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Nawalny drohen sechs Jahre Haft

Staatsanwalt wirft russischem Oppositionellen Wirtschaftsvergehen vor

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Sechs Jahre Haft und eine Geldstrafe von einer Million Rubel (rund 12 500 Euro) forderte der Staatsanwalt am Freitag für den Oppositionellen Alexej Nawalny. Als Berater des Gouverneurs im Gebiet Kirow soll er den staatlichen Forstbetrieb Kirowles 2009 zum Abschluss eines unvorteilhaften Vertrags gedrängt haben.

Laut Anklage sollen dem Staat durch Nawalnys Tätigkeit Verluste von 1,3 Millionen Rubel (etwa 33 000 Euro) entstanden sein. Der heute 37-Jährige war Berater des Kirower Gouverneurs Nikita Belych, der als früherer Vorsitzender der Union Rechter Kräfte (SPS) und vom damaligen Präsidenten Dmitri Medwedjew zum Gebietsfürsten befördert worden war. Belych war auf Nawalny aufmerksam geworden, weil der sich bereits damals einen Namen als Kämpfer gegen Korruption gemacht hatte.

Auf seinem Internetportal hatte Nawalny krasse Fälle von Korruption auseinandergenommen und dabei Ross und Reiter genannt. Als Anwalt vertrat er zudem die Interessen von Kleinanlegern, denen Konzerne trotz üppig sprudelnder Gewinne keine Dividende zahlten. Damit kam er den Interessen derer in die Quere, die damals in den Aufsichtsräten von Staatsbetrieben saßen. Erst Dmitri Medwedjew untersagte Staatsdienern, sich auf diese Weise ein üppiges Zubrot zu verdienen. Provoziert fühlten sie sich schon durch den Namen von Nawalnys Enthüllungsportal: »Rospil«. Ros, das für Russland steht, kommt in der Bezeichnung mehrerer Staatsholdings vor, die bisher weder durch Transparenz noch durch Effizienz auffielen. Pil ist Rotwelsch und bedeutet so viel wie »beiseiteschaffen«.

Gänzlich unbeliebt machte sich Nawalny höheren Orts als einer der Organisatoren der Protestbewegung nach den Parlamentswahlen Ende 2011. Zwar ist der vom Westen voreilig zur Schneerevolution hochgejubelte Aufruhr einer Minderheit besser verdienender Großstädter längst Schnee vom vergangenen Jahr. Durch interne Rivalitäten und programmatische Defizite haben Nawalny und Co. sich selbst den politischen Gnadenschuss verpasst. Doch für Putin, der offen einräumt, nachtragend zu sein, ist schon der Gedanke an Aufruhr ein Angriff auf die Grundfesten des Staates. Vor zehn Jahren bekam das Michail Chodorkowski zu spüren, als er Oppositionsparteien unterstützte. Sein Ölkonzern Jukos wurde quasi verstaatlicht, er selbst büßt in einem Straflager für Wirtschaftsvergehen. Viele Russen vermuten politische Motive und rügen die Abhängigkeit der Justiz, die ihre Urteile nach politischer Zweckmäßigkeit fällt.

Gleiches drohe nun auch Nawalny, fürchtet dessen Fangemeinde und fühlt sich durch den Prozessverlauf bestätigt. Aussagen von Entlastungszeugen seien durch das Gericht in ihr Gegenteil verkehrt, andere gar nicht erst angehört worden. Die Verteidigung kritisiert zudem Verstöße gegen die Strafprozessordnung und den rüden Umgang der Fahnder mit Nawalny und dessen Angehörigen bei Razzien. Die fanden auch in der Korbmöbelfabrik seiner Eltern bei Moskau statt.

Das Urteil wird in Kürze erwartet. Auch um Nawalnys Kandidatur bei den Wahlen des Oberbürgermeisters von Moskau Anfang September zu verhindern. Zwar hat er selbst bei einer absolut fairen Abstimmung keine Chance gegen Amtsinhaber Sergej Sobjanin. Der rief Deputierte der Stadtbezirksversammlungen sogar auf, Nawalny die für die Bewerbung erforderlichen Unterschriften zu geben. Aber im für die Opposition besten Fall käme es wohl zu einer Stichwahl Aus Kreml-Sicht wäre schon das allerdings eine Katastrophe.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 6. Juli 2013

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