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Putin präsentiert: Die Neunte

Jahrespressekonferenz ist festes Ritual in Moskau / Chodorkowski soll begnadigt werden

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Der Konferenzsaal im Internationalen Handelszentrum in Moskau war bis auf den letzten Platz gefüllt, als Präsident Wladimir Putin um zwölf Uhr Ortszeit seine Jahrespressekonferenz eröffnete.

Es war bereits die 9. Jahrespressekonferenz Putins, der Präsident selbst hatte die Tradition schon in seiner ersten Amtszeit mit der großen Nachfrage begründet. Vor allem Journalisten aus der russischen Provinz sollten damit Gelegenheit bekommen, das Staatsoberhaupt direkt zu interviewen. Zwar hebelte Putin am Donnerstag den eigenen Rekord nicht aus, den er 2008 aufgestellt hatte, als er den Medien 4 Stunden und 45 Minuten Rede und Antwort stand. Dennoch schaffte er es auch diesmal, auf fast hundert Fragen zu antworten. Um Putins Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, schwenkten viele Teilnehmer selbst gemalte Plakate, Maskottchen und sogar Flaggen. Zu sehen war sogar eine britische. Es ging querbeet bei der Fragestunde: von Menschenrechten über die Amnestie zum 20. Jahrestag der Verfassung und soziale Probleme bis hin zu Außen- und Sicherheitspolitik.

Gleich die erste Frage galt der Ukraine, der Russland am Dienstag dieser Woche 33 Prozent Rabatt auf Gaslieferungen gewährte und zudem zusagte, Staatsanleihen im Werte von 15 Milliarden Dollar aufzukaufen. Weil Kiew kurz vor dem Staatsbankrott steht, war die Reaktion der russischen Öffentlichkeit zwiespältig ausgefallen: Warum schlechtem Geld gutes aus dem eigenen Entwicklungsfonds nachwerfen?

Putin begründete die Entscheidung mit »besonderen Beziehungen« beider Staaten. Es gebe »gute Perspektiven« für viele gemeinsame Projekte. Auf die Frage nach seiner Reaktion, sollten in Moskau Massenproteste wie derzeit in Kiew gegen die Aussetzung des Assoziierungsverfahrens mit der EU stattfinden, sagte Putin, er würde im Rahmen des russischen Rechts vorgehen, die Bürger hätten das Recht auf Meinungsfreiheit. Russland wolle die Ukraine »nicht an sich ziehen«, Europa sei für die jüngsten Entwicklungen dort ohnehin nur Anlass, in Wahrheit gehe dort ein innenpolitischer Machtkampf vor sich. Moskau werde dabei die Entscheidung des ukrainischen Volkes respektieren, egal wie sie ausfällt, betonte der Präsident.

Die geplante Stationierung von Luftabwehrsystemen des Typs Iskander im Raum Kaliningrad erklärte Putin mit der Notwendigkeit, auf die globale Raketenabwehr der USA reagieren zu müssen. Das sei jedoch nicht die einzige Möglichkeit dazu und noch nicht einmal die effektivste, erläuterte er.

Ausweichend antwortete er auf die Frage nach der Nummer zwei in der politischen Hierarchie und einem potenziellen Nachfolger. KP-Chef Gennadi Sjuganow habe bei den Präsidentenwahlen das zweitbeste Ergebnis eingefahren, einen Kronprinzen gebe es nicht. Medien hatten zuvor spekuliert, die Tage von Regierungschef Dmitri Medwedjew seien gezählt, im Frühjahr 2014 werde er zurücktreten. Mit Vehemenz verteidigte Putin dagegen Gesetze, die der Westen als homosexuellenfeindlich kritisiert. Damit würde die russische Bevölkerung vor Pseudowerten und vor dem »aggressiven Verhalten bestimmter sozialer Gruppen« geschützt, die versuchen, ihren Standpunkt anderen Menschen und anderen Staaten aufzuzwingen.

Ausdrücklich begrüßte er, dass die Greenpeace-Aktivisten, die im September versucht hatten, eine russische Bohrinsel im Eismeer zu stürmen, unter die Amnestie fallen. Die Duma hatte in die von Putin eingebrachte Vorlage in letzter Minute einen Passus eingefügt, wonach der Straferlass für Rowdytum auch auf U-Häftlinge angewandt wird. Er, so Putin wörtlich, hoffe, dass sich Derartiges nicht wiederholt. Ex-Jukos-Chef Michail Chodorkowski fällt nicht unter die Amnestie, kann aber dennoch auf Begnadigung hoffen, wie Putin schon nach der Pressekonferenz erklärte. Ein entsprechendes Gesuch des Oligarchen würde er in Kürze prüfen und positiv entscheiden. »Er hat mehr als zehn Jahre gesessen, das ist keine Kleinigkeit.«

* Aus: neues deutschland, Freitag, 20. Dezember 2013


Putin begnadigt Chodorkowski

Pressekonferenz in Moskau: Auch Pussy-Riot-Musikerinnen und Greenpeace-Umweltschützer sollen freikommen **

Der russische Präsident Wladimir Putin hat auf einer Pressekonferenz in Moskau die Begnadigung des seit zehn Jahren inhaftierten früheren Ölmilliardärs Michail Chodorkowski angekündigt. Der habe ein Gnadengesuch gestellt, das er unterschreiben werde, sagte Putin am Donnerstag.

Der einst reichste Mann Rußlands werde bald seine Anwälte treffen, teilte Chodorkowskis Pressestelle mit. Sie ließ zudem Aussagen zurückziehen, nach denen die Rechtsberater des Gefangenen nichts von dem Gesuch gewußt hätten. Putin erinnerte daran, daß Chodorkowski stets auf eine Begnadigung verzichtet habe. »Aber jetzt hat er vor nicht allzu langer Zeit ein solches Dokument unterzeichnet und mir mit der Bitte um Begnadigung geschickt«, sagte der Präsident. Widersprüchliche Angaben lagen dazu vor, ob damit ein Schuldeingeständnis verbunden war. Chodorkowski war 2003 festgenommen worden. Nach zwei Urteilen unter anderem wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung sollte er im August 2014 aus der Haft entlassen werden. Vor kurzem erst hatte die Justiz weitere geplante Verfahren bestätigt. In seiner Pressekonferenz sagte Putin nun, er sehe keine Perspektiven für eine weitere strafrechtliche Verfolgung.

Die wegen Rowdytums verurteilten Pussy-Riot-Musikerinnen könnten nach Angaben ihrer Anwältin ebenfalls bald freikommen. Die Angehörigen der beiden Aktivistinnen seien bereits zu den jeweiligen Straflagern gereist, um die Frauen zu begrüßen.

Putin bestätigte zudem, daß 30 Umweltschützer der Organisation Greenpeace unter den Gnadenakt fielen. Damit kommen sie nach ihrem Protest gegen Umweltzerstörung in der Arktis nicht wegen Rowdytums vor Gericht und können das Land jetzt verlassen. Die Staatsduma hatte am Mittwoch eine Massenamnestie beschlossen.

** Aus: junge Welt, Freitag, 20. Dezember 2013


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