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Moskau ist in Siegerlaune

Russland: Der Kreml will sich nie wieder von der "Transit-Großmacht" Ukraine vorführen lassen

Von Ulrich Heyden *

Nach 20 Tagen Gas-Streit fragt man sich: Was trieb Russland und die Ukraine dazu, ihren Konflikt derart ungestüm auszutragen? Warum setzen beide Länder in Europa ihren Ruf aufs Spiel? Herrscht in Moskau und Kiew Panik-Stimmung wegen der Finanzkrise? Sind die Eliten heillos in undurchsichtige Gas-Geschäfte verstrickt, aus denen es kein Entrinnen mehr gab? Ist der obskure Vermittler, die Firma RosUkrEnergo mit Sitz im Schweizer Städtchen Zug und angeblichen Mafia-Verbindungen nach Osteuropa, an allem schuld? Oder sind es allein politische Gründe, die uns diesen erneuten "Gas-Krieg" beschert haben?

Man sehe sich die Argumente auf beiden Seiten genau an: Moskau hatte beklagt, dass Kiew noch nicht einmal dem günstigen Preis von 250 Dollar pro Kubikmeter zustimmen wollte und nun auch noch Gas gestohlen habe. So musste man die Gas-Zufuhr komplett unterbrechen, woraufhin Gazprom täglich Einnahmen von 200 Millionen Dollar verlor und nun möglichen juristischen Klagen europäischer Gas-Versorger entgegen sieht. Ganz zu schweigen von der beschädigten Reputation.

Die ukrainische Führung ihrerseits macht geltend, Moskau wolle ihr Land in die Knie zwingen. Tatsächlich steht die Ukraine wegen der Finanzkrise am Rand des Kollaps - die Stahlwerke im Osten drosseln ihre Produktion, es gibt Massenentlassungen und einen schleichenden Staatsbankrott, so dass bereits ein IWF-Kredit von 16,5 Milliarden gebraucht wurde. Ministerpräsidentin Timoschenko und der nicht sonderlich populäre Präsident Viktor Juschtschenko, die beide von der orangenen Revolution hoch gespült wurden, seitdem aber Rivalen sind, könnten vor den Präsidentschaftswahlen Ende 2009 erst recht aneinander geraten. Davon profitieren dürfte mit Viktor Janukowitsch der Führer der Russland freundlichen Partei der Regionen. Um ihm die russischsprachige Wählerschaft abzujagen, schwenkte Timoschenko zuletzt auf einen moderaten Kurs gegenüber Moskau ein, was ihr bei Juschtschenko immerhin den Vorwurf des Vaterlands-Verrats einbrachte. Im Gas-Konflikt scheint Timoschenko mit Juschtschenko allerdings wieder in eine Art Gleichschritt verfallen zu sein. Dennoch kam aus der Präsidialkanzlei vorsorglich die Warnung, Timoschenko versuche die Folgen der Gas-Krise auf den Präsidenten abzuwälzen.

Diese Gemengelage war vorzüglich geeignet, einen Ausgleich hinaus zu zögern. Man spielte bewusst mit den Ängsten der Europäer, wobei die Führung in Kiew darauf spekulierte, dass Europa vor Mitleid mit dem von Medwedjew und Putin bedrängten Land zerfließen werde. In Moskau hoffte man dagegen, die Ukraine werde sich als derart unzuverlässiges Transitland diskreditieren, dass die Chancen der deutsch-russischen Ostsee-Pipeline nur steigen könnten.

Moskau scheint wild entschlossen, jetzt gegenüber Kiew eine Grundsatz-Entscheidung zu erzwingen. Dieser "zweite Gas-Krieg" sollte der letzte gewesen sein, schreibt Witalij Iwanow, stellvertretender Direktor des Zentrums für politische Konjunktur in der Iswestija. Die Ukraine habe versucht, die Rolle einer "Transit-Großmacht" zu spielen. Nun müsse Russland "Stärke zeigen" und die Ukraine auf ihren Platz verweisen. Unverblümt fügt er hinzu, man sei nun einmal "eine Nuklear-Energie-Großmacht" und werde seine "Energie-Ressourcen auch als politische Ressourcen nutzen". Moskau könne nur mit starkem Auftreten etwas erreichen, wie sich dass im Vorjahr auch bei dem von Michail Saakaschwili angezettelten Südossetien-Krieg gezeigt habe. "Wer genug Kraft und Willen hat, bis zum Ende zu gehen, der siegt." Wer nichts habe "außer Frechheit", verliere unweigerlich. Im Südossetien-Konflikt - so Iwanow - habe Russland letztlich gesiegt, denn die USA und die EU hätten die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens "schlucken müssen".

Dass der Gas-Konflikt eine starke militärische Komponente besaß, ließ sich kaum übersehen. Der Kreml fühlt sich von den NATO-Ambitionen des ukrainischen Präsidenten provoziert. Als bekannt wurde, dass Juschtschenko seinem Freund, dem Georgier Saakaschwili, für den Südossetien-Feldzug Panzer und Raketen lieferte, wetterten die Moskauer Kommentatoren gegen die "US-Vasallen", die Russland einkreisen wollten.

In Europa mag es kaum vorstellbar sein, doch Moskau ist in Siegerlaune. Dass jetzt Beobachter der EU die Gas-Transit-Pipelines und Erdgasspeicher in der Ukraine inspizieren, feiert man als Sieg, denn bei den Kontrollen würden unweigerlich Gas-Diebstähle aufgedeckt. Die EU sei weiter auf eine enge Kooperation mit Russland angewiesen. Neue Energiequellen zu entwickeln, das koste "astronomische Summen", schreibt das Kreml nahe Magazin Itogi. Billiger sei es, künftig auf ein transparentes System der internationalen Kontrolle für den Gas-Transport nach Europa zurückgreifen zu können.

Wladimir Putin will ein 2002 von Gerhard Schröder angeregtes Projekt eines europäisch-russisch-ukrainischen Konsortiums für die ukrainischen Transit-Trassen reanimieren. Doch beißt er damit in Kiew vorerst auf Granit.

* Aus: Wochenzeitung "Freitag" 03, 16. Januar 2009


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