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Putin läßt ausmisten

Rußland: Entlassungen im Innenministerium, Ermittlungen gegen Firma des Verteidigungsministeriums

Von Knut Mellenthin *

Wladimir Putin hat am Dienstag ein Dekret »Über die Entlassung von Mitarbeitern des russischen Innenministeriums« unterzeichnet. Die Bekanntmachung enthält keine Begründung für die Personalmaßnahmen. Für Beobachter der Entwicklung seit Putins Rückkehr ins Präsidentenamt am 7. Mai ist ohnehin offensichtlich, daß es sich um einen Teil des breitangelegten »Klärungsprozesses« handelt, zu dem neben einer Überprüfung der Innen- und Außenpolitik auch deutliche Schritte gegen die wuchernde Korruption und Mißwirtschaft in allen Behörden gehören sollen. Unter den jetzt Geschaßten sind leitende Angestellte in den Ministeriumsabteilungen für Logistik, Informationstechnologie und Kommunikation sowie für ärztliche Dienste, die meisten im Rang eines Generalmajors.

Am vorigen Donnerstag war ein mit dem russischen Verteidigungsministerium zusammenhängendes Unternehmen Ziel einer spektakulären Polizeiaktion gewesen. Durchsucht wurden unter anderem die Büroräume der Firma Oboronservis und die Privatwohnung von Jewgenia Wasiljewa, die bis 2011 die Abteilung Vermögensverwaltung des Ministeriums geleitet hatte und dem Vorstand von Oboronservis angehört. Ihr Name war der einzige, der von der Ermittlungsbehörde in diesem Zusammenhang öffentlich genannt wurde, obwohl es angeblich sogar schon mehrere Verhaftungen gegeben haben soll. Wasiljewa gilt als Vertraute des 50jährigen Verteidigungsministers Anatoli Serdjukow und soll ihm angeblich auch menschlich sehr nahestehen. Moskauer Blätter berichteten, daß Serdjukow den Polizisten die Tür geöffnet habe, als diese bei Wasiljewa zur Haussuchung erschienen. Er gilt denn auch allgemein als Hauptziel der Aktion.

Putin hatte Serdjukow im Februar 2007, während seiner zweiten Amtszeit als Präsident, zum Verteidigungsminister gemacht, obwohl er für diese Position weder eine militärische Karriere noch irgendwelche anderen fachlichen Kompetenzen mitbrachte. Das sorgte von Anfang an für Ärger unter Militärs und Geheimdienstlern. Serdjukow hatte zuvor eine Steuerbehörde geleitet, die sich mit illegalen Geldtransfers, Geldwäsche und ähnlichen Dingen befaßt. Mit seiner Ernennung zum Verteidigungsminister verband Putin offenbar die Erwartung, daß Serdjukow dort gründlich »aufräumen« würde. Der neue Minister besetzte wichtige Positionen mit Personen aus seiner alten Behörde, darunter – für die Militärs grundsätzlich schwer zu ertragen – eine Riege überwiegend junger Frauen.

Die Gründung von Oboronservis war eine von Serdjukows ersten Maßnahmen. Die neue Firma sollte ein breites Spektrum bisheriger Tätigkeiten der Streitkräfte »privatisieren«. Darunter Wartungsarbeiten und Reparaturen, logistische Unterstützung, Versorgung der Truppen mit Lebensmitteln und Mahlzeiten, Betrieb von Läden in den Kasernen bis hin zur Herausgabe von Armeezeitungen. Der aktuelle Vorwurf gegen Oboronservis lautet, daß Grundstücke und Gebäude weit unterhalb der Marktpreise verschoben worden seien, nachdem sie vorher aus dem Etat des Ministeriums aufwendig saniert worden waren. Umgerechnet mindestens 100 Millionen Dollar sollen auf diese Weise veruntreut worden sein. Moskauer Journalisten und Analytiker meinen, daß es sich dabei nur um die »Spitze des Eisbergs« handle.

Wegen Serdjukows Nähe zu Putin wird nicht unmittelbar mit seiner Entlassung gerechnet. Es gibt aber Spekulationen, daß er in nicht allzu ferner Zukunft bei einer Neubildung der Regierung ausgewechselt werden könnte.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 01. November 2012


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