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Mehr polnische Soldaten an die Front

Regierung unter Donald Tusk steht stramm

Von Julian Bartosz, Wroclaw *

Seit USA-Präsident Barack Obama den polnischen Premier Donald Tusk in der vergangenen Woche telefonisch aufgefordert hat, das polnische Kontingent in der »Schutzmission zur Verkürzung des Krieges« am Hindukusch um 1000 Soldaten aufzustocken, ist der Krieg in Afghanistan wieder einmal ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt.

Donald Tusk reagierte sofort und ohne Bedenken: Er sagte die Verstärkung zu. In etlichen Radiound Fernsehinterviews gleich nach dem Telefonat betonte er, die Erfüllung der Bitte des USamerikanischen Präsidenten sei eine »gute Investition in unsere Sicherheit«. Im Internet kommentierte jemand sarkastisch: »Der Donald hätte sagen sollen: Yes Sir, wir schicken umgehend eine Elitekampfeinheit – sämtliche Minister, Sejm und Senat und dazu zwei Flugzeugträger mit Johannes Paul II. auf der Kommandobrücke.«

Verteidigungsminister Bogdan Klich, dem der Premier die Weisung gab, Vorbereitungen zur Entsendung weiterer polnischer Soldaten an die Front zu treffen, versicherte auf sämtlichen Kanälen, sein Ressort sei durchaus darauf eingestellt. Die dafür notwendigen fast 100 Millionen Zloty würden sich im Haushalt des Ressorts schon finden. Klichs Kabinettskollege, Außenminister Radoslaw Sikorski, setzte noch eins drauf: Es sei doch überhaupt keine Frage, ob Polen seinem allerwichtigsten Verbündeten beistehen und seine NATO-Pflichten erfüllen sollte.

Dagegen bezweifelte der linke EU-Abgeordnete Janusz Zemke, ehemaliger Vize im Verteidigungsministerium, ob Polens Armee überhaupt über die angeforderten Kräfte verfüge. Für zusätzliche 600 Soldaten brauche man doch wegen der notwendigen Rotation die dreifache Zahl. Und das gelte auch für die 400 Kämpfer einer »Entsatztruppe«. General Roman Polko, ehemals Kommandeur der Eliteeinheit »Grom« (Donnerschlag) und Militärberater bei Staatspräsident Lech Kaczynski, beklagte, durch die zusätzliche Truppenentsendung bleibe die »Heimatfront« ungeschützt. Polen, das noch vor dem für Januar anberaumten NATO-Gipfel seine Entscheidung traf, erwarte für seine Treue eine Gegenleistung: einen Plan des Bündnisses zur Verteidigung unseres Landes vor Aggressionen. Deswegen rechne man darauf, dass diesem Zweck entsprechende Manöver veranstaltet werden, am besten natürlich in Polen selbst. Die Wochenschrift »Wprost« rechnete zudem aus, dass Polen im Verhältnis zu Bevölkerungszahl und Haushaltvolumen nach den USA das stärkste Kontingent am Hindukusch stelle.

Die »Gazeta Wyborcza« erinnerte daran, dass Polen seit acht Jahren zu immer größeren Leistungen gedrängt wurde. Begonnen habe es mit 400 Soldaten, jetzt gehe es auf 3000 zu. Es sei reine Träumerei zu glauben, dass der Krieg mit dem verstärkten Einsatz entsprechend der Strategie Obamas in 18 Monaten beendet sein wird. Sogar die konservative »Rzeczpospolita« klagte: »Es wird schwer sein zu glauben, dass dies gelingt.« Der Amerikanist Roman Kuzniar von der Universität Warschau sagte der »Trybuna«, die Operation in Afghanistan habe mit Artikel 5 des Washingtoner Vertrags nichts zu tun, sie finde weit entfernt von den Grenzen der NATO-Staaten statt. Es könne doch nicht ewig so sein, dass die USA irgendwelche Pläne schmieden, ohne ihre Verbündeten vorher zu verständigen. Auch Obama behandle sie als Objekte. Selbst aus der oppositionellen Partei PiS war die Meinung zu hören, dass man nicht immer gleich stramm stehen müsse. Das Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) fordert indes weiter die Ausarbeitung eines Plans für den Rückzug, den die große Mehrheit des polnischen Volkes sofort will.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Dezember 2009


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