Regierung stürzt und sieht sich "geehrt"
Rumänien im Präsidentschaftswahlkampf
Von Anton Latzo *
Knapp zwei Wochen nach dem Platzen der großen Koalition von Liberaldemokraten
(PDL) und Sozialdemokraten (PSD) in Bukarest wurde die »Restregierung« durch ein
Misstrauensvotum im Parlament gestürzt. Damit begann eine neue Runde im Kampf vor den
Präsidentschaftswahlen am 22. November.
»Es ist für eine Regierung eine Ehre zu stürzen, wenn sie eine Reform vorantreibt, die Privilegien
abschaffen soll.« Trotzig verteidigte sich Rumäniens Ministerpräsident Emil Boc, nachdem die
Minderheitsregierung der Liberaldemokratischen Partei (PDL) am Dienstag durch ein
Misstrauensvotum von 254 Mitgliedern beider Häuser des Parlaments gestürzt worden war. Bereits
236 Stimmen von Senatoren und Abgeordneten hätten ausgereicht. Bocs Regierung hatte unter
anderem vor, das gesetzliche Renteneintrittsalter von derzeit 63 Jahren bei Männern und 58 Jahren
bei Frauen bis 2030 auf 65 Jahre zu erhöhen. Die Opposition warf ihm dagegen vor, das Land
wirtschaftlich, sozial und moralisch in die Krise gestürzt zu haben.
Boc musste sich bewusst sein, dass er von vornherein auf verlorenem Posten stand. Anfang
Oktober hatten die Minister der Sozialdemokratischen Partei (PSD) die seit Dezember 2008
regierende Große Koalition verlassen. Zurück blieb eine Minderheitsregierung der PDL. Der
Misstrauensantrag war zwar von der Nationalliberalen Partei (PNL) und vom Demokratischen
Verband der Ungarn in Rumänien eingebracht worden, die gerade erst in die Opposition
gewechselten PSD-Abgeordneten und -Senatoren schlossen sich ihm jedoch gerne an. Vor allem
PNL und PSD feierten das Ergebnis der Abstimmung als großen Sieg: Erstmals seit 1989 wurde
eine Regierung durch ein Misstrauensvotum zu Fall gebracht.
Präsident Traian Basescu nannte den Sturz des Kabinetts zwar »demokratisch und
verfassungsgemäß«, warf den Parteien jedoch vor, nicht die Interessen des Landes, sondern nur
ihre eigenen zu vertreten. Tatsächlich ist die politische Krise in hohem Maße durch Berechnungen
der Parteien -- und Basescus selbst -- im Kampf um das höchste Staatsamt geprägt. Denn am 22.
November steht die Neuwahl des Präsidenten auf der Tagesordnung.
Traian Basescu, der wiedergewählt werden will, befindet sich nach Ansicht einiger Kommentatoren
in einer Zwickmühle. Laut Verfassung muss der Staatspräsident nach dem Sturz der Regierung
Konsultationen mit den Parteien aufnehmen und danach einen Premierminister mit der Bildung eines
Kabinetts beauftragen, das der Bestätigung durch das Parlament bedarf. Basescu wollte auch
unverzüglich mit den Beratungen beginnen. Wenn er allerdings eine schnelle Entscheidung im Sinne
der bisherigen Opposition trifft, wird deren Regierung gewiss keine Maßnahmen einleiten, die
Basescu im Wahlkampf zugutekämen. Damit wüchsen die Risiken für seine Wiederwahl. Die PDL
des bisherigen Premiers Emil Boc dagegen ist Basescu sehr verbunden. Und Boc bleibt
geschäftsführend im Amt, bis eine neue Regierung gebildet ist. Folglich bleibt der gesamte
Staatsapparat so lange unter Kontrolle und zur Verfügung des Präsidenten, der dies durchaus zu
nutzen versteht.
Eben deshalb verlangt die Opposition die Bildung einer Regierung aus unabhängigen Experten. Die
PDL ihrerseits brachte den Oberbürgermeister von Sibiu (Hermannstadt), Klaus Johannis, als
Ministerpräsidenten ins Gespräch. Der umtriebige Vorsitzende des Demokratischen Forums der
Deutschen in Rumänien wurde bekannt, als Sibiu 2007 Kulturhauptstadt Europas war. Nachgesagt
werden ihm gute Beziehungen zum Ausland, besonders zu deutschen Regierungskreisen.
So wurde eine neue Runde im Präsidentschaftswahlkampf eingeläutet. Wiewohl von der PDL
unterstützt, hat Traian Basescu seine neuerliche Kandidatur als Unabhängiger angemeldet. Die
Sozialdemokraten schicken ihren Vorsitzenden Mircea Geoana ins Rennen, die Nationalliberalen
haben ebenfalls ihren Chef, Crin Antonescu, nominiert. Als Unabhängiger kämpft auch Sorin
Oprescu ums Präsidentenamt. Sein Sprungbrett ist das Amt des Oberbürgermeisters von Bukarest,
in das er 2008 -- ebenfalls als Unabhängiger -- gewählt wurde.
Jeder Kandidat behauptet von sich, der einzige zu sein, der Rumänien und seine Bürger in bessere
Zeiten führen kann. Schlüssige Konzepte werden im Wahlkampf durch persönliche Angriffe auf die
Konkurrenten, durch soziale und politische Demagogie unter Ausnutzung der wirtschaftlichen Krise
ersetzt. Basescu freilich setzt auf seinen Amtsbonus. Sein Trumpf ist der Vorschlag, eine
Volksabstimmung über die Verkleinerung des Parlaments anzuberaumen. Statt 471 Abgeordneten
und Senatoren möchte er künftig nur noch 300 Parlamentarier in einer Kammer debattieren sehen.
Damit würde die Position des Präsidenten erheblich gestärkt. Basescu behauptet, auf diese Weise
könne er das Versprechen, den Staat zu reformieren, in seiner zweiten Amtszeit doch noch einlösen.
Die Zeitung »Adevarul« zitierte ihn mit der Aussage, durch die Reduzierung der Zahl der
Abgeordneten würde »eine Klasse der Privilegierten abgebaut, die über spezielle Einkommen und
Pensionen verfügen«. Es ist dies -- wie die gesamte Wahlstrategie -- eine Argumentation, die auf
Populismus und Wählertäuschung setzt.
* Aus: Neues Deutschland, 15. Oktober 2009
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