für die Festigung des Systems der Gewährleistung der nationalen Sicherheit und der Konsolidierung des Rechtsraumes sind geschaffen worden. Die grundlegendsten Aufgaben auf ökonomischem Gebiet wurden gelöst. Die Anziehungskraft für Investitionen in die nationale Wirtschaft ist gewachsen. Es gibt eine Wiederbelebung wahrhaft russischer Ideale, des geistigen Lebens sowie eines würdevollen Umgangs mit dem historischen Gedächtnis. Der auf gemeinsamen Werten beruhende gesellschaftliche Konsens festigt sich. Solche Werte sind die Freiheit und Unabhängigkeit des russischen Staates, der Humanismus, der internationale Frieden und die Einheit der Kulturen des multinationalen Volkes der Russischen Föderation, die Achtung der Familientraditionen und der Patriotismus.

Es formieren sich die Voraussetzungen für die zuverlässige Abwehr der inneren und äußeren Bedrohungen der nationalen Sicherheit, für die dynamische Entwicklung der Russischen Födera­tion zu einer der führenden Mächte hinsichtlich des technischen Fortschrittes, der Lebensqualität der Bevölkerung und des Einflusses auf die internationalen Prozesse.

Unter den Bedingungen der Globalisierung der Prozesse der weltweiten Entwicklung, der internationalen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen, der sich herausbildenden neuen Gefahren und Risiken für die Entwicklung der Persönlichkeit, der Gesellschaft und des Staates vollzieht Rußland, in seiner Eigenschaft als Garant einer erfolgreichen nationalen Entwicklung, den Übergang zu einer neuen Staatspolitik auf dem Gebiet der nationalen Sicherheit.

2. Die grundlegenden Richtungen der Gewährleistung der nationalen Sicherheit der Russischen Föderation werden durch die strategischen nationalen Prioritäten definiert. Diese bestimmen die wichtigsten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Veränderungen zur Schaffung von sicheren Bedingungen der Gewährleistung der verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten der Bürger der Russischen Föderation. Sie sichern die nachhaltige Entwicklung des Landes, die Erhaltung der territorialen Integrität und der staatlichen Souveränität.

3. Die Strategie der nationalen Sicherheit der Russischen Föderation bis zum Jahr 2020 ist das offiziell anerkannte System der strategischen Prioritäten, der Ziele und Maßnahmen der Innen- und Außenpolitik, welche den Zustand der nationalen Sicherheit und das Niveau der langfristigen stabilen Entwicklung des Staates bestimmen. (...)

4. Die vorliegende Strategie ist ein Grundlagendokument zur Planung der Entwicklung des Systems der Gewährleistung der nationalen Sicherheit der Russischen Föderation. In diesem wird die Reihenfolge der Handlungen und der Maßnahmen zur Gewährleistung der nationalen Sicherheit dargelegt. Das System der Gewährleistung der nationalen Sicherheit der Russischen Föderation bildet die Grundlage des konstruktiven Zusammenwirkens der Organe der Staatsmacht, der Organisationen und gesellschaftlichen Vereinigungen bei der Verteidigung der nationalen Interessen der Russischen Föderation und der Gewährleistung der Sicherheit der Persönlichkeit, der Gesellschaft und des Staates. (…)

II. Die gegenwärtige Welt und Rußland: Zustand und Entwicklungstendenzen

(...)

8. Die Welt entwickelt sich auf dem Weg der Globalisierung sämtlicher Sphären des internationalen Lebens. Dieses ist geprägt von einer hohen Dynamik und der Verflechtung der Ereignisse.

Die Widersprüche zwischen den Staaten haben sich, als Resultat der Globalisierungsprozesse und im Kontext der ungleichmäßigen Entwicklung und der Vertiefung des Unterschiedes im Wohlstandsniveau der Länder, verschärft. Werte und Entwicklungsmodelle wurden zu Gegenständen globaler Konkurrenz.

Die Verletzbarkeit aller Mitglieder der internationalen Gemeinschaft durch neue Gefahren und Herausforderungen hat zugenommen.

