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Putin kauft zurück

Rußland strebt wieder Kontrolle über nationale Ölressourcen an. Staatskonzern Rosneft vor Übernahme der britischen TNK-BP-Anteile

Von Dieter Schubert *

Rosneft (Abk. übersetzt: russische Erdölgesellschaft) steht vor einem gewaltigen Zukauf. Das 1993 gegründete Staatsunternehmen wird zunächst die Hälfte der Anteile des bisherigen Inlandskonkurrenten TNK-BP übernehmen, wie der Konzern am Montag erklärte. Rußlands größter Ölförderer würde damit nach Reserven zur weltweiten Nummer eins unter den börsennotierten Petroleumgiganten aufsteigen und bei der Fördermenge mit dem US-Multi Exxon Mobile gleichziehen. Das geschieht unter maßgeblicher Einflußnahme Wladimir Putins. Der Präsident der Russischen Föderation verfolgt damit industriepolitische Ziele und ist offenbar dabei, weitere ökonomische Schäden der Jelzin-Ära zu reparieren.

TNK-BP ist ein Gemeinschaftsunternehmen des britischen Multis BP (»Deepwater Horizon«) und russischer Wirtschaftsfürsten (TNK, Tjumen Ölgesellschaft). Der Konzern wurde 2003 von den Briten und den TNK-Eignern Wiktor Wekselberg (Access-Renova-Gruppe) und Michail Fridman (Alfa-Gruppe) auf den (steuerbegünstigten) Britischen Jungferninseln gegründet. Die Machtverhältnisse schienen ausgewogen. Auch gegenwärtig liegen die Aktienanteile zu 50 Prozent bei BP, die andere Hälfte teilt sich das Geschäftskonglomerat der Oligarchen AAR (25 Prozent Alfa und je 12,5 Prozent bei Renova von Wekselberg und Access Industries von Leonid Blawatnik).

TNK-BP stieg schnell zur Nummer drei in Rußland auf, aber als »richtiges Unternehmen« funktionierte das globalisierte Konstrukt offenbar nur eingeschränkt. Das soll an den unterschiedlichen Vorstellungen der russischen Oligarchen und des britischen Managements gelegen haben, wie der Laden zu führen ist. Vor allem verzankten sich die Parteien beim Thema Ölsuche und -förderung in der Arktis. Hier wollte der Mutterkonzern BP selbst aktiv werden und verhandelte mit Rosneft – statt die Tochter TNK-BP vorzuschicken. In London bevorzugte man offenbar einen Deal mit dem Kreml unter Ausschluß der Oligarchen. Diese waren darob sauer und kündigten an, die BP-Anteile selbst übernehmen zu wollen. Das gemeinsame Unternehmen war strategisch paralysiert.

Putin nutzte die entstandene Situation als Steilvorlage und sah die Zeit gekommen, Rußlands Ölindustrie neu zu ordnen und auch gesellschaftsrechtlich wieder dem Staat zu unterstellen. Wie im Falle der Übernahme großer Anteile des zerschlagenen Jukos-Imperiums des bis heute inhaftierten Ex-Oligarchen Michail Chodorkowski, sollte Rosneft die Lage klären: Und das mit viel Geld und politischer Rückendeckung.

Rosneft wird wieder von Igor Setschin geführt. Der Wegbegleiter des neuen- alten Staatspräsidenten und ehemalige Vize der Präsidialverwaltung war 2004 zum Firmenchef ernannt worden. 2011 mußte er auf Veranlassung des Putin-Ersatzmannes Alexander Medwedew den Job aufgeben, kehrte aber nach Putins Wiederwahl umgehend an die Konzernspitze zurück. Jetzt sollen die Verhandlungen über den Kauf des 25-Milliarden-Dollar-Anteils von BP abgeschlossen sein.

Aber Rosneft will mehr. Informationen der Nachrichtenagentur Ria-Nowosti zufolge hat der Staatskonzern auch ein konkretes Angebot für die andere Hälfte von TNK-BP vorgelegt. Insgesamt dürfte nach Medienangaben der Deal deutlich mehr als 55 Milliarden US-Dollar kosten. Es scheint gegenwärtig wenig wahrscheinlich, daß sich Fridman, Wekselberg oder Blawatnik dem Wunsch Putins widersetzen. Auch dürfte die Zeit des Hineinregierens bei TNK-BP nach Übernahme durch Rosneft für die Oligarchen vorbei sein. Vermutlich werden sie allerdings dafür fürstlich entschädigt.

Alternativen haben sie kaum. Wenn Überzeugen nicht klappt, setzt der russische Staat seine Interessen anders durch. Bereits 2006/2007 hatte Putin dem Aufwärtstrend des Gemeinschaftskonzerns einen Dämpfer versetzt. Damals mußte TNK-BP seinen Anteil an einem lukrativen Gasfeld bei Kowytka in Sibirien an Gasprom verkaufen, angeblich unter Wert. Shell war zuvor aus einem Gasfeld auf Sachalin gedrängt worden, das es mit Gasprom gemeinsam erschließen wollte. Auch der heutige BP-Boß Robert Dudley hat in seiner Eigenschaft als früherer Spitzenmanager von TNK-BP einschlägige Erfahrungen gesammelt, daß Profitmachen in Rußland nicht immer leicht ist: 2008 mußte er auf Druck seiner russischen Kompagnons den Job des TNK-BP-Chefs hinschmeißen. Zuvor hatte er aus Protest gegen zahlreiche Behinderungen versucht, den Konzern vom Ausland aus zu führen.

Dudley will nun an Rosneft verkaufen. Klar, er darf angesichts der strategischen Ölreserven in der Arktis nicht nachtragend sein, soll BP weiter im Geschäft mitmischen. Manche Experten vermuten in der Region, die zudem zunehmend eisfrei wird, ein Fünftel der bislang nicht erschlossenen globalen Ölreserven.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 23. Oktober 2012


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