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Die Russen kommen - noch vor Obama

Russische Kriegsmarine in Venezuela eingetroffen. Drei Beiträge



Medwedjew auf Tour durch Lateinamerika

Russland hat es eilig, bevor Obama antritt

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Immerhin drei Tage nahm sich Russlands Präsident Zeit für seinen Brasilienbesuch. Am heutigen Mittwoch geht es weiter nach Venezuela, dann nach Kuba. Zuvor hatte Dmitri Medwedjew Peru besucht und dort am Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsforum (APEC) teilgenommen.

Russland hat Lateinamerika neu entdeckt und dafür gute Gründe -- politische und vor allem wirtschaftliche. Medwedjews Gastgeber sehen sich überwiegend als Linke, die ihre früheren Sympathien für die Sowjetunion auf das heutige Russland übertragen haben. Auch ist ihr Verhältnis zu den USA gegenwärtig ähnlich gestört wie das Moskaus.

Das könnte sich allerdings im Januar ändern. Für Barack Obama hat die Wiederherstellung der Vorherrschaft Washingtons auf seinem einstigen Hinterhof ähnliche Bedeutung wie für Medwedjew die russische Lufthoheit im Südkaukasus. Längst hat Moskau erkannt, wie eng das Zeitfenster für eigene Brückenschläge nach Lateinamerika ist. Folglich versucht Medwedjew, vor dem Machtwechsel in Washington möglichst viele Tatsachen zu schaffen.

Zweimonatige gemeinsame Seemanöver mit Venezuela, Verhandlungen über die ständige Nutzung dortiger Stützpunkte durch die russische Marine oder die mögliche Wiederinbetriebnahme sowjetischer Luftwaffenbasen auf Kuba sowie Verträge über russische Rüstungslieferungen sind die sichtbarsten Zeichen solcher »privilegierten Beziehungen«, wie sie Russland nach den Worten Dmitri Medwedjews anstrebt.

Auch als Wirtschaftspartner -- zumal in Krisenzeiten -- ist der lateinamerikanische Wachstumsmarkt für Moskau attraktiv. Russland will das Volumen seines Außenhandels mit den Staaten des Subkontinents, das sich 2007 auf ganze elf Milliarden Dollar belief, in den kommenden zwei Jahren mehr als verdoppeln. Eine Schlüsselrolle soll Brasilien zufallen. Der bevölkerungsreichste Staat Südamerikas gehört wie Russland, Indien und China zur Gruppe der BRIC-Staaten, den am schnellsten wachsenden Schwellenländern, die zusammen bereits rund ein Zehntel der Weltwirtschaftsleistung erbringen. Die Vertiefung der Zusammenarbeit dieser Staatengruppe hatte Medwedjew gleich in seiner ersten außenpolitischen Grundsatzrede Anfang Juli zur absoluten Priorität erhoben.

Angesichts drohender Rezession in den USA und Westeuropa hofft Russland jetzt mehr denn je, die rückläufige Nachfrage nach Rohstoffen durch Exporte in die BRIC-Staaten ausgleichen zu können. Zugleich bemüht sich Moskau auch um gemeinsame Projekte in Zukunftsbranchen. In der Kooperation mit Brasilien will Russland sich beispielsweise auf Nanotechnologie, die friedliche Nutzung der Atomenergie und gemeinsame Raumfahrtprojekte konzentrieren.

Um Details ging es Montag auf einem Wirtschaftsforum in São Paulo. Medwedjew wird von einem Tross russischer Konzernlenker begleitet, die in Anwesenheit beider Präsidenten Absichtserklärungen und Verträge mit einem Volumen von mehreren hundert Millionen US-Dollar unterzeichneten, Darunter auch Abkommen mit dem Staatskonzern Petrobras, bei denen es um Lizenzen für Verfahren zur Erschließung und Ausbeute von Lagerstätten in der Tiefsee geht.

Russlands größte Vorkommen an fossilen Brennstoffen liegen im arktischen Schelf, hiesige Konzerne haben bisher aber Probleme, die Schätze zu heben.

* Aus: Neues Deutschland, 26. November 2008


Russlands Kriegsmarine zeigt Flagge in Venezuela

Von Ilja Kramnik **

Nach einer einmonatigen Reise, die in der russischen Hafenstadt Seweromorsk begann, sind russische Kriegsschiffe in Venezuela eingetroffen.

Die Schiffsgruppe, zu der der atomgetriebene Raketenkreuzer "Pjotr Weliki", der U-Boot-Zerstörer "Admiral Tschabanenko" und diverse Versorgungsschiffe gehören, hat einige Tausend Seemeilen im Atlantik, im Mittelmeer und wieder im Atlantik zurückgelegt. Dieser Besuch wird bereits als historisch bezeichnet, und dies zu Recht.

Seit dem Ende des Kalten Krieges und seit dem Zusammenbruch der UdSSR hat es keinen vergleichbaren Besuch der russischen Flotte mehr in der Karibik gegeben, und was die Häfen Venezuelas betrifft, so sind dort noch nie russische Kriegsschiffe gewesen.