Im Ergebnis der Festigung neuer Zentren des wirtschaftlichen Wachstums und politischen Einflusses ist eine qualitativ neue geopolitische Situation entstanden. Es entwickelt sich die Tendenz, nach Lösungen bestehender Konflikte im regionalen Rahmen ohne die Teilnahme nichtregionaler Kräfte zu suchen. Das betrifft auch die Regulierung regionaler Krisensituationen.

Die Haltlosigkeit der bestehenden globalen und regionalen Architektur, die insbesondere in der euro-atlantischen Region allein auf die Organisation des Nordatlantischen Vertrages orientiert ist, wie auch die Unvollkommenheit der rechtlichen Instrumente und Mechanismen bilden zunehmend eine Bedrohung für die Gewährleistung der internationalen Sicherheit.

(…)

13. Langfristig strebt die Russische Föderation den Aufbau von internationalen Beziehungen, basierend auf den Prinzipen des Völkerrechts und der Gewährleistung einer zuverlässigen und für alle Seiten gleichen Sicherheit, an.

Zum Schutz seiner nationalen Interessen wird Rußland eine rationale und pragmatische Außenpolitik verfolgen, das Völkerrecht beachten und sich nicht auf eine aufwendige Konfrontation, ein neues Wettrüsten eingeschlossen, einlassen.

Rußland betrachtet die Organisation der Vereinten Nationen und ihren Sicherheitsrat als zentrale Elemente eines stabilen Systems der internationalen Beziehungen. Diese gründen sich auf die Achtung, die Gleichberechtigung und die gegenseitig vorteilhafte Zusammenarbeit der Staaten und stützen sich auf zivilisierte politische Instrumente zur Lösung globaler und regionaler Krisensituationen.

Rußland wird das Zusammenwirken mit solchen mehrseitigen Formaten wie der »Gruppe der Acht«, der »Gruppe der Zwanzig«, wie RIC (Rußland, Indien, China) und BRIC (Brasilien, Rußland, Indien, China) forcieren; darüber hinaus wird es auch die Möglichkeiten anderer informeller internationaler Institutionen nutzen.

Die Entwicklung von zwei- und mehrseitigen Beziehungen der Zusammenarbeit mit den Teilnehmerstaaten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten ist für Rußland die Hauptrichtung der Außenpolitik. Rußland strebt eine Entwicklung des Potentials der regionalen und subregionalen Integration und Koordination im Raum der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten an. Das vollzieht sich vorrangig im Rahmen der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten selbst als auch im Rahmen der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit und der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft, die eine stabilisierende Wirkung auf die allgemeine Lage in den an die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten angrenzenden Regionen ausüben.

(...)

III. Die nationalen Interessen der Russischen Föderation und strategische nationale Prioritäten

(...)

23. Die grundlegenden Prioritäten der nationalen Sicherheit sind die nationale Verteidigung sowie die staatliche und gesellschaftliche Sicherheit.

24. Zur Gewährleistung der nationalen Sicherheit konzentriert die Russische Föderation ihre Anstrengungen und Ressourcen auf die grundlegenden Prioritäten der nationalen Sicherheit sowie auf die folgenden Prioritäten einer stabilen Entwicklung:
  • die Erhöhung der Lebensqualität der russischen Bürger, indem ihnen die persönliche Sicherheit garantiert wird und sie einen hohen Lebensstandard besitzen;
  • das wirtschaftliche Wachstum, welches vorrangig durch die Entwicklung eines nationalen Innovationssystems und die Investition in menschliches Kapital gewährleistet wird;
  • die Wissenschaft, die Technologie, die Bildung, das Gesundheitswesen und die Kultur, welche sich durch die Festigung der Rolle des Staates und der Vervollkommnung staatlich-privater Partnerschaften entwickeln;
  • die Ökologie der Biosysteme und die rationale Nutzung der Natur, deren Erhaltung durch ausgewogene Konsumption, durch die Entwicklung fortschrittlicher Technologien und durch eine zielgerichtete Reproduktion des Potentials der natürlichen Ressourcen des Landes gesichert wird;
  • die strategische Stabilität und die gleichberechtigte strategische Partnerschaft, die sich auf der Grundlage der aktiven Teilhabe Rußlands an der Schaffung des Modells einer multipolaren Welt festigen und entwickeln.
(…)

IV. Die Gewährleistung der nationalen Sicherheit

(...)

