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Düstere Prognosen für Rumänien

Präsidentenwahl wirft Schatten voraus

Von Anton Latzo *

Die politische Atmosphäre in Rumänien wird gegenwärtig von der Wirtschafts- und Finanzkrise sowie von den Schatten geprägt, die die im November stattfindende Wahl des Staatspräsidenten bereits jetzt wirft.

In Rumänien versuchen derzeit die Sozialdemokratische Partei (PSD) und die Liberaldemokraten (PDL), die seit den Parlamentswahlen im vergangen Herbst eine Koalitionsregierung bilden, einander sowohl in gegenseitiger Kritik als auch in Wahlversprechungen zu übertreffen. Am vergangenen Wochenende warf der Wahlkampfchef der Sozialdemokraten, Viorel Hrebenciuc, dem Ministerpräsidenten Emil Boc, der zugleich Vorsitzender der Liberaldemokratischen Partei ist, vor, dessen Regierung sei nicht in der Lage, mit der Krise Schritt zu halten. »Seit sechs Monaten läuft die Regierung der Krise hinterher und wir sind überzeugt, dass Rumänien, wenn nicht eilige Maßnahmen ergriffen werden, ein beträchtliches wirtschaftliches und soziales Absinken im Herbst nicht verhindern kann.« Regierungschef Boc wiederum hat, ebenfalls am Wochenende, bei Besuchen im Lande unter anderem den Bau von 10 000 Kilometer Bezirks- und Umgehungsstraßen sowie von Wasserversorgungssystemen versprochen, die er aus Regierungsfonds finanzieren will.

So tief die ökonomischen Einbrüche auch sein mögen, die die Krise bewirkt, die komplizierte Lage in der Wirtschaft aber auch in Politik und Gesellschaft ist auch selbst gemacht. Die ökonomische Basis der Gesellschaft ist inzwischen so zerrüttet, dass Fehlentwicklungen und Fehlentscheidungen der Politik kaum noch kompensiert werden können. Angesichts dessen schwinden auch die Unterschiede zwischen den etablierten Parteien. Deren Politik wird von zunehmend ähnlichen pragmatischen Erwägungen geprägt, die den Erfordernissen der Gesellschaft kaum entsprechen. Die Parlamentsparteien entfernen sich von dem nach 1990 gewählten Profil und präsentieren sich immer stärker als Vertreter klein- und großbürgerlicher Interessen. Im Besitz der finanziellen Ressourcen, der Medienmacht, der Bestechungsmöglichkeiten und der administrativen und repressiven Apparate verhindern sie, dass Parteien, die sich für die Belange der Bevölkerung einsetzen, wirksam werden können.

Widersprüche zwischen den Parteien entzünden sich gegenwärtig vor allem an der Frage nach dem künftigen Präsidenten. Ernsthaft dürften nur drei Kandidaten in den Wahlkampf eingreifen können: Der derzeitige Staatspräsident Traian Basescu wird erneut kandidieren und dabei von den Liberaldemokraten des Ministerpräsidenten unterstützt. Die Sozialdemokraten schicken ihren Vorsitzenden Mircea Geoana ins Rennen. Die Nationalliberale Partei (PNL) schließlich, auf der Oppositionsbank, machte ihren Vorsitzenden Crin Antonescu zum Kandidaten.

Die Regierung ist der Krise, wie sie selbst eingeschätzt, bisher ständig hinterhergelaufen. Als sich zum Jahreswechsel 2008/09 das wahre Ausmaß der Verwerfungen andeutete, wurde gerade die Kabinettsbesetzung ausgehandelt. Danach rang man wochenlang um den Staatshaushalt. Für ein ausbalanciertes Konjunkturpaket fehlten dem Staat die Finanzen und der Regierung die Zeit. Im Antikrisenprogramm finden sich deshalb vor allem Vorhaben, die bereits geplant waren und zum großen Teil von vornherein mit EU-Fördergeldern finanziert werden sollten. Hoffnung machen die ersten Umweltgroßprojekte im Bereich Wasser und Abfall, bei deren Realisierung sich deutsche Unternehmen gute Chancen versprechen. Böse sieht es im industriellen und landwirtschaftlichen Bereich aus.

Mit zunehmender Arbeitslosigkeit (sie soll von rund vier Prozent 2008 auf sieben bis acht Prozent in diesem Jahr steigen), mit wachsender Inflation und anderen Krisenfolgen wächst die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Die Weltbank weist in einem Bericht darauf hin, dass der Anteil der Rumänen, die in absoluter Armut leben, von 5,7 Prozent im Jahre 2008 auf 7,4 Prozent 2009 anwachsen wird. Der Anteil der Kinder in dieser Situation könnte von knapp acht auf fast elf Prozent steigen. Die Armut konzentriert sich vor allem auf den ländlichen Bereich. Der Bericht sagt aber auch eine Zunahme der Verarmung in den Städten voraus. Laut rumänischem Handelsregister hat sich die Zahl der Firmen, die im ersten Halbjahr 2009 ihre Tätigkeit einstellen mussten, im Vergleich zum ersten halbjahr 2008 verzehnfacht. Zwischen Januar und Juni 2008 stellten rund 7000 Firmen ihre Tätigkeit ein, im gleichen Zeitraum 2009 waren es 80 013.

Die rumänische Prognosekommission hatte zu Jahresbeginn geschätzt, dass die Wirtschaft 2009 um 4,1 Prozent schrumpfen wird. Das entsprach auch den Schätzungen des IWF. Der hat sich allerdings inzwischen korrigiert: Er erwartet nun eine Schrumpfung von sieben bis acht Prozent.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Juli 2009


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