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Fatah oder Fatah?

Bei Kommunalwahlen im Westjordanland dominiert eine Partei

Von Oliver Eberhardt, Ramallah *

Bei den Kommunalwahlen im Westjordanland standen die Gewinner in vielen Gemeinden bereits vorher fest. In den restlichen Städten und Dörfern dominierten Listen der Fatah. Die Wähler straften die Partei dennoch ab: indem sie zu Hause blieben. Die Wahlbeteiligung lag bei nur 54,8 Prozent.

Er sieht beschäftigt aus, wie er da an seinem Computer sitzt, während neben ihm eine Dame mit Kopftuch gelangweilt in einer Zeitschrift blättert - beide eine leere Halle vor sich. Doch der Schein trügt: Saed Khalili spielt am Computer Karten. »Irgendwie müssen wir uns ja bei Laune halten«, sagt der Leiter dieses Wahlbüros in der Innenstadt von Nablus, nördlich von Ramallah. Der letzte Wähler, sagt Khalili, sei vor 20 Minuten da gewesen. Draußen vor der Tür, vorbei an den Kaffee trinkenden Polizisten, geht das Leben seinen gewohnten Gang: Käufer und Verkäufer feilschen um den besten Preis, Sammeltaxifahrer machen laut rufend darauf aufmerksam, dass noch ein oder zwei Plätze nach Ramallah, Jericho oder sonst wohin zu besetzen sind. Spricht man jemanden auf die Wahlplakate an, mit denen auch hier die Wände gepflastert sind, ist die Antwort oft verächtlich - und noch öfter enttäuscht: Vergleiche mit Bananenrepubliken oder Nordkorea werden gezogen und immer wieder wird betont, wie sehr man sich Demokratie wünsche. »Echte Demokratie«, so scheint das Schlagwort, die Forderung des Tages zu lauten.

Echte Demokratie ist teuer

Die palästinensischen Kommunalwahlen 2012 aber sind eine Wahl ohne Auswahl. In 261 der insgesamt 353 Kommunen im Westjordanland, die sich unter der Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde befinden, stand nur eine einzige Wahlliste, die der Fatah-Fraktion, zur Auswahl, weshalb dort gar nicht erst abgestimmt wurde. Die Bewohner hätten sich vor der Wahl auf die Besetzung der Gemeindeparlamente geeinigt, so die Begründung der Regierung von Präsident Mahmud Abbas. »Diese basisdemokratischen Prozesse sind das, was unsere Demokratie ausmacht«, sagt Hischam Kuhail, Chef der Wahlkommission: »Es hätte nur zusätzliches Geld gekostet, dort eine Wahl abzuhalten.«

Ist das so? Zweifel sind zumindest angebracht, wie ein Besuch in einem Dorf außerhalb von Ramallah zeigt. In einem Teehaus an der Hauptstraße wartet der Vorsitzende der Ortsgruppe der Volksfront für die Befreiung Palästinas, besser bekannt unter der aus dem Englischen hergeleiteten Abkürzung PFLP. Er bittet darum, seinen Namen und den des Dorfes nicht zu nennen: »Die Lage hier ist sehr angespannt, viele Menschen sind sehr wütend. Ich will nicht noch Öl ins Feuer gießen.« Ob es tatsächlich eine Bürgerversammlung gegeben hat? »Ja«, sagt er, »aber schriftlich eingeladen wurden nur Mitglieder der Fatah. Als wir und andere Parteien dann unsere Liste beim Wahlausschuss einreichen wollten, wurde uns gesagt, dass bei uns gar nicht gewählt wird, weil sich die Bewohner bereits auf eine Liste geeinigt hätten.« Ein Vorgang, der auch aus einer ganzen Reihe von anderen Ortschaften berichtet wird.

