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Die unendliche Geschichte um ein viel begehrtes Land

Vor sechzig Jahren stimmte die UNO für die Zwei-Staaten-Lösung für Palästina - Heute sind die Resolutionen 181 und 242 immer noch unerfüllt

Von Heinz-Dieter Winter *

Erregte Debatten gab es in den Novembertagen vor sechzig Jahren im UNO-Sitz am East River in New York. Letzte Bemühungen um ein friedliches Zusammenleben von Juden und palästinensischen Arabern in einem gemeinsamen Staat waren gescheitert. Die UNO-Vollversammlung stimmte am 29.November 1947 für die Resolution 181. Sie sah vor, das britische Mandatsgebiet Palästina in einen jüdischen und einen arabisch-palästinensischen Staat aufzuteilen, mit einer internationalen Zone in und um Jerusalem. Dreiunddreißig Staaten, auch die Sowjetunion, stimmten dafür, dreizehn Staaten, darunter die arabischen Staaten, dagegen. Zehn Staaten enthielten sich der Stimme. Nach dem Massenmord des nationalsozialistischen Regimes an den europäischen Juden war die Weltmeinung der Gründung eines eigenen jüdischen Staates gegenüber positiv eingestellt. Doch der von der UNO gegen die Meinung der Mehrheit der in Palästina lebenden Bevölkerung gefasste Beschluss hatte katastrophale Folgen. Kaum jemand konnte sich damals vorstellen, zu welchen Konflikten es in der Folgezeit kommen würde und in welchem Maße die palästinensischen Araber zum Leidtragenden einer durch die europäischen Judenverfolgungen und der Shoah verursachten Entwicklung werden würden, an der sie schuldlos waren. Die Einwanderungsbewegung der Juden nach Palästina seit der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts führte zum der Kampf zweier Völker um dasselbe Land. Doch schon das Ergebnis der Abstimmung zeigte, dass das Prinzip der Zwei-Staaten-Lösung zum damaligen Zeitpunkt nicht realisierbar war.

Die arabischen Staaten waren nicht nur deshalb gegen diese Resolution, weil sie die palästinensischen Araber benachteiligte. Dem jüdischen Staat wurden etwa 56% des Territoriums, dem arabischen 44% zugesprochen, obwohl die Araber damals mit etwa 1,3 Millionen sich gegenüber 710 000 Juden in der Mehrheit befanden. Die arabische Seite war vor allem deshalb dagegen, weil sie damals überhaupt gegen die Existenz eines jüdischen Staates in Palästina war. Auf jüdischer Seite wurde der UNO-Beschluss von jubelnden Menschenmassen in den Strassen Jerusalems, Tel Avivs und Haifas begrüßt. Doch die Gründerväter des Staates Israel hegten Pläne und Absichten, sich über die von der UNO gezogenen Grenzen hinaus einen möglichst großen Teil Palästinas mit möglichst wenigen Arabern anzueignen. Das friedliche Zusammenleben von Juden und Arabern war damit von vornherein in Frage gestellt.

Wie der israelische Politikwissenschaftler Ilan Pappe nachweist, hatte Ben Gurion, erster Ministerpräsident Israels, am 10.März 1948 in einer Beratung im sog. Roten Haus in Tel Aviv mit hochrangigen zionistischen Politikern und jungen Offizieren den „Plan Dalet“ zur Vertreibung der arabischen Bevölkerung aus den von Israel beanspruchten Gebieten verabredet. Zu dem Kreis der Urheber und Eingeweihten gehörten der spätere Außenminister Yigal Allon, der späteren Verteidigungsminister Dayan und dem spätere Ministerpräsidenten Yitzchak Rabin. Menachim Begin, der die terroristische Untergrundorganisation Etzel führte, erklärte zwei Tage nach dem UNO-Votum: „Der Etzel wird niemals die Teilung von Eretz Israel akzeptieren. Unsere Nation wird darum kämpfen, das gesamte Gebier zwischen Mittelmeer und der Wüste zu befreien.“ Begin war in den siebziger _Jahren Ministerpräsident. Am 14.Mai 1948, als die letzten britischen Armeeeinheiten Palästina verließen, wurde der Staat Israel ausgerufen. Die Erklärung nahm keinen Bezug auf die UNO-Resolution 181 und fixierte für den jüdischen Staat keinen Grenzverlauf.

Der nun folgende erste arabisch-israelische Krieg endete mit der Niederlage der Araber. Israel verfügte nun über 78 % des Territoriums Palästinas, Jordanien hatte das Westjordanland mit Ostjerusalem und Ägypten den Gaza-Streifen besetzt. Mehr als zwei Drittel der palästinensischen Bevölkerung wurde aus ihren Häusern vertrieben. Sie und ihre Nachkommen, in der Zahl von 4,5 Millionen, leben heute vor allem in Flüchtlingslagern. Man hat später der arabischen Seite vorgeworfen, dass mit der Ablehnung der Resolution 181 eine Gelegenheit verpasst wurde. Sicher hätte durch diese Resolution der palästinensische Staat 44% des Territoriums erhalten, während heute nur noch 22 %gefordert werden. Aber zu blutigen Auseinandersetzungen wäre es wegen der Positionen beider Seiten doch gekommen. Jahrzehnte mit Kriegen und Gewalt vergingen, ehe in beiden Völkern Mehrheiten bereit waren, die Koexistenz zweier Staaten zu akzeptieren. Im sog. Sechstagekrieg vom Juni 1967 besetzte Israel das ganze restliche Palästina, das Westjordanland mit Ostjerusalem, den Gaza-Streifen, die ägyptische Sinai-Halbinsel und die syrischen Golan-Höhen. Der UNO-Sicherheitsrat nahm am 22.November 1967 die Resolution 242 an. Mit dieser nach wie vor gültigen, aber bis heute nicht erfüllten Resolution wurden die völkerrechtliche Grundlage für die Regelung des Nahostproblems und gleichzeitig auch die möglichen territorialen Grenzen des zukünftigen palästinensischen Staates bestimmt.

