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Russland vor neuem Raketenzeitalter

Angesichts der NATO-Abwehrschildpläne setzen Moskaus Militärs auf Umrüstung und Modernisierung

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Kurz nach dem NATO-Gipfel von Chicago hat Russland eine neue atomwaffenfähige Interkontinentalrakete erfolgreich getestet. Moskauer Militärexperten sprachen von einer »Antwort« auf das von der Militärallianz vorangetriebene Projekt einer Raketenabwehr in Europa.

Kreml und Außenamt reagierten bisher nicht auf den jüngsten NATO-Gipfel in Chicago, wo das westliche Militärbündnis Pläne zur Stationierung von Teilen der globalen Raketenabwehr bekräftigte. Russland sieht dadurch seine Sicherheitsinteressen verletzt, Politiker und hohe Militärs drohten daher bereits mehrfach mit Gegenmaßnahmen. Worten folgen bereits Taten, wie der jüngste Test einer Interkontinentalrakete zeigt.

In der »Rossijskaja Gaseta«, dem offiziellen Verlautbarungsorgan der russischen Regierung, kündigte der Befehlshaber der strategischen Raketentruppen, Generalleutnant Sergej Karakajew, weitere Schritte zu deren Umrüstung und Modernisierung an. Dabei sollen vor allem die zuverlässigen, aber veralteten Raketensysteme der Typen RS-20 - im NATO-Jargon Satan -, RS-18 (Stiletto) und RS-12M Topol durch moderne Langstreckenraketen der Klassen Topol M und Jars zügig ersetzt werden. Ihr Anteil beläuft sich bereits jetzt auf rund 30 Prozent. Noch in diesem Jahr sollen zwei weitere Regimenter - eines im zentralrussischen Gebiet Iwanowo und ein anderes im Raum Nowosibirsk - komplett mit den neuen Waffen ausgestattet werden. Für 2013 ist die Stationierung von silogestützten Jars-Raketen mit Mehrfach-Sprengköpfen bei Kaluga, 400 Kilometer südwestlich von Moskau, geplant.

In den kommenden Jahren, so der General, werden insgesamt fünf Divisionen der strategischen Raketentruppen unterschiedlich modifizierte Jars-Raketen mit einer Reichweite von über 10 000 Kilometer erhalten. Diese wurden auf der Basis der Topol entwickelt, ihre technischen Parameter schlagen das Vorbild nach Angaben des Herstellers jedoch um Längen. Details werden geheim gehalten. Der frühere Stabschef der Raketentruppen, Viktor Jessin, sagte der Nachrichtenagentur RIA Nowosti lediglich, Jars- und Topol-M-Raketen würden in 20, spätestens 30 Jahren jede Raketenabwehr überwinden können.

Die Ausbildung des Bedienpersonals erfolgt in drei Etappen. Der eigentlichen Schulung in den Einheiten gehen Theorieseminare und ein Praktikum auf Russlands neuem Weltraumbahn Plessezk im Gebiet Archangelsk am Weißen Meer voraus. Dort war es auch, wo am Mittwoch der Prototyp einer weiteren neuen Interkontinentalrakete erfolgreich getestet wurde. Ein erster Test war am 27. September 2011 kurz nach dem Start gescheitert.

Der Übungsblock, so ein Sprecher des Verteidigungsministeriums, sei am vorgegebenen Punkt auf der Halbinsel Kamtschatka niedergegangen, mit der neuen Interkontinentalrakete würden sich Russlands Möglichkeiten »zur Überwindung der entstehenden Raketenabwehrsysteme« erheblich vergrößern.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 24. Mai 2012


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