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Inguschen wollen Auschew zurück

Gesuch an Russlands Präsidenten

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Die fünf Inguschen hohe Mützen aus Karakulfell, die im Kaukasus älteren Männern mit unangefochtener Autorität vorbehalten sind. Mit einem Kleinlaster fuhren sie vor dem Moskauer Präsidentenamt vor, um 15 Kisten mit Unterschriften unter ein Gesuch an Dmitri Medwedjew abzuladen.

Inhalt des Gesuchs: Medwedjew möge Inguschetiens Republikschef Murat Sjasikow entlassen und dessen Vorgänger Ruslan Auschew wieder einsetzen. Auschew war 2001 von Sjasikow gestürzt worden, einem ehemaligen KGB-General, den Wladimir Putin vier Jahre später im Amt bestätigte. Sjasikow hat bei der Bevölkerung jedoch keinen Rückhalt und seine Region nicht im Griff. Fast täglich sorgt Russlands ärmste Republik mit Raubüberfällen und Morden, Entführungen und Korruptionsskandalen für Aufsehen. Überdies haben Islamisten aus dem gesamten Nordkaukasus Inguschetien zu ihrem neuen Basislager erkoren. Teile der Bevölkerung sympathisieren inzwischen mit ihnen und sehen in deren Milizen einen Ordnungsfaktor ähnlich den Taliban im afghanischen Bürgerkrieg. In Inguschetien, sagt Magomed Chasbijew, einer der Initiatoren der Unterschriftensammlung, herrsche faktisch Bürgerkrieg. Die Autorität, diesen zu beenden, habe nur Auschew.

Der Petition für dessen Rückkehr waren über 80 000 Unterschriften beigefügt. Bei insgesamt 163 000 volljährigen Einwohnern knapp die Hälfte der wahlberechtigten Bevölkerung. In Wahrheit, so Magomet Jewlojew, Betreiber des Internet-Portals Inguschetia.ru, seien es noch mehr gewesen. Unterschriftslisten, die ein Oppositionsführer aufbewahrt hatte, seien jedoch vor der Reise nach Moskau von Beamten des inguschischen Innenministeriums beschlagnahmt worden.

Der 54-jährige Afghanistan-Veteran Auschew, zweifacher Held der Sowjetunion, käme bei freien Wahlen in seiner Heimat problemlos auf jene 98 Prozent, die Nachfolger Sjasikow bei den Dumawahlen im Dezember an die Zentrale Wahlkommission in Moskau meldete. Dabei bekundeten inzwischen 54 Prozent aller Stimmberechtigten per Unterschrift, dass sie die Wahl boykottiert hatten. Für Sjasikow blieb der Betrug jedoch folgenlos. Anders als Auschew, der sich durch Kritik an Putins Kaukasuspolitik - vor allem in Tschetschenien - unbeliebt gemacht hatte, stellt Sjasikow Direktiven aus Moskau nie in Frage.

Die Bittschrift - der inguschische Parlamentschef Mahmud Sakalow sprach gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax von »Provokation« - könnte für Russlands Präsidenten Medwedjew zum innenpolitischen Härtetest werden. Denn die Petition gleicht einem Ultimatum: Ende August will die Opposition ihren Forderungen mit einer Dauerkundgebung Nachdruck verleihen, sollte der Kreml bis dahin nicht reagiert haben.

* Aus: Neues Deutschland, 7. August 2008


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