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Mit Kampferfahrung

Moskaus neuer Generalstabschef

Von Knut Mellenthin *

Moskau ist nicht überrascht: Nur drei Tage nach der Auswechslung des Verteidigungsministers wurde am Freitag auch Generalstabschef Nikolai Makarow abgelöst. Waren bei der Absetzung von Anatoli Serdjukow am Dienstag noch die laufenden Ermittlungen gegen leitende Angehörige seines Ministeriums wegen Korruption genannt worden, steht eine Begründung für die Entlassung Makarows, der zugleich in den vorzeitigen Ruhestand geschickt wurde, noch aus. Militärkreise machen Makarow mehr noch als Exminister Serdjukow für negative Folgen der seit mehreren Jahren betriebenen Reform der russischen Streitkräfte verantwortlich.

Makarows Nachfolger Waleri Gerasimow wurde, das hob Präsident Wladimir Putin ausdrücklich hervor, auf Vorschlag des neuen Verteidigungsministers Sergej Schoigu ernannt. Der lobte den 57jährigen als einen »Mann des Militärs bis in die Haarwurzeln«. Gerasimow sei »eine Persönlichkeit, die in den Streitkräften respektiert wird, ein Mann mit riesiger Arbeitserfahrung im Generalstab und im Feld. Und ganz bestimmt jemand mit Kampferfahrung.«

Genau darauf kommt es nach Einschätzung maßgeblicher politischer und militärischer Kreise Rußlands in der absehbaren Zukunft an. Nicht von Konfrontationen mit den USA ist dabei die Rede, sondern von der Verschlechterung der Lage in Teilen des Nordkaukasus, wo islamistische und nationalistische Kräfte als immer gefährlichere Herausforderung gesehen werden. Gerasimow hat die von seinem Verteidigungsminister gepriesene »Kampferfahrung« vor allem erworben, als er von 2001 bis 2003 Armee-Einheiten leitete, die zur Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenien-Krieg eingesetzt waren.

Die Situation im Nordkaukasus ist auch ein zentrales Argument der Militärs, die vor den Folgen der Reformen warnen. Ihrer Ansicht nach hat die scharfe Reduzierung des Offizierskorps unter Serdjukow dazu geführt, daß große Teile der Streitkräfte derzeit nicht zu Kampfeinsätzen in der Lage wären. Allerdings hatte Putin genau darüber auch schon mit Blick auf den von ihm veranlaßten zweiten Tschetschenien-Krieg geklagt. Das war damals allerdings keine Folge der Reformen, sondern diente im Gegenteil erst als Begründung, diese in Gang zu bringen.

Bei dem gemeinsamen Presse- und Fernsehtermin mit Gerasimow und Schoigu am Freitag berührte der Präsident das umstrittene Thema nur vorsichtig und unbestimmt. Die Modernisierung der Bewaffnung der Streitkräfte – ein zentraler Teil der Militärreform – sei eines der wichtigsten Ziele. Bei der Vergabe der Aufträge, für die der Generalstab eine große Mitverantwortung trägt, habe es aber zu viele Schwankungen gegeben. »Wir brauchen die Orientierung auf moderne Waffen, aber ganz sicher ist hier auch Stabilität erforderlich«, sagte Putin. Auf konkrete Details ging er in diesem Zusammenhang nicht ein. Darüber wird gesprochen, wenn sich hinter den Journalisten die Türen geschlossen haben.

* Aus: junge Welt, Samstag, 10. November 2012


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