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Polen verweigert Streubomben-Verbot

Radoslaw Sikorski gehorcht den USA

Von Julian Bartosz, Wroclaw *

Unter den über 100 Staaten, die am Mittwoch in Oslo die Konvention zum Verbot der Herstellung und Lagerung, des Exports und der Anwendung von Streubomben unterzeichneten, vermisst man Polen. »Trybuna« schrieb dazu am Mittwoch auf der Titelseite:

»Wstyd!« -- Schande!

»Die Regierung unter Donald Tusk wird mit ihrer Haltung dazu beitragen, dass weiterhin Abertausende Menschen durch Cluster-Munition getötet oder schwer verletzt werden«, schrieb der Publizist Zygmunt Slomkowski. Unter den Verweigerern einer Ächtung von Streumunition befinden sich die Vereinigten Staaten, Russland, China, Israel, Indien, Pakistan und von den europäischen Staaten -- Polen, das diese Munition herstellt und exportiert. Streubomben, von denen ein Teil erst nach langer Zeit detoniert, sind vor allem für Kinder und andere Zivilpersonen lebensgefährlich, betont Slomkowski.

Sowohl Jadwiga Ochojska, Chefin der »Polnischen Humanitären Aktion«, als auch Maciej Wieczorkowski von der Initiative »Stopp dem Krieg« und Tadeusz Iwinski vom Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) verlangen von der Regierung Tusk die Unterzeichnung der Konvention und weisen auf die Verletzung der Menschenrechte wie auf die Missachtung der Volksmeinung hin. Es sei unbegreiflich, dass derartig menschenverachtende Waffen überhaupt noch produziert und eingesetzt werden. Polen müsse auch der Konvention von Ottawa über die Ächtung von Landminen beitreten.

Polens Außenminister Radoslaw Sikorski, der sich Gerüchten zufolge um den Posten des NATO-Generalsekretärs bemüht, hält gegen diese Forderung zwei »Argumente« parat: Polen müsse über diese Waffe verfügen, weil Russland sie auch hat. Und zweitens seien die Streubomben gar nicht so gefährlich, denn er selbst habe während seiner Arbeit als britischer Kriegsberichterstatter in Afghanistan in den 80er Jahren mehrmals Angriffe mit solchen Waffen er- und überlebt.

In »Rzeczpospolita« war nach der Dubliner Streubomben-Konferenz im Mai 2008 zu lesen, dass die polnische Armee über Cluster-Munition der Typen RBK und ZK-300 verfüge. Ein Sprecher der polnischen Luftstreitkräfte ließ erkennen, man werde sich diesbezüglich wie die NATO insgesamt verhalten. »Rzeczpospolita« meinte, die polnische Haltung passe sich den Pressionen der USA an, die solche Munition weiterhin verwenden. Das Blatt berief sich auf die »Financial Times«, der zufolge das Weiße Haus an seine Verbündeten eine »starke Warnung« vor einem Beitritt zur Konvention von Oslo ausgegeben habe. Den Botschaftern der NATO-Staaten in Washington sei gesagt worden, dass »gemeinsame Friedensmissionen« durch den Beitritt der »Partnerländer« erschwert werden könnten.

»Gazeta Wyborcza« interviewte Branislaw Kapetanowic, den Sprecher der »Internationalen Koalition zur Ächtung von Streubomben«, der als Pionier der serbischen Armee bei der Räumung dieser Geschosse im Jahre 2000 schwer verletzt wurde und sich seitdem im Rollstuhl bewegt. Was in Oslo zur Unterschrift vorlag, ist nach seiner Einschätzung die wichtigste humanitäre Vereinbarung dieses Jahrzehnts.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Dezember 2008


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