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Stimme des Kreml

Putin verordnet Fusion der Nachrichtenagentur RIA Nowosti mit dem Auslandssender Stimme Rußlands

Von Reinhard Lauterbach *

Rußlands Präsident Wladimir Putin zentralisiert die staatliche Medienlandschaft seines Landes. Am Montag ordnete er die Zusammenführung mehrerer bisher getrennt operierender Auslandsmedien in einer neu zu gründenden Agentur »Rußland heute« an. In ihr sollen aufgehen: der bisherige Auslands-Radiosender »Stimme Rußlands« und die Nachrichtenagentur RIA Nowosti – nicht aber der Fernsehsender Russia Today. Dies ist umso erstaunlicher, als letzterer formaljuristisch eine Tochtergesellschaft von RIA Nowosti ist. Über das Schicksal des als Gegengewicht zum Einheitsprogramm von CNN, BBC und Deutscher Welle durchaus erfolgreichen Senders ist anscheinend noch nicht entschieden.

RIA Nowosti ist aus dem 1941 zwei Tage nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion gegründeten Sowjetischen Informationsbüro hervorgegangen. Die Agentur richtete sich von Anfang an nicht in erster Linie an das Inlandspublikum, sondern an die weltweite Öffentlichkeit. 1961 kam die Namensänderung in RIA Nowosti, die sich auch über das Ende der Sowjetunion hinaus hielt. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre gab RIA die schnell als besonders »reformorientiert« geltende Zeitung Moskowskije Nowosti (auch auf englisch als Moscow News) heraus. RIA galt in Korrespondentenkreisen als schneller, journalistischer, in den Themen leichter und in der Diktion lockerer, kurzum: für westliche Nutzer verdaulicher als die offizielle sowjetische Inlandsagentur TASS. Mit diesem Profil hat sich RIA in den letzten Jahren die Position der führenden Nachrichtenagentur des Landes erarbeitet – weit vor der nach wie vor sehr offiziösen ITAR-TASS und dem Konkurrenten Interfax. Eine Besonderheit der Tätigkeit von RIA war, daß die Agentur ihre Dienste nicht nur ausländischen Medien anbot, sondern – in sechs europäischen und vier asiatischen Sprachen – auch gewöhnlichen Internetnutzern.

Der Erlaß Putins über die Reorganisation der staatlichen Medien wird offiziell mit Einsparungen begründet. Tatsächlich war der Etat von RIA Nowosti schon in den vergangenen Jahren auf knapp 60 Millionen Euro zurückgefahren worden; die Beschreibung der Aufgaben der neuen Agentur läßt allerdings Raum für die Vermutung, daß es hier auch darum gehen soll, eine ihrem Selbstverständnis nach »unabhängig von politischen Konjunkturen« arbeitende Agentur stärker an die politische Leine zu legen: Es gehe darum, das Geschehen in Rußland für das Ausland unter besonderer Berücksichtigung des offiziellen Standpunkts darzustellen. Nicht, daß RIA unter ihrer bisherigen Chefredakteurin Swetlana Mironjuk der Opposition nahegestanden hätte; eine lange Liste russischer Auszeichnungen und Orden für Mironjuk zeigt, daß ihre Arbeit der russischen Führung lange Zeit durchaus gelegen kam; eine Medaille des Moskauer Patriarchats der orthodoxen Kirche in dieser Reihe legt nahe, daß sie sich den kulturellen Reaktionsbestrebungen der letzten Jahre zumindest nicht widersetzt hat.

Für Stirnrunzeln in der Medienszene sorgt aber besonders die Person des designierten Chefs der neuen Agentur Rußland heute, Dmitrij Kiseljow. Er gilt als Putin-treuer Hardliner. 2012 hatte Kiseljow Putin zu seinem 60. Geburtstag als Rußlands bedeutendsten Führer seit Stalin gewürdigt; bei anderer Gelegenheit forderte er, die Leichen bei Verkehrsunfällen umgekommener Schwuler unterzupflügen. Und er stellte die EU als Hort sexueller Zügellosigkeit dar, vor der es Rußland zu bewahren gelte. In einem Interview mit dem russischen Portal lenta.ru vor einigen Wochen nannte Kiseljow als Aufgabe verantwortungsvollen Journalismus, Werte aufzubauen und zu propagieren. Zu dieser Erkenntnis habe ihn seine Erfahrung als Moderator in den Jahren der »Orangenrevolution« in der Ukraine gebracht. Womöglich ist seine Berufung an die Spitze der Auslandspropaganda der Versuch, eventuellen Sympathien unter den russischen Journalisten für ähnliche Entwicklungen im eigenen Land beizeiten die Spitze abzubrechen und – nicht unwichtig – durch Totschweigen im Ernstfall die Außengrenze des russischen Informationsraums abzudichten. Einstweilen verteilte Kiseljow Zuckerbrot: Niemand von den mehreren tausend RIA-Mitarbeitern solle entlassen werden, erklärte er; ihrer aller Erfahrung werde dringend gebraucht. Das Angebot an die RIA-Journalisten steht also: mitmachen à la Kiseljow – oder fliegen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 12. Dezember 2013


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