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Den Frieden neu erfinden

Weißbuch für Nahen Osten gefordert. Die "Allianz der Zivilisationen" und der israelisch-palästinensische Konflikt

Von Andrea Bistrich *

Der Termin für die von US-Präsident George W. Bush für November nach Washington einberufene internationale Nahost-Konferenz rückt näher, das Hin und Her im Vorfeld steigert sich. Am Montag ließ Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verkünden, er werde nicht teilnehmen, wenn es nur um eine gemeinsame Erklärung und nicht um ein verbindliches Friedensabkommen gehen sollte. Mittwoch und Donnerstag wird sich US-Außenministerin Condoleezza Rice mit ihm und dem israelischen Premier Ehud Olmert treffen, um den Gipfel vorzubereiten.

Ein vergleichbares Treffen hatte es im Sommer vor sieben Jahren gegeben. Es endete am 25. Juli 2000 in Camp David ergebnislos. Es ging auf eine Initiative des damaligen US-Präsident William Clinton zurück und führte den inzwischen verstorbenen PLO-Chef Yassir Arafat und den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak zusammen. Seither sind mehr als 5000 Menschen durch Gewalt ums Leben gekommen, die Mehrheit von ihnen Palästinenser. Dabei hätte das Nahost-Problem schon längst gelöst werden können, versicherte der marokkanische Diplomat André Azoulay unlängst bei einem privaten Treffen in Berlin gegenüber jW. »Wir haben nur die eine Möglichkeit: Wir müssen den Frieden im Nahen Osten neu erfinden.« Zu viele Chancen seien in den vergangenen 60 Jahren vertan worden, kritisierte Azoulay, der seiner Forderung nach einem sogenannten Weißbuch für den Nahen Osten Nachdruck verlieh. Eine solche Sammlung von Vorschlägen sehe er als Grundvoraussetzung für den Frieden in Nahost, dennoch habe es das noch nie gegeben.

Voraussetzungen

André Azoulay, der, wie er selbst sagt, sich seit mehr als 40 Jahren für Frieden und Dialog zwischen Muslimen und Juden stark macht, ist arabischer Jude und war Wirtschaftsberater des marokkanischen Königs Mohammed IV. Gemeinsam mit dem ehemaligen französischen Außenminister Hubert Védrine legte Azoulay 2006 der UNO ein Papier vor, in dem sie die Grundanforderungen für Friedensverhandlungen im Israel-Palästina-Konflikt skizzieren und sowohl die Beteiligten als auch die internationale Staatengemeinschaft zu konkreten Schritten auffordern. Es sei entscheidend, daß die Palästinenser und die Israelis in einen Diskurs treten und objektiv und sachlich ihre beiderseitigen Verantwortlichkeiten in dieser Tragödie feststellen. Das unterschiedliche Erleben der Geschichte spiegelt sich bis heute in den Interpretationen des Konflikts wider: Was für den Großteil der Juden die Erfüllung eines lang gehegten Wunschtraums war – die Proklamation des Staates Israel –, wurde von den Palästinensern und der Mehrheit der Muslime in der arabischen Welt als Akt der Aggression erfahren, in deren Verlauf Hunderttausende Palästinenser vertrieben wurden und der schließlich in der militärischen Besatzung ihres Landes mündete, die bis zum heutigen Tag anhält.

Das Papier war 2006 im Rahmen des Abschlußberichts der »Allianz der Zivilisationen« erschienen, einem vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan 2005 ins Leben gerufenen Rat zur Förderung des Dialogs zwischen der muslimischen und der westlichen Welt. In dem sind neben Azoulay und Védrine u. a. Frederico Mayor Zaragoza, der frühere Generaldirektor der UNESCO, der ehemalige iranische Staatspräsident Mohammad Khatami, der südafrikanische Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu, die britische Religionshistorikerin Karen Armstrong, der ehemalige Außenminister Indone­siens Ali Alatas sowie Sheikha Mozah Bint Nasser Al Missned, die Ehefrau des Emirs von Katar, vertreten. Die Lage ist ernst, heißt es einstimmig. Nicht die Religion, sondern der israelisch-palästinensische Konflikt sei das »Schlüsselsymbol für die Kluft zwischen den westlichen und muslimischen Gesellschaften« geworden.

Realitäten

In dem geforderten Weißbuch, so Azoulay, gehe es vor allem darum, daß beide Seiten ihre eigene Geschichte sowie die Erfolge und Fehlschläge im Friedensprozeß der vergangenen Jahre aus ihrer Perspektive analysieren und bewerten. Auf dieser Grundlage sollen im nächsten Schritt die Bedingungen festgelegt werden, die einen Weg aus der Krise weisen könnten und deren Einhaltung für beide Seiten bindend ist. Ein solches Dokument wird von den Weißbuch-Initiatoren als wesentliche Handreichung für die an der Beilegung des Konflikts beteiligten politischen Entscheidungsträger gesehen.

Eine umgehende, dauerhafte und gerechte Lösung, so die Expertengruppe der Allianz, muß sich heute – 60 Jahre nach den UN-Resolutionen von 1948, die den Boden für die Gründung Israels bereiteten – auf drei unwiderlegbare Realitäten gründen: die Tatsache einer nationalen palästinensischen Bewegung, von der bekannt ist, daß weder Zeit noch Geld noch Militäreinsatz dieses Ziel nach einem eigenen, souveränen Staat werden aufhalten können; die Tatsache einer nationalen jüdischen Bewegung, die ihre Vollendung im Staate Israel sieht, einem Teil Palästinas, und über die ebenfalls bekannt ist, daß sie sich weder Terror, Krieg noch internationalem Druck beugt; und nicht zuletzt der Wunsch aller nach einer fairen, würdigen und ethischen Lösung, die der Koexistenz zweier Staaten – Israel und Palästina – eine reelle Chance einräumt.

Informationen zur "Allianz der Zivilisationen": http://unaoc.org/

* Aus: junge Welt, 18. September 2007

The Report of the High-level Group

To advance the Alliance of Civilizations, the UN Secretary-General established a High-level Group of eminent personalities and tasked this Group with generating a report containing an analysis of the rise in cross-cultural polarization and extremism and a set of practical recommendations to counter this phenomenon. The High-level Group met five times from November 2005 to November 2006, at the conclusion of which it produced a report which takes a multi-polar approach within which it prioritizes relations between Muslim and Western societies.

The report is structured in two parts: Part I presents an analysis of the global context and of the state of relations between Muslim and Western societies. It concludes with a set of policy recommendations, indicating the High-level Group's belief that certain political steps are pre-requisites to any substantial and lasting improvement in relations between Muslim and Western societies. Part II of the report reflects the High-level Group's view that tensions across cultures have spread beyond the political level into the hearts and minds of populations. To counter this trend, the Group analyzes and presents recommendations in each of four thematic areas: Education, Youth, Migration, and Media. The Report concludes with the High-level Group's suggestions for the implementation of its recommendations.

The Report of the High-level Group was presented to UN Secretary-General Kofi Annan and to Prime Ministers José Luis Rodríguez Zapatero and Recep Tayyip Erdoğan on 13 November 2006 at the final meeting of the High-level Group in Istanbul, Turkey.

Follow this link to see the Report of the High-level Group.




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