Palästinas Wirtschaft hart getroffen
Täglich Verluste in Millionenhöhe
"Steine der Intifada treffen Palästinas Wirtschaft hart" überschrieb die Frankfurter Rundschau einen Artikel im Wirtschaftsteil (09.11.2000). Sind also die Palästinenser selbst Schuld an der Misere in den Autonomiegebieten? Der Artikel klärt uns darüber auf, dass die Probleme eher von der israelischen Politik der militärischen Abriegelung und der antiarabischen Welle in Israel herrühren. Palästina hängt nach wie vor am Tropf der israelischen Ökonomie. Hilfszusagen aus den Staaten der arabischen Liga liegen zwar vor, werden aber - wenn überhaupt - so schnell nicht realisiert. Aus den USA und Euroland fließen die Mittel ebenfalls spärlich. Die Lage für die Menschen in Palästina wird immer verzweifelter. Der Schlüssel zu einer Lösung (Rückgabe besetzter Gebiete, staatliche Unabhängigkeit, Teilung Jerusalems) liegt in Israel, das den Schlüssel aber nicht herausrücken will. So bleibt die Bevölkerung im Gazastreifen und im Westjordanland Spielball und Geisel militärisch gestützter Hegemonialpolitik Israels und seiner Verbündeten.
Wir dokumentieren im Folgenden den erwähnten Artikel aus der Frankfurter Rundschau.
Steine der Intifada treffen Palästinas Wirtschaft hart
Täglich Millionenverluste durch den Konflikt mit Israel / Ökonomie im "Heiligen Land" ebenfalls betroffen.
Von Inge Günther (Jerusalem)
Wer kann, schmuggelt sich raus. In den frühen Morgenstunden brechen noch
immer vereinzelt Palästinenser auf, um sich und ihre Familien durch Aushilfsjobs in
Israel über Wasser zu halten - trotz der Unruhen, der Abriegelung und der hohen
Geldstrafen, die drohen, wenn sie von den Soldaten erwischt werden. Der
militärische Checkpoint nördlich des autonom verwalteten Bethlehem etwa lässt
sich mit einem längeren Fußmarsch über das Klostergelände Tantour umgehen.
Auch Bewohner der Westbank-Stadt Ramallah kommen an den israelischen
Armeeposten vorbei, wenn sie zeitraubende Umwege über holprige Feldwege in
Kauf nehmen. Doch für das Gros palästinensischer Arbeiter, die bis zum Beginn
der neuen Intifada ihre Schekel auf israelischen Baustellen und Plantagen oder in
den Küchen feiner Restaurants verdienten, ist das keine Lösung. Die meisten sind
ihre Stellen auf unabsehbare Zeit los.
Noch vor sechs Wochen besaßen 47 000 Palästinenser die heiß begehrte
Arbeitserlaubnis für Israel. Darüber hinaus gingen schätzungsweise 60 000 dort
illegal einer Beschäftigung nach. Jetzt müssen sie fürchten, durch thailändische
und rumänische Gastarbeiter ersetzt zu werden. Arabische Gesichter sind auf
israelischen Straßen nicht mehr gern gesehen.
Rapide hochgeschnellt ist entsprechend die Zahl der Arbeitslosen. Der
Palästinensische Ökonomierat für Entwicklung und Wiederaufbau (Pecdar) rechnet
für die Dauer der Abriegelung mit einer Quote von 31 Prozent im Westjordanland
und sogar mit 50 Prozent im Gazastreifen, dessen hochgesicherte
Grenzübergänge sich nicht trickreich umgehen lassen. Allein für die ersten drei
Wochen des Aufstands in den besetzten Gebieten wird der Lohnausfall in einer von
der Friedrich Ebert-Stiftung in Tel Aviv mit herausgegebenen Studie auf 38 Millionen
Dollar (knapp 90 Millionen Mark) taxiert. Einbußen, die auch die
Autonomie-Regierung Yassir Arafats hart treffen, stammt doch ein Großteil ihrer
Steuereinnahmen aus den Abgaben auf den Verdienst palästinensischer
Gastarbeiter in Israel.
Der Gesamtschaden für Produktion, Handel und Arbeitsmarkt im Arafat-Land ist
jedoch noch weit höher. Die Experten beziffern ihn auf rund zehn Millionen Dollar
pro Werktag. Hochgerechnet macht das für die Periode vom 30. September bis 20.
Oktober bereits 186 Millionen Dollar aus.
Die ökonomischen Folgen der Krise reichen aber noch weiter. Der Exportrückgang,
befürchtet man beim Pecdar, wird zu einem Preisverfall bei den heimischen
Erzeugnissen der Agrar- und Textilwirtschaft führen, während die knapp
gewordenen Importgüter teurer werden und damit laut Mohammed Schtayyeh,
Direktor des palästinensischen Wirtschaftsinstitutes, "die Inflation anheizen".
Dass die Hauptgeberländer seit Ausbruch der Gewalt viele soziale
Entwicklungsprojekte einfrieren mussten, verschärft die Lage. Auch nehmen
ausländische Investoren reißaus, was Schtayyeh zufolge "besonders
problematisch ist", da die neuen Industrieparks in Gaza sowie auf dem
Westjordanufer gerade auf Touren kamen, nicht zuletzt dank des großen
Interesses israelischer Unternehmer.
Das ist vorerst passé. Stattdessen kursieren in Israel Pläne über eine weitgehende
Trennung zwischen beiden Völkern.
Praktikabel scheint das kaum, solange die Besatzung anhält. Schließlich sind die
Palästinenser bei der Wasser- und Stromversorgung, aber auch im Straßenbau
und in der Telekommunikation von den Israelis abhängig. Sollten diese künftig eine
wirtschaftliche Kooperation verweigern, sieht Schtayyeh schwarz. "Die Situation
wird nur noch brenzliger, wenn man eine zusätzliche Armee von ausgegrenzten,
unbeschäftigten Jugendlichen auf die Straße treibt - zu Demonstrationen oder
Schlimmerem." Schon jetzt gibt es viele palästinensische Familien, deren Ernährer
in den Straßenschlachten mit der israelischen Armee getötet oder - häufiger noch -
durch schwere Verletzungen zu Invaliden wurden. Zwar hat die Arabische Liga bei
ihrem Gipfel in Kairo den bedrängten Palästinensern Finanzhilfen in Höhe von einer
Milliarde Dollar versprochen. Die Modalitäten der Vergabe sind aber nicht geregelt.
Und selbst wenn das Geld fließt, ist der Pecdar-Chef überzeugt, "wird es geringen
Einfluss haben, solange die Blockade der palästinensischen Ökonomie besteht".
Doch auch Israels Wirtschaft bleibt nicht unberührt vom Konflikt mit den
Palästinensern, wenn auch die Nachteile nicht so gravierend sind. Vor allem im
Bausektor werden die günstigen palästinensischen Arbeitskräfte vermisst. Zudem
bleiben - ausgerechnet im Millenniumsjahr - die Touristen aus. Statt mit einem
Zuwachs rechnet die Reisebranche mit einem Rückgang von zwanzig Prozent im
nächsten Jahr. Nur Israels Exportschlager, die Hi-Tech-Produkte, bleiben verschont
von der Entwicklung. Aber auch dem IT-Gewerbe ist an Stabilität in Nahost höchst
gelegen, vor allem, nachdem Computerfreaks aus arabischen Nachbarstaaten
kürzlich im "Cyberspace-Krieg" die Internetseiten der israelischen Regierung und
der Armee abstürzen ließen.
Aus: Frankfurter Rundschau, 9. November 2000
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