Die wichtigsten Bestimmungen dieser UNO-Resolution waren: Erstens, Rückzug Israels aus den während des jüngsten Konflikts besetzten Gebieten. Zweitens, Respektierung und Anerkennung der Souveränität, der territorialen Integrität und der politischen Unabhängigkeit jedes Staates der Region und dessen Recht, im Frieden innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen, frei von Drohungen und Gewaltakten, zu leben. Drittens: eine gerechte Lösung des Flüchtlingsproblems.

Aber Israel traf keine Anstalten sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen und die arabischen Staaten lehnten 1967 auf ihrer Gipfelkonferenz in Khartum ab, Israels Existenz zu akzeptieren und Friedensverhandlungen aufzunehmen. Erst nach dem sog. Ramadan- oder Yom-Kippur-Krieg von 1973 und dem Camp-David-Frieden zwischen Israel und Ägypten von 1978 setzte in den arabischen Staaten ein Umdenken ein. Mit der Teilnahme an der Madrider Nahostfriedenskonferenz 1991 zeigten arabische Staaten ihre Bereitschaft, mit Israel Frieden zu schließen.

Das durch die UNO-Resolution 181 begründete Prinzip der Zwei-Staaten-Lösung ist heute allgemein anerkannt. Die arabischen Staaten und die palästinensische Autonomiebehörde sind dafür.

Seit 2002, zuletzt auf der Gipfelkonferenz im März in Fez 2007, erklärten die arabischen Staaten Bereitschaft, den Staat Israel anzuerkennen und mit ihm normale diplomatische Beziehungen aufzunehmen, wenn es sich aus den 1967 besetzten Gebieten zurückzieht und die Gründung eines palästinensischen Staates zulässt. Erst in den letzten Jahren sprechen auch israelische Regierungschefs von der Möglichkeit eines eigenen palästinensischen Staates, ohne allerdings auf Grenzen und Territorium Bezug zu nehmen, wie es die Resolution 242 vorsieht. Die im Ergebnis der Osloer Geheimverhandlungen vereinbarte israelisch-palästinensische Prinzipienerklärung vom September 1993 ließ die Frage, was nach einer fünfjährigen Autonomieregelung aus den palästinensischen Gebieten werden soll, noch offen. Aber immerhin hatte Israel im Rahmen dieser Erklärung erstmalig die Existenz eines palästinensischen Volkes anerkannt. Die PLO hingegen hatte das Recht des Staates Israels in Frieden und Sicherheit zu existieren anerkannt sowie die UNO-Sicherheitsratsresolutionen 242 von 1967 und 338 von 1973 akzeptiert. Die Ergebnisse von Oslo sind inzwischen im Strudel gegenseitiger Gewalt versunken. Die Hauptursache dafür ist, dass Israel bis heute nicht bereit ist, sich so zu verhalten, wie die Resolution 242 vom November 1967 es vorsieht. Die fortgesetzte Siedlungstätigkeit und der Mauerbau quer durch palästinensische Gebiete zeigen die Absicht, palästinensische Gebiete zu behalten. Die USA haben dieser Inbesitznahme großer Teile des Westjordanlandes bisher kein Veto entgegengesetzt, im Gegenteil in einem Briefwechsel zwischen Ministerpräsident Scharon und Präsident Bush vom 14.April 2004 hat letzterer dieser israelischen Absicht prinzipiell zugestimmt.

Das sog. Nahostquartetts,. bestehend aus der UNO, den USA, der Europäischen Union und Russlands, hat es im Fahrwasser der USA unterlassen, mit allem notwendigen Nachdruck von Israel die Einhaltung der 242 und anderer relevanter UNO-Resolutionen zu fordern. Um die Gewalt im Nahen Osten zu beenden, führt kein Weg daran vorbei, dass die UNO-Resolutionen erfüllt werden und Israel die im Juni 1967 besetzen Gebiete Palästinas und die syrischen Golanhöhen räumt. Die von USA-Präsident Bush in Annapolis vorgeschlagene Nahostkonferenz wird keinen Beitrag zur nahöstlichen Konfliktregelung leisten, wenn diese Lehren der Geschichte des Nahostkonflikts nicht berücksichtigt werden.

* Es handelt sich hier um die ungekürzte Fassung eines im „Neuen Deutschland“ vom 17./18. November 2007 erschienenen Artikels.


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