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"Der Bau der Nordeuropäischen Gaspipeline ist sowohl für Deutschland als auch für Russland vorteilhaft"

Verteidigungsminister Iwanow in Berlin - Igor Maximytschew zu den deutsch-russischen Beziehungen

Am 13. September 2005 hielt sich der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow in Berlin auf. Hier äußerte er sich in einer Pressekonferenz u.a. zum deutsch-russischen Abkommen über den Bau einer Erdgas-Pipeline auf dem Grunde der Ostsee, über die neue US-Nukleardoktrin sowie über den terrorismus im eigenen Land (Tschetschenien).
Wir dokumentieren im Folgenden:

  • einen Artikel über die Pressekonferenz,
  • eine Meldung der russischen Nachrichtenagentur dazu und
  • eine Analyse aus dem Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften über die Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen.


Besorgter NATO-Partner Russland

Verteidigungsminister Iwanow sieht "gefährliche Tendenzen"

Von Detlef D. Pries*


Es »hatte sich so ergeben«, dass Russlands Verteidigungsminister Iwanow eine freie Stunde im Programm seines Berlin-Besuchs fand. Die nutzte er für eine Pressekonferenz.

Der 52-jährige gebürtige Leningrader, ehemals Geheimdienstler und seit 2001 russischer Verteidigungsminister, wurde von Präsident Wladimir Putin bereits zum »engsten Vertrauten« geschlagen. Kreml-Astrologen handeln ihn sogar als aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten für 2008. Als Nachfolger Putins stünde Iwanow wohl für die Fortsetzung von dessen Politik unter anderem Namen.

Die Frage, ob er schon über eine künftige Präsidentschaft nachgedacht habe, musste Iwanow in Berlin jedoch nicht beantworten. Stattdessen lieferte ihm eine russische Journalistin die Gelegenheit, den Anwesenden das kleine ökonomische Einmaleins vorzubeten. Ob er befürchte, dass eine künftige deutsche Regierung das jüngste deutsch-russische Abkommen über den Bau einer Erdgas-Pipeline auf dem Grunde der Ostsee aufkündigen könnte, fragte sie. Kurzer Sinn einer langen Antwort: Denkbar ist alles, aber klug wäre es nicht. Zwischendurch fiel auch das Wort »Schmarotzer« für jene, die am Transit russischen Gases nach Westeuropa verdienen, aber Iwanow gab zu, dass er an deren Stelle ebenso verschnupft wäre, und beruhigte: Das bestehende Leitungsnetz – und also die Einnahmen der Transitstaaten – blieben unangetastet.

Natürlich äußerte sich der Minister auch zum Militär. Es sei ihm »sehr angenehm«, an den Feiern zum 50. Gründungstag der Bundeswehr teilzunehmen, zu der Russlands Armee heute »normale Arbeitsbeziehungen« unterhalte, was den »radikalen Wandel« im beiderseitigen Verhältnis seit jener Gründung verdeutliche. Weniger angenehm schien ihm die Aussicht, dass die USA die Schwelle für den Einsatz von Nuklearwaffen senken könnten. Zwar sei Moskau auf dem »geschlossenen Kanal« noch nicht über derartige Pläne informiert worden, aber sollten die bekannt gewordenen Konzepte konkrete Formen annehmen, handle es sich um eine grundlegende Revision der Militärdoktrin mit »gefährlicher Tendenz«. Die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen in den so genannten Schwellenländern würde dadurch nur gefördert. Seinen NATO-Kollegen kündigte Iwanow am Mittwoch vorsorglich an, auch Russland werde im Falle des Falles seine Militärdoktrin überprüfen.

Bei aller Partnerschaft mit der NATO: Eine Erweiterung der westlichen Militärallianz betrachtet Iwanow nach wie vor mit Skepsis. Wohl sei es das »souveräne Recht jedes Staates«, auch der Ukraine und Georgiens, der NATO beizutreten. Doch würde dies eine Revision der Beziehungen Russlands zu diesen Staaten erforderlich machen – »nicht nur im Bereich der Sicherheit«, wie Iwanow betonte.

Bedarf an besserer Zusammmenarbeit sah der Minister in Sachen afghanischer »Drogenaggression« gegen den postsowjetischen Raum und Europa. Die Dynamik des Opiumanbaus in Afghanistan sei Besorgnis erregend. Der Umsatz betrage inzwischen 30 Milliarden Dollar im Jahr – Geld, das auch der Schulung von Terroristen nicht nur in Afghanistan diene. Dies war der einzige indirekte Hinweis auf Tschetschenien – sieht man von Iwanows Aufforderung an einen eventuell anwesenden ABC-Vertreter ab, besser keine Frage zu stellen. Der US-amerikanische Fernsehkanal hatte ein Interview mit dem tschetschenischen Terroristenführer Schamil Bassajew ausgestrahlt.

