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Putin sieht Russland mit neuer Stärke

Präsident verlas seine Jahresbotschaft an das Parlament

Von Irina Wolkowa, Moskau *

»Wohin geht Russland?«, fragten sich die Russen und der Rest der Welt, als Präsident Wladimir Putin im Herbst des Jahres 2000 seine erste Jahresbotschaft an das Parlament verkündete. Zwölf Jahre später, am gestrigen Mittwoch, verlas er im Großen Kremlpalast die erste Jahresbotschaft seiner dritten Amtszeit.

»Wir dürfen die lichte Zukunft nicht erneut auf die nächste Generation vertagen«, mahnte Putin kurz vor Schluss seiner diesjährigen Rede an die Föderationsversammlung (beide Kammern des Parlaments). In den ersten zwölf Jahren des neuen Jahrhunderts habe Russland seine Stärke wiedergewonnen. Der »katastrophale« Bevölkerungsschwund sei gestoppt worden, das Bruttoinlandsprodukt habe sich fast verdoppelt, die Inflationsrate sei im gleichen Zeitraum auf ein Drittel geschrumpft. Diese Stabilität ermögliche langfristige Planungen. Jetzt bestehe die Hauptaufgabe darin, das Land reich zu machen und der breiten Masse den Zugang zu Wohlstand zu ermöglichen. Alles, was dazu geplant ist, werde ohne Abstriche erfüllt, versicherte der Präsident.

Gemeint waren vor allem die ehrgeizigen Sozialpläne: Fortbildung, Schaffung tausender neuer Arbeitsplätze, Anhebung der Gehälter für Ingenieure, Lehrer und medizinisches Personal auf Mittelklasseniveau, weiterer kontinuierlicher Anstieg der Renten, neue Beihilfen für Familien. Die Familie mit drei Kindern müsse die Norm werden, forderte Putin, der Staat müsse Voraussetzungen dafür schaffen: ein flächendeckendes Netz von Kindertagesstätten und erschwinglichen Wohnraum.

Viel Geld will Russland sich zudem Förderprogramme für Sibirien und den Fernen Osten kosten lassen. Dort liege der Entwicklungsschwerpunkt.

Im 20. Jahrhundert, so Putin weiter, habe Russland zwei verheerende Kriege durchlebt und zweimal den Zerfall des Staates. Durch den Systemwechsel habe die Gesellschaft auch viele moralische Qualitäten wie Mitgefühl verloren. Daher müssten alle Institute unterstützt werden, die historisch gewachsene Träger dieser Werte sind. Gesetze allein genügten dazu nicht, auch Bildungsinhalte müssten entsprechend erneuert werden. Scharf wandte sich Putin gegen Nationalismus und Chauvinismus, die dem ganzen Volk, »um dessen Interessen die Nationalisten angeblich besorgt sind«, enormen Schaden zufügen.

Konsolidieren müsse sich die Nation auf Basis der Verfassung, die Russland sich auf den Tag genau vor 19 Jahren per Volksentscheid gab. Für Russland gebe es keinen anderen Entwicklungsweg als Demokratie, die russische Demokratie müsse jedoch den Entwicklungsweg des russischen Volkes reflektieren und dürfe nicht auf die Umsetzung von Standards hinauslaufen, »die uns das Ausland aufzwingt«.

Einmischung aus dem Ausland sei inakzeptabel. Wer ausländische Interessen mit ausländischem Geld bedient - gemeint waren nichtstaatliche Organisationen -, dürfe in Russland keine Politik machen. Ein »zivilisierter Dialog« sei nur mit jenen Kritikern möglich, die ihre Forderungen zivilisiert und im Rahmen des Gesetzes vorbringen. Für alle politischen Kräfte müssten jedoch gleiche Bedingungen bestehen. Putin machte sich daher für die Rückkehr zum Mischwahlrecht stark, bei dem die Hälfte der Duma-Abgeordneten per Direktmandat gewählt wird. Davon profitieren vor allem kleine Parteien.

Russland stehe in der Tradition des starken Staates. Die Staatsmacht dürfe jedoch nicht zur isolierten Kaste werden und müsse transparent sein. Korruption rüttele an den Grundfesten des Staates, zu deren Bekämpfung daher weitere Maßnahmen angekündigt wurden, darunter die schärfere Kontrolle bei der Realisierung von Staatsaufträgen durch den Rechnungshof. Außerdem müssen Politiker und Beamte künftig Immobilienbesitz im Ausland einschließlich Kaufsumme deklarieren und die Herkunft der Mittel dazu erklären.

Die Reserven des Modells Rohstoffexporteur, sagte Putin im Wirtschaftsteil der Rede, hätten sich erschöpft. An die Stelle von Staatskapitalismus müsse moderne Marktwirtschaft treten. Bei der bevorstehenden Privatisierung werde daher nichts so sein wie in den 90er Jahren. Geplant sei ein »ehrlicher und transparenter Verkauf zum realen Marktwert«. Auch werde die Rechtssicherheit der Investoren verbessert.

Der außenpolitische Teil der Rede des Präsidenten fiel kurz aus. Russland habe dazu beigetragen, dass eine Welt mit mehreren Schwerkraftzentren entstanden ist, sagte er.

Diese Zentren dürften jedoch nicht jedes für sich allein Politik machen, weil dann Chaos drohe. Moskau plädiere für kollektive Entscheidungen und Konsens. Die Integration ehemaliger Sowjetrepubliken im Rahmen der Zollunion und des Gemeinsamen Euroasiatischen Wirtschaftsraums gehöre nach wie vor zu den Prioritäten russischer Außenpolitik.

Was nach dieser Rede aussteht, ist Putins Beweis, dass er die Probleme nicht nur im Blick, sondern auch im Griff hat.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 13. Dezember 2012

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