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Medwedjew bemüht sich um Schub für Reformpläne

Signale für Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Opposition?

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Am Mittwoch (21. Okt.) kehrten die russischen Kommunisten in die Duma zurück. Vorbei ist die politische Krise, die die Opposition letzte Woche mit ihrem Auszug aus dem Parlament lostrat, damit allerdings noch nicht.

Erbost über flächendeckende Manipulationen bei den Regional- und Kommunalwahlen am 11. Oktober, hatte die KPRF am Donnerstag zu landesweiten, gut besuchten Meetings und Mahnwachen aufgerufen. Am Wochenende trifft sich Präsident Dmitri Medwedjew mit den Führern aller drei oppositionellen Duma-Fraktionen. Dabei soll es nicht nur um Wahlfälschungen gehen, für die Gennadi Sjuganow, Vorsitzender der KP der Russischen Föderation, »wasserdichte Beweise« vorlegen will, sondern auch um eine neue Qualität der Zusammenarbeit zwischen Kreml und Opposition.

Medwedjew wolle sich deren Unterstützung für seine Reformpläne auch gegen den vermuteten Widerstand von Ministerpräsident Wladimir Putin sichern, spekulierte Alexej Makarkin vom Moskauer Carnegie-Zentrum in einem Interview für Radio »Echo Moskwy« bereits Mitte September. Kurz zuvor hatte sich der Präsident gegenüber der Online-Zeitung Gaseta.ru ungewöhnlich kritisch mit dem Zustand der russischen Gesellschaft auseinandergesetzt. Fazit: Das Land müsse schleunigst die Kehrtwende vom Rohstoffexporteur zum Standort einer intelligenzintensiven Wirtschaft vollziehen. Rückständigkeit, Korruption und Paternalismus müssten überwunden werden.

Andere Kreml-Astrologen werteten den Auftritt sogar als Frühstart für die nächsten Präsidentenwahlen im März 2012. In der Tat legt Medwedjew seit Ende der Sommerpause eine Betriebsamkeit an die Tag, wie sie sonst nur im Wahlkampf üblich ist. So drängte er bei seinem Treffen mit Unternehmern und Industriellen am Mittwoch erneut auf mehr Tempo bei der Modernisierung Russlands. Dabei zog er vor allem gegen bestellte Gerichtsurteile und gegen die Staatskonzerne zu Felde. Diese seien der Kontrolle entglitten, gehörten abgeschafft oder wenigstens radikal reformiert.

Zeitgleich mit Medwedjew und mit ähnlichen Worten wie der Kreml-Hausherr legte sich auch der ehemalige Jukos-Chef Michail Chodorkowski in der Wirtschaftszeitung »Wedomosti« für politische und wirtschaftliche Reformen ins Zeug. Medwedjew, bestätigte dessen Pressesprecherin Natalja Timakowa, habe den Artikel auch gelesen: »So wie alles, was Anstoß zu einer öffentlichen Debatte gibt.« Putin liest sicherlich auch, was Russlands prominentester Häftling von sich gibt, doch er würde seinen Pressechef wohl in die Wüste schicken, sollte der das öffentlich einräumen.

Im Westen hält man daher sogar eine vorzeitige Haftentlassung Chodorkowskis für möglich. Das gilt in Moskau zwar als unwahrscheinlich, wohl aber könnte Medwedjews Interesse an Chodorkowskis Auslassungen ein Signal der Bereitschaft zur Kooperation mit der liberalen Opposition sein. Nicht im Parlament vertreten, kämen deren Parteien, wenn sie ihre Rivalitäten zurückstellen würden, auf bis zu 20 Prozent aller Stimmen. Die aber würden auch Medwedjew den Rücken stärken.

Aufmerksam verfolgt der Kreml daher die Auseinandersetzung in der außerparlamentarischen Opposition, wo die zweite Garnitur derzeit den Aufstand gegen selbstgefällige Platzhirsche wie Gari Kasparow probt. Allein mit Kritik des Regimes, so Marina Litwinowitsch, ließen sich keine Wähler gewinnen. Gebraucht würden vielmehr überzeugende programmatische Alternativen. Was die Dame dazu bisher zu Papier brachte, weist durchaus Ähnlichkeit mit Medwedjews Reformplänen auf.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Oktober 2009


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