*Aus: Neues Deutschland, 15. September 2005


Verteidigungsminister Iwanow für Schutz der Interessen Russlands und Deutschlands beim Bau der Nordeuropäischen Gaspipeline

BERLIN, 13. September (RIA Nowosti). Russlands Verteidigungsminister Sergej Iwanow hat sich für den Schutz der Interessen Russlands und Deutschlands beim Bau der Nordeuropäischen Gaspipeline ausgesprochen. Er sei sich über die Besorgnis Polens und der Baltischen Länder im Klaren, die bedeutende Mittel durch den Transit des russischen Gases über ihr Territorium erwirtschaften, sagte Iwanow am Dienstag auf einer Pressekonferenz in der russischen Botschaft in Berlin. "Es ist ein offenes Geheimnis, dass diese Transitländer nur einen geringen Teil der Ölprodukte und des Gases für die eigenen Belange nutzen. Der Löwenanteil wird reexportiert", sagte Iwanow.

"Ich kann diese Länder gut verstehen. An ihrer Stelle würde ich vielleicht auf die gleiche Weise vorgehen. Aber wir haben in Deutschland andere Interessen, die durchgesetzt werden sollen." Die Transitländer dürfen diese Interessen nach seinen Worten nicht zu den eigenen Gunsten missbrauchen.

Nach dem Bau der Nordeuropäischen Gaspipeline würden zusätzliche Energieträger nach Europa gepumpt. Die alten Röhren würden weiterhin ausgelastet werden. In dieser Frage gibt es keine Politik. Hierbei gehe es um gewisse Ängste einiger osteuropäischer Staaten, so Polens und der Baltischen Länder.

Dazu zählte Iwanow die von diesen Ländern vorhergesagte ökologische Gefahr, weil die Leitung auf dem Grund der Ostsee verlegt wird. Der russische Verteidigungsminister erinnerte daran, dass eine ähnliche Gaspipeline bereits auf dem Grund des Schwarzen Meeres verlegt worden war. Dabei liege diese Leitung bedeutend tiefer und die Umwelt im Schwarzen Meer sei wesentlich aggressiver. "Aber bislang wurden keine Probleme registriert."

Iwanow machte ferner darauf aufmerksam, dass es für Deutschland und Russland darauf ankommt, die eigenen Interessen durchzusetzen. "Der Bau der Nordeuropäischen Gaspipeline ist sowohl für Deutschland als auch für Russland vorteilhaft."

Die Pipeline wird mehr als 1200 Kilometer lang sein. Die Inbetriebnahme ist für 2010 geplant. In der ersten Phase soll die Pipeline eine Durchlasskapazität von 27,5 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr haben. Das Projekt sieht den Bau eines zweiten Stranges vor, wodurch die Leistung des Systems verdoppelt wird.

Quelle: RIA Nowosti, 13. September 2005; http://de.rian.ru


Russisch-deutsche Beziehungen werden unverändert bleiben

MOSKAU, 14. September (Dr. sc. pol. Igor Maximytschew, wissenschaftlicher Hauptmitarbeiter des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, Gesandter a. D., für RIA Nowosti).

Die kürzlichen Treffen des Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Kandidatin für diesen Posten von der Opposition, Angela Merkel, in Deutschland bekräftigten die feste Absicht der beiden Seiten, unabhängig vom Ausgang der Wahlen keine Störungen in der Entwicklung der bilateralen Beziehungen zuzulassen und sich dabei auf das in den letzten sieben Jahren erreichte Niveau zu stützen. Die beiden Länder legten zu der engen und gegenseitig vorteilhaften Partnerschaft von heute einen 50 Jahre währenden Weg zurück.

Heute ist es schwer vorstellbar, wie erhitzt die politische Atmosphäre in Europa in der Mitte der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts und wie zeitgemäß die Initiative von Moskau gewesen war, das Bonn eine Normalisierung der Beziehungen ohne jegliche Vorbedingungen angeboten hatte.

Anerkennung hat auch die Weisheit von Konrad Adenauer verdient, der entgegen den Ratschlägen der westlichen Verbündeten nach Moskau gekommen war und hier ein Abkommen über die Normalisierung der Beziehungen durchgesetzt hatte. Es ist freilich nicht zu vergessen, dass die diplomatischen Beziehungen zwischen der UdSSR und dem anderen deutschen Staat - der DDR - im September 1955 bereits auf eine sechsjährige Geschichte zurückblicken konnten, und dass der Prozess der Wiederherstellung der Freundschaft zwischen den Deutschen und den Russen gerade im Bereich der Beziehungen der UdSSR mit der DDR begann.