Das Ziel des Besuches: Flagge zeigen. Das ist das Beste und Effizienteste, was eine Kriegsmarine in Friedenszeiten überhaupt tun kann. Indem in diese oder jene Region Kriegsschiffe entsendet werden, bekunden die Staaten ihre strategischen Interessen an einem bestimmten Punkt der Erde und gleichzeitig zwingen sie ihren mutmaßlichen Gegner dazu, Zeit und Kraft zu vergeuden, um eine neue potentielle Gefahr zu verfolgen.

Außerdem ist diese gezeigte Flagge ein gutes Mittel, um daran zu erinnern, dass man präsent ist, und um den Grad der eigenen Popularität in den Ländern anzuheben, in denen die Flotte Zwischenstation macht.

Es war in der Geschichte immer so gewesen: An solchen Parade-Besuchen nahmen nur die besten und stärksten Schiffe teil. Erinnern wir uns nur an die zahlreichen Besuche, die die britische Kriegsmarine in ihrer Geschichte absolviert hat. Jeder davon ist ein Ausflug mit dem Ziel gewesen, Flagge zu zeigen.

Ein Besuch in der venezolanischen Hafenstadt La Guaira war ideal dazu geeignet. In der heutigen russischen Außenpolitik spielt ein gutes Verhältnis zu Venezuela eine vorrangige Rolle. Moskau versucht, seine Positionen in Lateinamerika auszubauen, und solche Ereignisse wie die Landung zweier russischen Langstreckenbomber vom Typ Tu-160 auf dem Militärflugplatz Libertador in Venezuela sowie der aktuelle Besuch der Kriegsschiffe der russischen Nordflotte tragen nur zur Stärkung des Ansehens Russlands bei.

Im Rahmen dieses Besuches planen die Flotten beider Länder ein gemeinsames Manöver vor der Küste Venezuelas durchzuführen, eine Kriegsübung also mit allem drum und dran: mit einem gemeinsamen Navigieren, mit der Rettung von Schiffbrüchigen, mit Schiffskontrollen usw. Es ist klar, dass solch ein Besuch an sich keinerlei Gefahr für die Vormachtstellung Washingtons in der Karibik darstellt.

Die russischen Schiffe unter der Flagge mit dem Andreaskreuz bleiben bis Anfang Dezember in Venezuela. Danach werden sie ihre Fahrt fortsetzen, und zwar rund um Afrika in den Indischen Ozean. Dort soll ein gemeinsames Manöver mit Schiffen der russischen Pazifikflotte (dem Raketenkreuzer "Warjag" sowie den U-Boot-Abwehrschiffen "Admiral Tribuz" und "Marschal Schaposchnikow") stattfinden.

Hier geht es schon nicht mehr darum, einfach Flagge zu zeigen, sonder eher darum, die ständige russische Militärpräsenz im Indischen Ozean, dem heißesten Seekriegsschauplatz der Erde, wiederzubeleben.

Der Kampf mit den Piraten spielt dabei eine untergeordnete Rolle, insbesondere, wenn man bedenkt, dass solche Schiffe wie "Pjotr Weliki" und "Warjag" für solche Ziele wie die Bekämpfung der Piratenplage ungeeignet sind. Um zu verstehen, welche Ziele dabei wirklich verfolgt werden, muss man sich zuerst die technischen Daten dieser Schiffe ansehen. Der Raketenkreuzer "Pjotr Weliki" der Kirow-Klasse (Projekt 1144) hat eine Wasserverdrängung von über 25 000 Tonnen, er ist mit 20 teilweise mit nuklearen Sprengköpfen bestückten Flugkörpern zur Bekämpfung von Seezielen des Typs P-700 Granit (SS-N-19 Shipwreck), mit einem Fla-Raketenkomplex des Typs S-300F (96 Raketen), mit einem Fla-Raketenkomplex "Kinschal", mit einem binären Artilleriekomplex und mit etlichen anderen Waffen ausgerüstet.

Der Raketenkreuzer "Warjag" ist der "Pjotr Weliki" im Grunde genommen ebenbürtig. Dieses Schiff gehört der Admiral-Kusnezow-Klasse an, hat eine Wasserverdrängung von etwa 12 000 Tonnen, ist mit 16 Raketen zur Bekämpfung von Seezielen des Typs "Vulkan" sowie mit einem Fla-Raketenkomplex des Typs S-300F (64 Raketen), mit mehreren 100-mm oder 76-mm-Kanonen und mit anderen Anti-U-Boot-Waffen bestückt.

Diese Schiffe zu benutzen, um die Piraten zu jagen ist schlicht und einfach sinnlos. Möglicherweise wird eines der russischen U-Boot-Abwehrschiffe der Pazifikflotte die russische Fregatte "Neustraschimy", die vor Somalia gegen Piraten einsetzen wird, ablösen.

