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Endlich wieder wer

Von Judith Huber *

Klaus-Helge Donath: Das Kreml-Syndikat. Rotbuch Verlag, Berlin 2008, 224 Seiten; EUR 19,90, SFr. 35,90; ISBN-13: 9783867890137

Russland ist wieder eine Grossmacht und zeigt sich nach den Demütigungen der letzten zwei Jahrzehnte selbstbewusst. Doch die Stabilität steht auf tönernen Füssen.

Klaus-Helge Donath ist ein profunder Kenner Russlands. Er lebt seit 1990 in Moskau: Zuerst schrieb er als Korrespondent für die deutsche «taz», später auch für die «NZZ am Sonntag». Und wie so mancher, der sich ernsthaft auf Russland einlässt, kommt er zum Schluss: Russland ist anders. Donath macht sich daran, dieses Anderssein zu entschlüsseln - auf zahlreichen Ebenen, nicht nur der rein politischen, wie es der unglücklich gewählte Titel «Das Kreml-Syndikat» vermuten lässt. Ein nahrhaftes Buch.

Stabilität ist eines der Schlagwörter, die Donath einer genaueren Prüfung unterzieht. Die Ära von Wladimir Putin zeichne sich durch wiedergewonnene Stabilität aus, so eine verbreitete Annahme. Donath zeigt auf, dass diese Stabilität auf tönernen Füssen steht. Willkürherrschaft, grassierende Rechtsunsicherheit und die wachsende Schere zwischen Arm und Reich untergraben die behauptete Stabilität. Dazu kommen die wachsende Zahl von Mordfällen nicht zuletzt an JournalistInnen (vgl. WOZ Nr. 36/08), schliesslich eine korrupte und ineffiziente Bürokratie und der stetige Abbau von bürgerlichen Freiheiten und Menschenrechten.

Protzen und verprassen

Die Elite ist sich dieser Instabilität bewusst. Die Kapitalflucht hat neue Rekordwerte erreicht. Ein Teil dieses Geldes wird in Villen und Anwesen im Mittelmeerraum und in der Schweiz gesteckt. Überhaupt, der Umgang mit Geld: Nur wenige vertrauen den Banken - so wie die Bevölkerung allen Strukturen misstraut, privaten wie staatlichen. Kein Wunder, haben doch die RussInnen allein in den neunziger Jahren zwei Mal alles Ersparte verloren. Die historische Erfahrung reicht aber noch tiefer: Schon zur Zarenzeit konnten Händler und Fabrikanten nie sicher sein, ob Zar oder Bürokratie am nächs­ten Morgen nicht nach ihrem Vermögen trachten würden. Nicht gerade vertrauensbildend war auch der Umgang mit Michail Chodorkowskij, einer der Reichsten des Landes, der über Nacht Vermögen und Freiheit verlor. Kein Wunder, ziehen es die wohlhabenden RussInnen vor, Geld zu verprassen und zu protzen. Denn in die Zukunft investieren bedeutet in Russland allzu oft auch nichts anderes, als das Geld aus dem Fenster zu werfen. Sicherheit, so Donath, sei in Russland für kein Geld der Welt zu haben.

Besonders aktuell sind die Kapitel zum Wunsch Russlands, wieder als Grossmacht anerkannt zu werden. Nach dem Zerfall der Sowjetunion habe sich Russland vom Westen gedemütigt und erniedrigt gefühlt. Der Nato-Krieg im ehemaligen Jugoslawien und die Nato-Osterweiterung hätten der antiwestlichen Stimmung weiteren Auftrieb gegeben. Nun, mit der neu erreichten finanziellen Unabhängigkeit und Stärke Russlands, kehrt sich diese Kränkung in ein triumphales «Wir sind wieder wer».

Die EU wird bei diesem erneuten Streben nach dem Status einer Grossmacht nicht als Bedrohung empfunden; sie ist zu sehr in innere Widersprüche verstrickt und nimmt ihre Interessen aus russischer Sicht zu wenig aggressiv wahr. «Wir sind nicht an die Gleichheit zwischen Staaten gewöhnt», zitiert Donath einen russischen Intellektuellen und bringt die dahintersteckende Logik auf den Punkt: Russland ist jetzt gross und reich. Grosse lehren das Fürchten, Schwache haben sich zu fügen. Das Auftreten folgt der Logik, zuerst einmal einzuschüchtern und Stärke zu zeigen. Danach sei man aber auch wieder bereit, normal zu verhandeln.

Massstab USA

Der eigentliche Widersacher, so Donath, seien die USA. Politik und Medien überböten sich an Antiamerikanismus. Dabei begegneten die RussInnen den US-AmerikanerInnen eigentlich mit Sympathie und Wohlwollen. Doch die USA seien eines der wenigen Länder, die aus Moskauer Sicht Russland das Wasser reichen könnten - deshalb dienten sie als Projektionsfläche. Ganz wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Der Glaube an sich selbst sei zurückgekehrt, und nun werde auch US-Amerika die alte Rivalenrolle auf Augenhöhe wieder zugewiesen. Die USA seien die Masseinheit der russischen Selbstachtung.

Interessant auch die Überlegungen Donaths zur Macht der Geografie in Russland, zur lediglich halbherzigen Urbanisierung der Städte, zur fehlenden Auseinandersetzung mit dem Stalinismus. Besonders lesenswert schliesslich ist das Kapitel über den Einflüsterer und Wahrheitsverdreher des Kremls, den Spin Doctor Wladislaw Surkow. Ein Müsterchen aus Surkows Giftschrank gefällig? Bitte sehr: «Der Präsident [gemeint ist der frühere Präsident Putin, die Red.] hat den demokratischen Institutionen die wahre Bedeutung des Wortes Demokratie zurückgegeben.»

* Judith Huber war lange Zeit WOZ-Redaktorin mit dem Themenschwerpunkt Russland, Osteuropa und Zentralasien.

Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 2. Oktober 2008



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