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Linke kontra Neofaschisten

Aktion in Polen: "Die Republik muss sich verteidigen"

Von Julian Bartosz, Wroclaw *

»Für Europa, gegen Faschismus« - unter diesem Kampfruf demonstrierten am Sonnabend im Großen Säulensaal des Sejm Mitglieder des Demokratischen Linksbündnisses SLD, der Palikot-Bewegung, der Polnischen Sozialistischen Partei und Vertreter linker Nichtregierungsorganisationen.

Dies war seit vielen Monaten die erste gemeinsame Aktion der Linken in Polen. Wachgerufen wurde sie durch nationalistische und antisemitische Parolen, die während des »Marsches der Nationalen« am Nationalfeiertag 11. November einen Teil der Öffentlichkeit schockierten. Indem sie unter dem Begriff »Republik« die am Runden Tisch 1989 vereinbarte Ordnung meinten, wollten sie diese abschaffen und die Macht den »wahren Polen«, wie sie der PiS-Führer Jaroslaw Kaczynski versteht, überlassen.

Justizminister Jaroslaw Gowin sagte am selben Tag, »die Haltungen, wie sie während des Marsches hörbar wurden, haben das Recht, im öffentlichen Leben vertreten zu sein.« Er sehe »keinen Grund für eine Delegalisierung«.

Eben diese Worte - wie der SLD-Sprecher Dariusz Jonski betonte - seien ein Signal, dass die Regierung in der Tolerierung von neofaschistischen Kräften zu weit gehe. Die »Allpolnische Jugend« wie das »Radikalnationale Lager« müssten verboten werden. Deren Neuaufgüsse erinnerten an faschistoide Ausschreitungen im Vorkriegspolen.

In der am Sonnabend unterzeichneten Erklärung »Stopp dem Faschismus« ist eine Forderung, die neofaschistischen Organisationen zu verbieten, nicht mehr enthalten. Stattdessen heißt es, die Regierung sei aufgerufen, die Demokratie aktiv zu verteidigen. Regierungsberater wie der Professor Stanislaw Gebethner meinten dazu, Verbote würden in Europa nicht praktiziert.

SLD-Chef Leszek Miller rief im Säulensaal: »Wenn die Republik angegriffen wird, dann muss sich die Republik auch verteidigen.« Auf polnische Straßen sei eine Tradition zurückgekehrt, die 1922 zum Mord an Präsident Gabriel Narutowicz geführt hatte. Janusz Palikot wies auf den Nährboden für die Faschisten hin: auf die Krise und die sich vertiefende Armut der Massen. Er plädierte für ein soziales Europa.

Zwei charakteristische Fakten sind noch festzuhalten: Am 7. November nahm der Sejm mit Stimmen der regierenden Bürgerplattform und der Bauernpartei wie der oppositionellen Partei Recht und Gerechtigkeit einen Beschluss an, in dem die »Narodowe Sily Zbrojne«, der faschistische Zweig des polnischen Untergrunds, verantwortlich für Morde an Juden und nationalen Minderheiten, als patriotische Kräfte gerühmt wurden. Und der seit 9. November in polnischen Kinos ausgestrahlte Film »Poklosie« (Nachernte), der die Judenmorde (wie etwa in Jedwabne 1941) brandmarkt, wird in rechten Blättern als »Nestbeschmutzung« beschimpft.

* Aus: neues deutschland, Montag, 19. November 2012


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