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Wie Putin von Bush lernte

Der 11. September 2001 hatte auch Auswirkungen auf die Lage in und um Russland

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Wladimir Putin war unter den ersten Staatschefs, die dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush ihr Mitgefühl zu den Terroranschlägen am 11. September 2001 aussprachen. Doch auch zehn Jahre danach sind die bilateralen Beziehungen schwierig.

Putin – und die meisten Russen ebenso – waren geschockt. Zwar waren die USA Hauptgegner der Sowjetunion im Kalten Krieg und mit dem atomaren Wettrüsten, das Washington Moskau aufzwang, erklärte man Mangelwirtschaft und technischen Rückstand. Von Hass gegen die »Speerspitze des Imperialismus« waren viele Russen dennoch weit entfernt. Heimlich wurden von so manchen Wohlstand, Wirtschaftsleistung und militärische Stärke des Gegners sogar bewundert. Dass die USA trotz aller Überlegenheit dennoch tief verwundbar waren, wie die Anschläge zeigten, registrierte die Mehrheit der Bevölkerung daher frei von Häme. Die Politiker wiederum sahen den Moment gekommen, mit dem einstigen Verbündeten der Anti-Hitler-Koalition wieder auf gleicher Augenhöhe verhandeln zu können und mit ihm Kompromisse zu vereinbaren, die beiden Nutzen bringen, Moskau jedoch nicht als Schwäche ausgelegt würden.

Putin stimmte daher nicht nur dem Transport nichtmilitärischer Güter für die Afghanistan-Invasion der NATO über russisches Territorium zu, die im Oktober 2001 anlief. Er drängte die einstigen und weiter von Russland abhängigen Sowjetrepubliken in Zentralasien auch, ihren Luftraum für den Transport von Truppen und Waffen des westlichen Militärbündnisses zu öffnen und diesem sogar Luftwaffen-Basen zur Verfügung zu stellen. Im Alleingang hätten die Herrscher der Region Derartiges nie gewagt.

Andererseits versuchte Präsident Bush mit dieser militärischen Präsenz in Zentralasien und im Südkaukasus auch, Moskaus Einflussmonopol dort zu brechen und sich Zugriff auf die Öl- und Gasreserven der Kaspi-Region zu verschaffen. So sollte der eigene Anspruch auf die Rolle der globalen Führungsmacht verteidigt und Russlands neu erwachtes Selbstbewusstsein konterkariert werden. Völlig zu Recht vermutet Russland die Drahtzieher für die »Revolutionen« in Kirgisistan und in Georgien in den USA – nichtstaatliche Organisationen, die Bushs Republikanern nahe stehen.

Vor allem aber: Putin und Moskaus Geheimdienste sahen sehr genau hin, welche Konsequenzen die Kollegen in den USA aus der Tragödie für die innere Sicherheit zogen – um diese dann in Russland von links zu überholen. Die Verschärfung von Medien- und Extremismusgesetzen, die Marginalisierung von Opposition und Zivilgesellschaft, undemokratische Verfassungsänderungen, mit denen unter anderem die Direktwahl der Provinzchefs abgeschafft wurde – all das begründete Putin mit der Notwendigkeit, Terrorismus effektiver bekämpfen zu müssen. Kritik daran kam vor allem aus den USA, und die bilateralen Beziehungen verschlechterten sich zusehends.

Weit entfernt von Partnerschaft auf gleiche Augenhöhe sind beide auch nach dem Machtwechsel in Moskau und in Washington 2008. Trotz des Neustarts, den Dmitri Medwedjew und Barack Obama 2009 vereinbarten. Das Gerangel um den Feinschliff des inzwischen von beiden Parlamenten ratifizierten neuen START-Vertrags zur Begrenzung strategischer Rüstungen oder um die Raketenabwehr in Europa machten es deutlich. Und wirtschaftlich gesehen bekommt Moskau noch immer eine Grippe, wenn Washington nur hustet.

* Aus: Neues Deutschland, 10. September 2011


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