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Rumänien seit 20 Jahren in der Krise

Mancher sehnt sich gar nach Ceausescu

Von Anton Latzo *

Kurz vor den Feiertagen hat das rumänische Parlament den Haushalt für 2011 verabschiedet. Das war eine entscheidende Bedingung für die Freigabe weiterer Finanzmittel im Rahmen des 20-Milliarden-Euro-Kredits von Internationalem Währungsfonds, Weltbank und EU.

Rumäniens Haushalt 2011 folgt den Vorgaben der internationalen Kreditgeber: Öffentliche Ausgaben und soziale Verpflichtungen des Staates werden teils drastisch beschnitten. Die Ausgaben für Soziales beispielsweise fallen um ein gutes Viertel geringer aus als im abgelaufenen Jahr. Auf diese Weise soll das Haushaltsdefizit, das 2010 6,8 Prozent beträgt, im kommenden Jahr auf 4,4 und 2012 auf 3 Prozent gesenkt werden.

Natürlich verspricht die Regierung unter dem Liberaldemokraten Emil Boc, dass sich die Lage der Bevölkerung dank ihrer Haushaltspolitik verbessern werde. Tatsächlich hat sie sich in den vergangenen Jahren ständig verschlechtert. Kein Wunder, dass laut einer Umfrage knapp die Hälfte der Bevölkerung glaubt, es ginge ihr besser, wenn der 1989 gestürzte und kurz darauf erschossene Nicolae Ceausescu noch im Amt wäre. Nur 24 Prozent erklärten, dass sie heute besser leben als damals.

Wirtschaftsexperten wiesen in der Tageszeitung »Romania libera« darauf hin, dass Rumänien in den vergangenen zwei Jahren einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 16 Milliarden Euro hinnehmen musste. Durch massenhafte Entlassungen ist die Zahl der Lohn- und Gehaltsempfänger von 4,8 auf 4,15 Millionen gesunken. Wer im öffentlichen Dienst noch beschäftigt ist, musste Verdiensteinbußen von durchschnittlich 25 Prozent hinnehmen. Ein Zeichen für den sozialen Abstieg ist auch, dass der Lebensmittelverbrauch binnen zwei Jahren fast um ein Viertel zurückgegangen ist.

Das Hauptproblem der rumänischen Wirtschaft besteht nach Einschätzung der Fachleute in ihrer geringen Leistungsfähigkeit. Sie ist weniger auf die Befriedigung des nationalen Bedarfs als auf die Erfüllung wirtschaftlicher Ziele der in Rumänien tonangebenden ausländischer Unternehmen ausgerichtet.

Der Ökonom Ilie Serbanescu drückte es so aus: »Rumänien ist seit 20 Jahren in der Krise ... Jetzt bezahlt man dafür, dass die Landwirtschaft aufgelöst wurde und an ihrer Stelle Unternehmen von Bodyguards geschaffen wurden. Seit 20 Jahren findet eine Deindustrialisierung statt ...« Ausländische Banken hätten aus den Armen Rumäniens Käufer von Waren aus ihren Herkunftsländern machen wollen. So habe sich ein ungedeckter Verbrauch entwickelt, der nur durch Importe befriedigt wurde, und jetzt habe man die Kredite dafür zu bezahlen. Serbanescus Schlussfolgerung lautet: »Die Krise ist eine des Modells: Verbrauch ohne Produktion, Importe ohne Exporte, Supermärkte ohne Fabriken, Pkw ohne Straßen. Wenn wirtschaftliches Wachstum erreicht wird, dann durch Vergrößerung der Ungleichgewichte.«

Bestätigt wird diese Analyse durch die Außenhandelsbilanz Rumäniens: In den ersten neun Monaten dieses Jahres exportierte das Land Waren und Dienstleistungen für 26,8 Milliarden Euro, die Importe beliefen sich auf 33,8 Milliarden. Dieses Ungleichgewicht ist seit 20 Jahren eine Konstante des rumänischen Außenhandels. Dazu kommt, dass die Exporte fast vollständig auf das Konto ausländischer Unternehmen gehen. Das Karpatenland ist zur Werkstatt ausländischer Firmen geworden, die dort produzieren lassen und von dort exportieren. Unter den 100 größten Exportfirmen sind nur drei mit rumänischem Kapital. Deren Ausfuhren machen ganze zwei Prozent des rumänischen Exports aus. Unter solchen Bedingungen kann es alles geben, nur keine rumänische Außenhandelsstrategie, die auf die Bedürfnissen des Landes und seiner Bevölkerung ausgerichtet ist.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Dezember 2010


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