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Pflegerinnen im Angebot

Millionen Bürger der Philippinen arbeiten im Ausland, vor allem Frauen. Besonders Krankenschwestern sind gefragt. Inzwischen auch in Deutschland

Von Thomas Berger *

Pflegenotstand trifft Existenznot und Jobmangel? Deutschland und die Philippinen hatten im März diesen Jahres ein Rahmenabkommen geschlossen. Es machte u.a. den Weg für Krankenschwestern aus dem südostasiatischen Land in deutsche Kliniken frei. Für bis zu 30000 Stellen in der Pflege gibt es offiziellen Angaben zufolge derzeit keine einheimischen Bewerber, weshalb nun die Filipinas aushelfen sollen, diesem Mangel wenigstens teilweise abzuhelfen. Die Vereinbarung mit Manila kommt dabei nicht von ungefähr: Seit vielen Jahren schon ist der südasiatische Inselstaat sozusagen die »Schwesternfabrik« der Welt. Dort werden weit über den unmittelbaren eigenen Bedarf hinaus Fachkräfte ausgebildet – um anschließend zu Arbeitsstellen im Ausland aufzubrechen. Was vor einem halben Jahrhundert zunächst in Richtung USA begann, sich später auf Kanada und die britischen Inseln ausdehnte, hat inzwischen immer mehr Zielländer im Visier.

Zwei Gründe lassen sich für diesen gesteigerten Export menschlicher Arbeitskraft ausmachen: Zum einen gibt es zahlreiche Nationen, die einen steigenden Personalbedarf im Gesundheitssektor nicht mit eigenen Kräften abdecken können (hierfür sind die Ursachen unterschiedlich und im konkreten sozialökonomischen Kontext dieser Staaten zu finden). Zum anderen hat die Nachfrage aus den USA in jüngster Zeit stark nachgelassen, weshalb die Behörden und Ausbildungsstätten auf den Philippinen froh sind, wenn sich für die zahlreichen Absolventinnen andernorts Ersatzperspektiven auftun. Gerade die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise seit 2008, die ihren Ursprung in Nordamerika hat, ließ die Zahl der Neueinstellungen rapide sinken.

USA kein Ziel mehr

195000 Bewerberinnen von den Philippinen haben zwischen 1995 und 2011 insgesamt vor ihrem Einsatz das notwendige Prüfungsverfahren (NCLEX) für die USA durchlaufen. Auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung 2007 waren es 21499 junge Frauen, 2010 saßen immerhin noch 9789 in den Examen. Auf 5630 Fachkräfte war die Zahl dann 2011 gesunken – dem niedrigsten Wert seit zehn Jahren. Die NCLEX-Prüfung ist dabei nur die erste Hürde auf dem Weg, in einer US-Klinik eine Anstellung zu finden. Dieser entscheidende Schritt gelang 2010 nur noch 83 philippinischen Schwestern. Mittlerweile sind für die Aspirantinnen mehrere Jahre Geduld nötig, um einen Job zu finden.

US-Krankenhäuser sind vorsichtiger geworden, Personal aufzustocken oder frei werdende Stellen neu zu besetzen. Es gibt zudem immer mehr ausgebildete Krankenschwestern aus dem eigenen Land, die auf eine Beschäftigung hoffen, und es drohen schwerwiegende Einschnitte beim staatlichen Gesundheitsprogramm. Das Nachsehen hat die ausländische Konkurrenz.

Erst einmal arbeitslos

Auf den Philippinen selbst landet jetzt ein Großteil der alljährlich 20000 Absolventinnen der 460 medizinischen Colleges in der Warteschleife – also einer wenig komfortablen Arbeitslosigkeit. Offiziellen Schätzungen aus dem Vorjahr zufolge standen 298000 Personen in der »Reserve«. Seit langem haben die Golfstaaten Nordamerika als »Empfängerregion« philippinischer Fachkräfte vom Spitzenplatz verdrängt. 2010 war Saudi-Arabien mit 8513 Schwestern an erster Stelle in der Destinationsliste. Mit klarem Abstand gefolgt von den Vereinigten Arabischen Emiraten auf Platz zwei, wo 473 Filipinas in dortigen Kliniken eingestellt wurden. Die Golfmonarchien gelten mit vergleichsweise hohen Gehältern bei geringem bürokratischem Aufwand im Rahmen des Bewerbungsverfahrens als besonders attraktiv. Einige Bewerberinnen wollen nur dorthin (trotz der z.T. restriktiven Arbeits- und Lebensbedingungen für Frauen). Andere nehmen die Jobs in der arabischen Welt als Sprungbrett, um vielleicht doch noch in Nordamerika oder Westeuropa zu landen. Bei Australien oder Neuseeland wiederum schrecken viele die Zusatzkosten für das Überbrückungsprogramm bis zur regulären Anstellung ab. Die rund 500000 Peso (9500 Euro) sind eine Summe, die eine normale philippinische Familie kaum aufbringen kann.

Zu den neueren Interessenten an Krankenschwestern aus dem Inselstaat zählt neben Deutschland auch Japan. 237 Filipinas wurden dort bereits laut einer Statistik vom Mai 2012 in das entsprechende Vorbereitungsprogramm aufgenommen – deutlich mehr als die 15 jungen Frauen, die 2009 als erste nach dem damals abgeschlossenen Rahmenvertrag zwischen Manila und Tokio loszogen. 2010 hat Japan die Prüfungsordnung überarbeitet und bestimmte Formulierungen vereinfacht, um es ausländischen Bewerberinnen leichter zu machen. Sechs Monate läuft der bezahlte Sprachkurs, danach sind drei Jahre praktischer Einsatz an japanischen Kliniken vorgesehen, um sich einzugewöhnen.

Die Philippinen stehen beispielhaft für Entwicklungsländer mit hoher Arbeitsmigration. Während Staat wie Privathaushalte ökonomisch in hohem Maße von den Überweisungen der im Ausland arbeitenden Bürgerinnen und Bürger profitieren – umgerechnet 20 Milliarden US-Dollar waren das im Vorjahr – bleibt das Ganze nicht ohne negative Auswirkungen auf das soziale Gefüge. Der hohe Anteil von abwesenden Frauen (er ist weit größer als bei anderen Staaten, die Arbeitskräfte »exportieren«) gilt inzwischen als problematisch. Zuhauf wachsen philippinische Kinder quasi ohne Mutter auf. Die Töchter und Söhne kennen bestenfalls noch deren Stimme von gelegentlichen Telefonaten.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 9. April 2013


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