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Europas Osten im freien Fall

Rezession tiefer als erwartet / Einsparungen im staatlichen Bereich

Von Denis Meraru, Bukarest *

Bis vor einem Jahr galt der Osten Europas als Wachstumsmaschine. Die Aufholjagd gegenüber dem Westteil des Kontinents schien in vollem Gang. Doch die Krise hat die »Tigerstaaten« erwischt – heftiger, als erwartet worden ist.

Rumäniens Regierung hat ein eigenes Rezept, wie sie auf die Krise reagieren will: mit Massenentlassungen von Staatsangestellten. Man war von einem Minuswachstum von 4,1 Prozent ausgegangen; das hatten auch der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Union zugrunde gelegt, als sie Rumänien im Frühjahr einen Standby-Kredit von 12,9 Milliarden Euro (IWF) gaben, der durch die EU auf knapp 20 Milliarden aufgestockt wurde. Tatsächlich werde Rumäniens Wirtschaft 2009 um acht bis 8,5 Prozent schrumpfen, sagte jetzt der Leiter der IWF-Delegation in Rumänien, Jeffrey Franks. Bis Juni 2010 sollen 150 000 rumänische Staatsbedienstete entlassen werden. Der gesamte öffentliche Sektor mit 1,4 Millionen Beschäftigten muss im Zeitraum zwischen kommendem September und November unbezahlten Zwangsurlaub nehmen, die Arbeitszeit von acht auf sechs Stunden senken oder einfach zehn Tage lang zu Hause bleiben. Das gab Finanzminister Georghe Pogea anlässlich des Besuchs der IWF-Delegation in Bukarest in dieser Woche bekannt. Eingespart werden sollen damit 0,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP).

Wie stark die Krise Rumänien getroffen hat, lässt sich auch an den ausländischen Investitionen ablesen. Sie sind mit 2,8 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2009 gegenüber dem Vorjahr um 42,9 Prozent zurückgegangen. Franks, dessen Delegation die Erfüllung der Auflagen für den rumänischen Standby-Kredit bewerten soll, verwies zudem darauf, dass die Inflation sich wohl in diesem Jahr auf 4,3 Prozent belaufen werde.

Auch zu anderen osteuropäischen Staaten hat der IWF Stellung genommen. So will der Währungsfonds Lettland erlauben, seine Finanzlücke um 8,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes auszudehnen. Er verlangt aber gleichzeitig, dass über bisherige Ausgabenreduzierungen hinaus weitere Einsparungen von einer Milliarde Euro erreicht werden. Das könnte zu einer innenpolitischen Zerreißprobe führen. Die lettische Regierung hat die Pensionen schon um zehn Prozent und die Gehälter der Staatsbediensteten um 20 Prozent gekürzt. Das Nachbarland Litauen hat in der Vorwoche angekündigt, dass es aufgrund seines Haushaltsdefizits erneut den IWF oder andere internationale Institutionen um Finanzhilfe angehen werde.

Die Tschechische Republik wird in diesem Jahr ein Defizit verzeichnen, das dreifach so hoch liegt wie jenes vom Vorjahr. Die nachlassende Nachfrage hat zu einem Rückgang der Industrieproduktion um 12 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum geführt.

Polen versucht mit Ad-hoc-Maßnahmen, einschließlich Privatisierungen und hohen Dividendenzahlungen von Staatsunternehmen, die Einnahmesituation zu verbessern. Die Regierung will den Anstieg der Schulden auf 60 Prozent des BIP begrenzen – gemäß dem Vertrag von Maastricht ist dies die Obergrenze für Euro-Kandidaten. Immerhin darf Polen als einer von wenigen Industriestaaten für dieses Jahr mit einem leichten Wachstum rechnen.

Ungarns Wirtschaft dagegen ist von der globalen Finanzkrise besonders hart getroffen worden. Um einen Zusammenbruch zu vermeiden hat Budapest fast 30 Milliarden Dollar an Notkrediten aufgenommen. Die Regierung in Budapest geht davon aus, dass die Volkswirtschaft 2009 um 6,7 Prozent schrumpfen wird. Erst im Jahr 2011 werde Ungarn wieder ein Wirtschaftswachstum verzeichnen.

Am deutlichsten sichtbar werden die Auswirkungen der Krise im Immobiliensektor. Der Wert der Transaktionen auf dem rumänischen Immobilienmarkt ist in der ersten Jahreshälfte um 92 Prozent zurückgegangen, von 815 Millionen Euro in den ersten sechs Monaten 2008 auf nur noch 62 Millionen 2009. Der Mietmarkt in Rumänien schrumpfte um 60 Prozent auf 51 000 Quadtratmeter, wie die Immobilienberaterfirma Cushman & Wakefield festgestellt hat. Internationale Anleger hätten das Interesse verloren – aufgrund von »Unsicherheit hinsichtlich der wirtschaftlichen Stabilität Rumäniens und der Herabstufung des Landes im Rating«, sagte Costel Florea von Cushman & Wakefield and Jones Lang LaSalle. Insgesamt sind in Mittelosteuropa die Bewegungen auf dem Immobilienmarkt um mehr als 90 Prozent zurückgegangen.

* Aus: Neues Deutschland, 14. August 2009


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