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Russlands Problemzone

Präsident Medwedjew setzt Beauftragten für den unruhigen Nordkaukasus ein

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Erst Dienstagabend wurde Alexander Chloponin zum Präsidentenbeauftragten (Generalgouverneur) für den Nordkaukasus bestellt, am Mittwoch (20. Jan.) hielt er dort bereits seine erste Beratung mit den Präsidenten der nationalen Republiken ab.

Die Situation im Nordkaukasus, sagte Präsident Dmitri Medwedjew zu Chloponin bei dessen Ernennung, sei gegenwärtig Russlands größtes innenpolitisches Problem. Ähnlich hatte sich der Präsident bereits in seiner Jahresbotschaft an das Parlament im November geäußert und damit die Notwendigkeit begründet, einen eigenen Generalgouverneur für die Region einzusetzen.

Dass die Wahl auf Chloponin fiel, der zugleich in den Rang eines Vizepremiers erhoben wurde, löst zwiespältige Gefühle aus. Erst 44 Jahre jung, war er seit 2002, als Alexander Lebed bei einem Hubschrauberabsturz umkam, Gouverneur der mittelsibirischen Region Krasnojarsk. Als einer von wenigen Provinzfürsten kann Chloponin reale Erfolge bei der Erfüllung ehrgeiziger nationaler Zielprogramme vorweisen. Mit seinen Erfahrungen soll er jetzt die sozialökonomischen Probleme im Nordkaukasus anpacken. Vor allem die Arbeitslosigkeit, die mancherorts bei über 50 Prozent liegt.

Zupass kommen Chloponin im neuen Amt seine engen Kontakte zur Hochfinanz, vor allem zu den Mehrheitsaktionären von Norilsk Nickel, dem weltweit größten Buntmetallkonzern, dessen Generaldirektor er selbst Mitte der 90er Jahre war. Auf der Haben-Seite kann er zudem verbuchen, dass die Fusion nationaler autonomer Bezirke - Taimyr und Ewenkien - mit der Region Krasnojarsk ohne größere Probleme über die Bühne ging.

Im Nordkaukasus indes, wo Kreml und Regierung sich ebenfalls Gedanken über die Zusammenlegung nationaler Republiken machen, sind die Probleme ungleich größer. Zwar ist es in Tschetschenien, wo Ramsan Kadyrow mit eiserner Faust regiert, inzwischen so ruhig, dass in der malerischen Argun-Schlucht ein internationales Wintersportparadies entstehen soll. Dafür diktieren Reste der Separatisten zusammen mit radikalen Islamisten und Nationalisten aus dem gesamten Nordkaukasus im benachbarten Inguschetien und vor allem in der Vielvölkerrepublik Dagestan mehr und mehr das Gesetz des Handelns. Wie gering der reale Einfluss des Zentrums dort ist, wurdedeutlich, als Moskau unlängst einen neuen obersten Steuerinspektor für Dagestan einsetzte. Weil das Amt nach dortigem Brauch der lesginischen Minderheit zusteht, musste der Russe nach drei Wochen das Handtuch werfen.

Das vor allem dürfte Medwedjew und Premier Wladimir Putin bewogen haben, die Vollmachten des ehemaligen Generalstaatsanwalts Wladimir Ustinow, der als Präsidentenbeauftragter bisher für den gesamten Süden zuständig war, auf die Schwarzmeer-Region Krasnodar, die Republik Adygeja und das Gebiet Rostow zu begrenzen, wo die Situation relativ stabil ist. Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien und Karatschai-Tscherkessien wurden indes zusammen mit Tschetschenien, Nordossetien und der Region Stawropol Chloponins neuem, achten Regierungsbezirk zugeschlagen. Ob er mehr Glück als Ustinow hat, bleibt abzuwarten. Als Fremder steht er zwar einerseits über den regionalen Clans, die beim Gerangel um Staatsämter und Finanzen nicht selten über Leichen gehen. Andererseits fehlt ihm dadurch die Hausmacht und bis auf weiteres auch die Tiefenkenntnis. Dazu kommt, dass Kadyrow und andere einen heißen Draht zu Putin haben und sich mit diesem direkt und unter Umgehung des neuen Generalgouverneurs arrangieren können.

* Aus: Neues Deutschland, 21. Januar 2010


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