30. Zu den Gefahren für die militärische Sicherheit zählt die auf das Erreichen eines erdrückenden militärischen Übergewichts zielende Politik einer Reihe wichtiger ausländischer Staaten. Das betrifft vor allem den Bereich der strategischen Kernwaffenkräfte, die Entwicklung von Hochpräzisions-, Informations- und anderen Hochtechnologiemitteln zur Führung des bewaffneten Kampfes. Weiterhin betrifft das die nichtnukleare strategische Bewaffnung, die einseitige Schaffung eines globalen Raketenabwehrsystems und die Militarisierung des erdnahen Weltraums. Das alles ist geeignet, zu einer neuen Spirale des Wettrüstens zu führen und die Verbreitung atomarer, chemischer, biologischer Technologien zu befördern sowie die Produktion von Massenvernichtungswaffen, ihrer Bestandteile und Einsatzmittel zu initiieren.

Der negative Einfluß auf den Zustand der militärischen Sicherheit der Russischen Föderation und ihrer Verbündeten vertieft sich aufgrund der Abkehr von internationalen Vereinbarungen auf dem Gebiet der Beschränkung und Reduzierung von Rüstungen. Ebenso negativ wirken Handlungen, die auf die Störung der Stabilität der Systeme der staatlichen Führung und militärischen Führung, der Warnsysteme über Raketenangriffe, der Weltraumkontrollsysteme, der Funktionssysteme der strategischen Kernwaffenkräfte, der Systeme zur Lagerung der nuklearen Munition sowie der Systeme der Atomenergetik, der atomaren und chemischen Industrie und anderer potentiell gefährdeter Objekte gerichtet sind.

(...)

45. Die Verringerung des Niveaus der Ungleichheit hinsichtlich der sozialen Lage und des Besitzes an materiellen Gütern unter der Bevölkerung ist ein strategisches Ziel der Gewährleistung der nationalen Sicherheit auf dem Gebiet der Erhöhung der Lebensqualität der russischen Bürger. Weitere strategische Ziele sind die mittelfristige Stabilisierung der Bevölkerungszahl und die langfristige grundlegende Verbesserung der demographischen Situation.

46. Die Erhöhung der Lebensqualität der russischen Bürger wird durch die Gewährleistung der persönlichen Sicherheit ebenso erreicht wie durch erschwinglichen komfortablen Wohnraum, qualitativ hochwertige und sichere Waren und Dienstleistungen sowie durch eine würdige und angemessene Bezahlung der aktiven Erwerbstätigkeit.

47. Solche Faktoren wie die Krisen des weltweiten und regionalen Finanz- und Bankensystems, die Verschärfung des Konkurrenzkampfes um knappe Rohstoff-, Energie-, Wasser- und Nahrungsmittelressourcen können zu Gefahrenquellen für die nationale Sicherheit werden. Das trifft auch für den Rückstand auf fortgeschrittene Technologien zu, der das strategische Risiko der Abhängigkeit von der Veränderung der äußeren Faktoren erhöht. (...)

Die Realisierung der Strategie der nationalen Sicherheit der Russischen Föderation bis zum Jahre 2020 ist dazu bestimmt, der Mobilisierungsfaktor für die Entwicklung der nationalen Wirtschaft, für die Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung, für die Gewährleistung von politischer Stabilität in der Gesellschaft, für die Festigung der nationalen Verteidigung, der staatlichen Sicherheit und der Rechtsordnung, für die Erhöhung der Konkurrenzfähigkeit und des internationalen Ansehens der Russischen Föderation zu werden.

** Aus dem Russischen von Egbert Lemcke und Frank Preiß
Vollständiger Text der 112 Punkte umfassenden »Strategie« unter
www.sicherheitspolitik-dss.de.



Zurück zur Russland-Seite

Zurück zur Homepage