Was wird aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS)?
Erhebliche Differenzen auf GUS-Gipfel - Bilden Georgien und Ukraine eine Gegen-Allianz?
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel, die sich mit den Vorgängen in den ehemaligen Sowjetrepubliken befassen.
"Totentanz" in Kasan?
Von Irina Wolkowa, Moskau*
Ursprünglich sollte es ein Routine-
Treffen der GUS-Staatschefs am Rande
der Feierlichkeiten zum 1000. Jahrestag
von Kasan, Hauptstadt der russischen
Teilrepublik Tatarstan, werden.
Inzwischen mehren sich Befürchtungen,
der Gipfel der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft,
der am Freitag begann,
könnte der letzte gewesen sein.
Erstmalig in der Geschichte der im
Dezember 1991 – gleich nach dem
Ende der Sowjetunion – gegründeten
(Zwölfer-)Gemeinschaft unabhängiger
Staaten (GUS) tagen deren
Staatschefs ohne abgestimmtes Abschlussdokument
und sogar ohne
Tagesordnung. Der Grund: handfeste
Differenzen, die weder Russlands
Außenminister Sergej Lawrow
noch das von Moskau geführte
Exekutivkomitee der Gemeinschaft
ausräumen konnten.
Wie tief die Gräben schon sind,
die zwischen den einstigen Bruderrepubliken
verlaufen, zeigte die Tagung
der GUS-Außenminister am
Dienstag. So will Georgien wegen
mangelnder Fortschritte bei Versuchen,
die abtrünnigen Autonomien
Abchasien und Südossetien zurückzuholen,
die Unterschrift für die Abschlussdeklaration
– so sie denn zu
Stande kommt – verweigern. Weil
bei deren Abfassung Vorschläge der
Ukraine nicht berücksichtigt wurden,
ebenso Kiew, das sich ohnehin
zunehmend auf die EU orientiert
und Ende letzter Woche mit Austritt
aus dem Gemeinsamen Wirtschaftsraum
drohte. Das Wort GUS
kam denn auch in Präsident Viktor
Juschtschenkos programmatischer
Rede zum Tag der Unabhängigkeit
kein einziges Mal vor.
Schlimmer: Juschtschenko und
Georgiens Staatschef Michail Saakaschwili
hatten – mit Unterstützung
des Westens, wie die »Iswestija
« mutmaßt – Ende letzter Woche
bei ihrem Gipfel auf der Krim mit
den Präsidenten Polens und Litauens
eine Art Anti-GUS aus der Taufe
gehoben: die »Gemeinschaft der
Demokratischen Wahl«, die den Export
der Revolution in weitere frühere
Sowjetrepubliken erleichtern
und allen Staaten zwischen Ostsee,
Schwarzem und Kaspischen Meer
offen stehen soll. Die Gründungskonferenz
ist für September in Kiew
geplant, Russland soll nur als Beobachter
eingeladen werden.
Auch für Kasachen-Präsident
Nursultan Nasarbajew, den bisher
konsequentesten Verfechter eines
einheitlichen postsowjetischen
Wirtschaftsraums, hat inzwischen
die Zusammenarbeit in regionalen
Bündnissen wie der Shanghai-Organisation
Priorität. Turkmenistan
gar will der GUS künftig nur noch
als assoziiertes Mitglied angehören.
Sogar der russische Präsident
Wladimir Putin hat offenbar Zweifel
an der weiteren Existenzberechtigung
der GUS in ihrer jetzigen Form
und warnte schon beim letzten Gipfel
im Mai vor überzogenen Hoffnungen.
Die Gemeinschaft sei gegründet
worden, um die »Scheidung
der Unionsrepubliken so zivil
wie möglich über die Bühne zu
bringen«. Diese Aufgabe sei erfüllt.
Im Vorfeld des Gipfels von Kasan
legte ein hoher Kremlbeamter
nach: Die GUS, so zitierte ihn RIA
Nowosti, sei ein Spiel ohne Regeln,
die Moskau jetzt setzen würde.
