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Chancen auf Neuwahlen sinken

Palästinenserpräsident fordert Abstimmung auch im Gaza-Streifen *

Die Chancen auf palästinensische Neuwahlen sinken weiter: Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sagte am Donnerstag (17. Feb.), er wolle Neuwahlen nur dann, wenn auch die Menschen im Gaza-Streifen abstimmen können.

Ein Sprecher der im Gaza-Streifen herrschenden Hamas bekräftigte am Donnerstag, man wolle an einem Wahlboykott festhalten. Im Westjordanland demonstrierten unterdessen Hunderte von Palästinensern für eine Versöhnung der rivalisierenden Fraktionen Fatah und Hamas. »Das Volk will ein Ende der Spaltung«, riefen die Demonstranten. Die Polizei, die in den vergangenen Wochen Demonstrationen nicht zugelassen hatte, mischte sich diesmal nicht ein. Mehrere palästinensische Fraktionen hatten zu den Protesten aufgerufen.

»Es ist nicht akzeptabel, Wahlen nur im Westjordanland abzuhalten«, sagte Abbas in Ramallah. Diese müssten das Westjordanland und den Gaza-Streifen einschließen, »sonst können sie nicht stattfinden«. Die Hamas hatte am Wochenende erklärt, sie wolle die von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) für September angekündigten Wahlen boykottieren. Auch am Donnerstag sagte ein ranghoher Hamas-Führer in Gaza, man glaube nicht an Abbas' Ernsthaftigkeit. »Er weiß genau, dass er ein illegaler Präsident ist und er keine Legitimität durch Wahlen erzielt hat, nachdem seine Amtszeit abgelaufen ist«, sagte Salach al-Bardawil. Neuwahlen hätten vor einer nationalen Versöhnung keinen Sinn.

Die Abstimmung ist längst überfällig: Die letzten Präsidentschaftswahlen gab es im März 2005 und Parlamentswahlen im Januar 2006. Die offizielle Amtszeit von Abbas war bereits Anfang 2009 abgelaufen. Bislang scheiterten Neuwahlen aber an dem Streit zwischen den rivalisierenden Palästinenserorganisationen Fatah und Hamas. Aus den letzten Parlamentswahlen vom Januar 2006 war Hamas als Wahlsieger hervorgegangen. Israel und der Westen boykottierten die radikalislamische Organisation, weil sie nicht das Existenzrecht Israels anerkennen und Terror und Gewalt nicht abschwören wollte.

Im Juni 2007 übernahm Hamas dann mit Gewalt die Kontrolle über den Gaza-Streifen. Die zweitstärkste Palästinenserorganisation erkennt die Autorität von Präsident Abbas nicht mehr an, seit dessen Amtszeit abgelaufen ist. Mehrere Versöhnungsversuche zwischen beiden Gruppierungen blieben erfolglos.

Unterdessen hat die israelische Armee in der Nacht zum Donnerstag drei Palästinenser im nördlichen Gaza-Streifen getötet. Ein Militärsprecher teilte mit, die Männer hätten versucht, an der Grenze zu Israel einen Sprengsatz zu legen. Die Soldaten hätten daher das Feuer auf sie eröffnet.

Palästinensische Augenzeugen berichteten, die Männer hätten versucht, den Zaun nach Israel zu durchtrennen. Ein israelischer Hubschrauber habe nördlich der Stadt Beit Lahia Raketen auf sie abgefeuert.

Nach Angaben der Armee Israels hat es im vergangenen Jahr etwa hundert gewaltsame Vorfälle an der Grenze gegeben.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Februar 2011


Eine geplante Farce

Wahlankündigung vertieft den Spalt zwischen den palästinensischen Organisationen. Chefunterhändler Erekat erklärt seinen Rücktritt

Von Knut Mellenthin **


Das Exekutivbüro der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO hat am Sonnabend (12. Feb.) beschlossen, in diesem Jahr Präsidenten- und Parlamentswahlen durchzuführen. Ein Termin wurde noch nicht bekanntgegeben, doch sollen die Wahlen auf jeden Fall vor September stattfinden. Gerüchteweise ist vom Juli die Rede. Regulär wäre die Neuwahl des Präsidenten schon 2009 fällig gewesen. Die verfassungsmäßige Amtszeit des Parlaments endete vor einem Jahr.

Die erste Wahl einer palästinensischen Volksvertretung im Januar 2006 hatte eine Mehrheit für die islamische Hamas ergeben. Die daraufhin gebildete Regierung wurde von den USA und der EU systematisch boykottiert, diffamiert und ausgehungert. Die israelischen Behörden nahmen Dutzende gewählter Abgeordneter in Haft. Seit die Hamas im Juni 2007 einen geplanten Putsch der Fatah im Gaza-gebiet vereitelte und dort die Macht übernahm, ist das Parlament nicht mehr zusammengetreten. Der Präsident der »Palästinensischen Autorität« (PA), Mahmud Abbas, ernannte am 14. Juni 2007 eine neue Regierung unter Salam Fajjad, die von Hamas nicht anerkannt ist.

Die Ankündigung der Wahlen erfolgte einen Tag nach dem Rücktritt des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak. Der Schritt der PLO wird allgemein als Reaktion auf die Aufstände und Proteste in der arabischen Welt interpretiert. Er stellt zugleich einen Versuch dar, von den tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten unter den Palästinensern über die erfolglosen »Friedensverhandlungen« mit Israel abzulenken. In einer Erklärung des Exekutivkomitees werden alle palästinensischen Parteien und Organisationen aufgefordert, »ihre Bedenken und Differenzen zurückzustellen« und sich jetzt gemeinsam auf die Abhaltung der Wahlen zu konzentrieren. Alle offenen Fragen könnten später im Parlament diskutiert und gelöst werden.

Die Hamas reagierte umgehend mit einer scharfen Ablehnung des PLO-Beschlusses. »Wir erkennen die Wahlen nicht an und werden uns an ihnen nicht beteiligen (…), weil sie die Spaltung verfestigen und nicht im Interesse der Palästinenser sein werden.« Die PLO in ihrem jetzigen Zustand repräsentiere nicht die Palästinenser, sondern sei von der Fatah »gekapert« worden. Im übrigen sei es gar nicht möglich, Wahlen ohne Zustimmung der Hamas abzuhalten. Also handele es sich nicht um eine ernsthafte Ankündigung, sondern lediglich um eine Farce, die Abbas »gut aussehen lassen« solle. Hamas sei zwar für Wahlen, aber erst nach einer »Versöhnung« der streitenden Lager. Diese Einschränkung zielt offenbar auch darauf ab, sich vorab auf eine einheitliche Haltung für den voraussehbaren Fall zu verständigen, daß Israel und der Westen das Wahlergebnis erneut nicht akzeptieren.

Ebenfalls am Sonnabend gab der Chefunterhändler der PA gegenüber Israel, Saeb Erekat, seinen Rücktritt bekannt. Er war heftiger Kritik ausgesetzt, nachdem der arabische Sender Al-Dschasira und die britische Tageszeitung Guardian interne Verhandlungsprotokolle veröffentlicht hatten. Vielen Palästinenser gehen die dort gemachten Zugeständnisse zu weit. Erekat begründete seinen Schritt damit, daß sich das »Leck«, aus dem die Papiere an die Öffentlichkeit gelangt waren, in seinem Büro befand. Seine Verhandlungslinie rechtfertigte er jedoch erneut. Hamas forderte die PA daraufhin auf, endlich das Scheitern des sogenannten Friedensprozesses einzugestehen.

** Aus: junge Welt, 14. Februar 2011


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