Dies wäre dann die gegen die somalische Piraterie gerichtete Komponente des ganzen Unterfangens gewesen. Das eigentliche Ziel aber, außer Flagge zu zeigen und die Präsenz zu sichern, besteht darin, die Kampfbereitschaft der Schiffe und deren Besatzungen zu steigern, denn dies ist nur durch reguläre Trainingseinsätze zu erreichen.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 26. November 2008; http://de.rian.ru



Die Russen kommen

Vor der Küste Venezuelas beginnt heute das erste gemeinsame Flottenmanöver beider Staaten

Von Ingo Höhmann und Peter Wolter ***


Zur Teilnahme an dem ersten gemeinsamen Seemanöver mit der venezolanischen Marine ist ein russischer Flottenverband gestern in der Karibik eingetroffen. Dem Beginn der Übungen am heutigen Mittwoch wollte nach Agenturberichten auch Rußlands Staatspräsident Dmitri Medwedew beiwohnen, der zur Zeit südamerikanische Staaten bereist und am Donnerstag auf Kuba erwartet wird. Das Manöver soll am 30.November beendet sein.

Waffenlieferungen

Größte Einheiten des russischen Flottenverbandes sind der atomgetriebene Raketenkreuzer »Pjotr Welikij« (»Peter der Große«) sowie die auf die Bekämpfung feindlicher U-Boote spezialisierte »Admiral Tschabanenko«. Zu dem Verband gehören auch Versorgungs- und Hilfsschiffe. Nach Angaben eines russischen Marinesprechers sind Schießübungen, das gemeinsame Manövrieren sowie Übungen zur Rettung aus Seenot geplant. Der Verband hatte am 22. September seinen Stützpunkt in Seweromorsk verlassen, um zunächst Häfen in Libyen, der Türkei und Frankreich zu besuchen -- bis Venezuela legten die russischen Schiffe eine Strecke von 27800 Kilometern zurück.

Auf venezolanischer Seite sind nach Angaben von Generalmajor Jesús González Fregatten, Transportschiffe, Patrouillenboote und wahrscheinlich auch Flugzeuge beteiligt. Die Marine Venezuelas ist 18000 Mann stark und verfügt über zwei in Deutschland gebaute konventionelle U-Boote, sechs Fregatten, zwei Korvetten, 26 Patrouillenboote, sechs Landungsschiffe sowie einen Versorger.

Auf militärischem Gebiet hat die venzolanische Regierung mit Moskau mittlerweile zwölf Verträge über Waffenlieferungen unterzeichnet. Das reicht von Sturmgewehren des Typs Kalaschnikow, T-90-Panzern und Schützenpanzerwagen bis zu modernen Suchoi-Jagdbombern und Hubschraubern. Vor allem die U-Boot-Waffe soll ausgebaut werden: In Rußland wurden neun U-Boote (Projekt 636/637) der ebenfalls konventionellen Kilo-Klasse geordert.

Die »strategische Zusammenarbeit« mit Venezuela hatte Rußland schon vor vielen Monaten aufgenommen. Auf zivilem Sektor gehört dazu die Schaffung einer gemeinsamen Bank mit einem Kapital von vier Milliarden US-Dollar zur Finanzierung des Baus von Ölraffinerien. Russland hat außerdem angeboten, Venezuela beim Bau von Atomkraftwerken zu helfen. Darüber hinaus ist mit russischer Hilfe der Bau einer Aluminiumhütte sowie eines Autowerkes geplant.

Eigener Aufklärungssatellit

Die Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet habe ausschließlich friedlichen Charakter, betonten Sprecher beider Seiten. Rußland z. B. legte Wert auf die Feststellung, daß die »Pjotr Welikij« weder Atomwaffen noch Raketen an Bord hat, die auf Landziele gerichtet sein könnten. Nach Ansicht militärischer Beobachter ist das gemeinsame Manöver ausschließlich defensiv angelegt, wobei als möglicher Aggressor lediglich die US-Marine in Frage käme. Mit Blick auf die politischen Veränderungen in Lateinamerika, wo Kolumbien der einzige wichtige Verbündete geblieben ist, hatte die US-Regierung angekündigt, die »4. Flotte« wieder zu reaktivieren.

Das Manöver ist daher vorwiegend auf die Verteidigung gegen angreifende Flottenverbände angelegt, wobei die 251 Meter lange »Pjotr Welikij« während des Manövers möglicherweise als Zielschiff einen US-Flugzeugträger simulieren soll. Venezuela befürchtet nämlich, daß die Ölfelder in der Maracaibo-Bucht, von denen ein großer Teil der Staatseinnahmen abhängt, im Konfliktfall angegriffen werden könnten: durch kolumbianische Panzerdivisionen auf dem Landwege und durch die US-Flotte von See her. Um derartige Bedrohungen rechtzeitig aufdecken zu können, verfügt Venezuela seit kurzem über einen eigenen Satelliten, den die VR China zur Verfügung gestellt hat. Zur Bedienung dieses Aufklärungssystems wurden venezolanische Offiziere in China ausgebildet.

*** Aus: junge Welt, 26. November 2008


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