Künftig, so auch Außenminister
Lawrow, werde Russland sich bei
seinen Beziehungen zu den GUSStaaten
von internationalen Standards
und vom Völkerrecht leiten
lassen. Im Klartext: Für russische
Energieträger müssen künftig Weltmarktpreise
gezahlt und für Reisen
nach Russland Visa beantragt werden.
Das würde vor allem die
Arbeitsimmigranten hart treffen –
schätzungsweise fünf Millionen.
Widerstand gegen derartige Pläne
ist programmiert und könnte in
der Tat dazu führen, dass die »Nesawissimaja
Gaseta« Recht bekommt,
die den Kasan-Gipfel als
»Totentanz der GUS« bezeichnete.
* Aus: Neues Deutschland, 27. August 2005
Cordon sanitaire
Von Werner Pirker**
Noch ist es nur eine Idee, doch die hat es in sich. Agentur- und Zeitungsberichten vom Donnerstag zufolge trafen sich bereits am 13. August im georgischen Borjomi die Präsidenten Georgiens und der Ukraine, Michail Saakaschwili und Viktor Juschtschenko. Dabei wurde die Bildung einer neuen Staatenallianz ventiliert, die ein massives Gegengewicht zur postsowjetischen Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) bilden würde. Das Projekt trägt den Namen »Gemeinschaft der demokratischen Wahl« und zielt auf einen regionalen Zusammenschluß der »Demokratien« vom Baltikum über das Schwarze Meer bis zur Kaspischen See.
Die Kampfansage liegt schon in der Bezeichnung. Im Zeichen der »demokratischen Wahl«, die diese Länder getroffen zu haben meinen, wird nach der NATO-Ostexpansion ein noch engerer Ring um Rußland gezogen. Denn daß ein Bündnis an Rußland vorbei im postsowjetischen Raum nur ein Bündnis gegen Rußland sein kann, sollte außer Diskussion stehen. Zu den Initiatoren des antirussischen Blocks gehören neben der Ukraine und Georgien, deren Regierungen von sich behaupten, aus »demokratischen Volkserhebungen« hervorgegangen zu sein, auch noch Litauen und – Polen. Das wäre zwar nicht die erste Gruppe von Staaten, die sich parallel zur GUS herausgebildet hat – das erfolgte bereits mit der Gründung der GUAM (Georgien, Ukraine, Aserbaidschan und Moldawien). Doch erstmals wäre mit Polen auch ein Staat, der nicht der UdSSR angehörte, Mitglied einer solchen Allianz. Mehr noch: Warschau dürfte das eigentliche Zentrum der Verschwörung sein. Polen versteht sich nicht nur als eine Bastion des Westens bei der geopolitischen Neuordnung Eurasiens, es verfolgt auch den ehrgeizigen Plan, sich als regionale Großmacht in Szene zu setzen und Einfluß auf die Geschehnisse in Moskaus historischem Einflußbereich zu nehmen. Unter polnischer Führung soll ein Cordon sanitaire die »Moskowiter« unter Quarantäne setzen.
Bei einem Treffen der vier Präsidenten in der vergangenen Woche auf der Krim wurde »eine neue Ära der Demokratie, Sicherheit, Stabilität und des Friedens in ganz Europa bis zum Kaspischen Meer« verkündet. In Wahrheit würde ein solch dramatischer Umbruch der geopolitischen Situation Stabilität und Frieden aufs äußerste gefährden. Und daß in kaspischen Anrainerstaaten, wie Aserbaidschan, Usbekistan und Kasachstan, gleichsam auch die Demokratie erblühen würde, wenn diese Front gegen Rußland beziehen, ist eine Annahme, die auf der Gleichsetzung von neoliberaler Ausplünderung und Demokratisierung beruht.
Inzwischen wird auch den Bürgern Georgiens und der Ukraine zunehmend klar, daß sie die falsche Wahl getroffen haben, als sie ihre Demokratiehelden an die Macht trugen.
** Aus: junge Welt, 26. August 2005
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