Bei aller Bedeutsamkeit des Septembers 1955 darf man nicht außer Acht lassen, dass er nur diplomatische Beziehungen, das heißt die Möglichkeit für die Bundesrepublik und die UdSSR mit sich gebracht hatte, bei Wunsch ohne Vermittler zu sprechen. Auf freundschaftliche Partnerschaftsbeziehungen zwischen beiden Staaten musste man noch viele Jahre warten. Ein Wandel in dieser Richtung zeichnete sich erst 1970 ab, als der von Willy Brandt unterzeichnete Moskauer Vertrag abgeschlossen wurde. Zum ersten Partnerschaftsvertrag wurde im wahrsten Sinne des Wortes der Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit, der von Helmut Kohl am 9. November 1990 unterzeichnet wurde. Leider blieb dieser Vertrag in vielen Teilen nahezu ein Jahrzehnt lang eine Deklaration. Erst im 21. Jahrhundert begann die Regierung von Gerhard Schröder diesen Vertrag mit realer Politik zu erfüllen. Und Moskau hofft, falls Angela Merkel Bundeskanzlerin wird, dass sie die von ihren Vorgängern begonnene Sache unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit fortsetzen wird.

In der Umgebung der Kandidatin für den Posten des Bundeskanzlers von der Opposition gibt es aber Menschen, die immer noch die Paradigmen des Kalten Krieges nicht losgeworden sind, da die Bundesrepublik beim Blick auf den Osten keinen Partner, sondern den Hauptgegner sah. Davon, ob es diesen Menschen erlaubt wird, die deutsche Politik zu beeinflussen und, wenn ja, dann in welchem Maße, wird das Tempo der weiteren Vorwärtsentwicklung der bilateralen Zusammenarbeit abhängen, jedenfalls in der Anfangsetappe. Zugleich steht es außer Zweifel, dass solche Stimmungen nicht bestimmend sein werden.

Die Festigkeit des Fundaments der russisch-deutschen Partnerschaft wird durch die Basisrealien des Kontinents und der Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts bestimmt, die nicht von der politischen Konjunktur abhängen.

In Europa ist die akute Notwendigkeit zu spüren, die von der Periode der Konfrontation geerbten Barrieren, die hartnäckig nicht verschwinden wollen, sondern lediglich immer weiter nach Osten, zu den Grenzen Russlands, vorrücken, möglichst schnell zu überwinden. Der Beschluss der Europäischen Union und Russlands über die Schaffung gesamteuropäischer Räume ist der einzig zuverlässige Weg zu einer stabilen Zukunft des Kontinents. Die Europäische Kommission ist aber überaus schwerfällig und unentschlossen. Sie zeigt sich eher als ein Massengrab für Ideen und Projekte zum Aufbau von Großeuropa als ein Stab des kontinentalen Aufbaus. Darum müssen die Staaten, die tatsächlich als Europäer denken, die Initiative ergreifen.

Im politischen Bereich spielt die Drei - Frankreich, Bundesrepublik, Russland, - die zum ersten Mal seit der Periode des Kalten Krieges den Westen, das Zentrum und den Osten des Kontinents vereinigt, zweifellos die Rolle eines Leuchtfeuers. Die Einstellung der Konfrontation hat Europa eine Chance gegeben, den internationalen Einfluss, den es in den Zeiten des Kalten Krieges praktisch völlig eingebüßt hatte, gewissermaßen wiederherzustellen. Es wird diese Chance nur dann realisieren können, wenn es die innereuropäischen Mauern und Konflikte beseitigt. Genauer gesagt, Europa wird in der Welt nur in dem Falle erhört, wenn die Stimmen Russlands und der Europäischen Union im Unisono erklingen. Der Erreichung dieses Ziels dient gerade in erster Linie die „Drei“, die alle die Vereinigung des Kontinents fördernden Projekte unterstützt.

Der Weg zur gesamteuropäischen Energieallianz wird unter anderem von dem am 8. September dieses Jahres unterzeichneten Abkommen über die Nordeuropäische Gasleitung gebahnt, wenngleich es auch russisch-deutsch ist. Dieses Ereignis ist kaum zu überschätzen. Der Bedarf an Energieträgern wächst heute und wird auch in der Zukunft wachsen. Besonders schnell wächst aber der Bedarf an Gas.

Es bestehen nur zwei Methoden, den Zugang der ebenso wie Luft unerlässlichen Energieträger von außen zu garantieren: Weltvorkommen an Gas und Erdöl in Besitz zu nehmen oder die Partnerschaftsbeziehungen zu den Ländern, die über solche Vorkommen verfügen, aufzubauen.

Russland ist in der Lage und bereit, eine stabile Versorgung der anderen europäischen (und nicht nur europäischen) Länder mit Energieträgern zu gegenseitig vorteilhaften Bedingungen zu sichern. Die Versuche, unsere Partner durch eine angebliche Gefahr der „Energieabhängigkeit“ von Russland ins Bockshorn zu jagen, sind haltlos. Russland hat durchaus nichts gegen eine Diversifizierung der Versorgungsquellen der Europäischen Union, falls diese solche finden sollte.

Quelle: RIA Nowosti, 14. September 2005; http://de.rian.ru


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