Putin holt Vertraute in den Kreml
Umbesetzungen in russischer Regierung und Präsidentenamt
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Der russische Präsident Putin hat
mehreren seiner Ex-Minister Beraterposten
im Kreml verschafft. Experten
schätzen, sie sollen die Regierung
kontrollieren und dafür sorgen, dass
Premier Medwedjews politische Ambitionen
nicht in den Himmel wachsen.
Das große Stühlerücken ist zu Ende.
Am Montag legte der russische
Präsident Wladimir Putin die neue
Kabinettsliste vor, gestern die des
Präsidentenamtes. Bei den meisten
Personalien handelt es sich um einen
bloßen Rollentausch. Putin hat
nun nicht nur enge Vertraute in der
neuen Regierung, wie Außenamtschef
Sergei Lawrow und Verteidigungsminister
Anatoli Serdjukow,
sondern berief am Dienstag
zudem mehrere seiner früheren
Minister in den Kreml, darunter
Verkehrsminister Igor Lewitin,
Gesundheitsministerin Tatjana
Golikowa und Bildungsminister
Andrej Fursenko.
Die meisten wurden zu persönlichen
Beratern des Präsidenten
ernannt oder fassten andere
hohe Ämter ab, vor allem in der
Kremladministration. So etwa der
durch Folterskandale diskreditierte
ehemalige Innenminister
Raschid Nurgalijew, den Putin zum
Vizekoordinator des nationalen
Sicherheitsrates berief.
Die Kremladministration ist
Russlands eigentliches Machtzentrum.
Abteilungsleiter dort haben
Kompetenzen wie Minister, die
Vizechefs sind stellvertretenden
Ministerpräsidenten gleichgestellt.
Sie, so behaupten Kenner der Materie
wie Lilija Schewzowa vom
Moskauer Carnegie-Zentrum, sollen
die Regierung nicht nur kontrollieren,
sondern auch dafür
sorgen, dass Premier Dmitri Medwedjews
politische Ambitionen
nicht in den Himmel wachsen.
Medwedjew will sich noch in
diesem Monat zum Chef von »Einiges
Russland« wählen lassen
und beantragte gestern – anders
als Noch-Vorsitzender Putin – sogar
die Mitgliedschaft. Zwar soll er
angeblich lediglich den ramponierten
Ruf der Partei aufpolieren,
bekommt damit aus Sicht von Beobachtern
aber die Chance, sich
jene Hausmacht zuzulegen, die
ihm bisher fehlte, woran letztendlich
auch seine Pläne für eine
zweite Amtszeit scheiterten.
Seine politische Zukunft als
langfristige Alternative zu Putin
hängt vor allem von seiner Erfolgsbilanz
als Regierungschef ab.
Experten sehen dunkelschwarz
angesichts der Herausforderungen.
Sinken die Weltmarktpreise
für Öl und Gas unter 100 Dollar pro
Fass, ist die Rücknahme jener bescheidenen
sozialen Wohltaten
unvermeidlich, mit denen Putin im
Wahlkampf schwindende Zustimmungsraten
wieder auf Wachstumskurs
brachte.
Dazu kommen steigende Rüstungsausgaben,
Kreml und Außenamt
halten einen Kompromiss
mit den USA im Streit um die Stationierung
von Raketenabwehrstellungen
in Europa für unwahrscheinlich.
Auch euroasiatische
Projekte zur Re-Integration prorussischer
Ex-Sowjetrepubliken –
eine der Prioritäten von Putins
Außenpolitik – sind in der Startphase
eine Geldverbrennungsmaschine.
Allein Freundschaftspreise
bei Gaslieferungen an Belorussland
– Ziel von Putins erstem Auslandsbesuch
Ende Mai – kosten
Milliarden. Um soziale Unruhen zu
vermeiden, die anders als die karnevalesken
Proteste satter Großstädter
das Regime real bedrohen
würden, sind Bauernopfer unvermeidlich:
Medwedjew und dessen
Ministerriege.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 23. Mai 2012
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