So blieb diesen Menschen die Möglichkeit versagt, die dort, wo überhaupt gewählt wurde, von sehr vielen genutzt wurde: die Abstimmung mit den Füßen. Nur insgesamt 54,8 Prozent aller registrierten WählerInnen haben gewählt - so wenige wie nie zuvor. Bei den bislang letzten Parlamentswahlen Anfang 2006 waren insgesamt 74,6 Prozent der Wähler zur Wahl gegangen, wobei die Wahlbeteiligung damals im Westjordanland mit 88,2 Prozent höher war als im Gazastreifen, wo 61 Prozent teil genommen hatten.

Diesmal wurde im Gazastreifen gar nicht abgestimmt. Denn dort regiert die Hamas, die sich seit Jahren einen erbitterten Machtkampf mit der Fatah liefert. Offiziell ist Gaza nach wie vor Teil der Palästinensischen Autonomiegebiete. Der Streit zwischen den Fraktionen habe aber mit der Autonomiebehörde nichts zu tun, betonen beide Seiten immer wieder. Doch tatsächlich haben sich längst zwei Systeme, und noch viel mehr als das, zwei verschiedene Gesellschaften, herausgebildet, die miteinander kaum kompatibel sind: Gaza hat seine eigene Regierung, seine eigene Polizei, in einigen Ländern sogar eigene Botschaften. Zwar hatten sich beide Gruppierungen vor einigen Monaten in einer Phase zaghafter Annäherung darauf geeinigt, die Kommunalwahl auch im Gazastreifen abzuhalten. Doch kurze Zeit später schickte die Hamas die Vertreter des Wahlausschusses bereits wieder zurück nach Ramallah. Die Mitarbeiter hätten systematisch versucht, Mitglieder der Hamas bei der Registrierung zu umgehen, begründet Hassan Abu Haschisch, Sprecher der Hamas-Regierung, diesen Schritt. Um in Palästina wählen zu können, muss man zuvor in die Wählerlisten aufgenommen worden sein. Auch im Westjordanland beklagte sich die Hamas über Schikanen: Die Wahllisten ihrer politischen Bewegung »Wechsel und Reform« seien vor den Wahlen massiv behindert worden. Es habe Einschüchterungsversuche durch den Sicherheitsapparat gegeben, und Kandidaten seien mit »fadenscheinigen Begründungen«, so Abu Haschisch, von der Kandidatur ausgeschlossen worden. Eine unabhängige Bestätigung dafür gibt es nicht. Nur dies: Aus den wenigen Unterlagen des Wahlausschusses, die öffentlich zugänglich sind, geht hervor, dass, bevor die Hamas zum Wahlboykott aufrief, keine einzige »Wechsel und Reform«-Liste zur Wahl zugelassen worden war. Es seien wegen des Boykotts schlicht keine Listen eingereicht worden, erläutert Wahlausschusschef Kuhail. Doch zumindest in Hebron und Nablus, zwei Hochburgen der Hamas, waren die für die Zulassung notwendigen Unterschriften gesammelt worden, wie aus Unterlagen hervor geht, die Vertreter der dortigen Wahllisten vorlegten. Auf den Kopien sind auch Stempel des Wahlausschusses zu sehen.

Ein Vorgang, den weder Kuhail noch Premierminister Salam Fajad kommentieren wollen, der am Samstagabend zum Gespräch lädt. Fajad möchte lieber über den Ablauf der Wahl sprechen: »Diese Wahl war ein Erfolg«, sagt er, »wir haben bewiesen, dass die palästinensische Demokratie trotz aller Widrigkeiten funktioniert.« An der niedrigen Wahlbeteiligung sei allein der Boykott der Hamas schuld, so Fajad: »Die Menschen wollen nationale Einheit, doch die Hamas stemmt sich mit allen Mitteln dagegen.«

»Wir wollen eine Wahl«

Ein Blick nach draußen lässt allerdings auch Zweifel daran aufkommen, ob es wirklich nur die Hamas war, die die Menschen dazu gebracht hat, zu Hause zu bleiben. Ein paar Straßen von Fajads Büro in Ramallah entfernt wird gerade demonstriert - ein mittlerweile alltägliches Bild im Westjordanland. Dort, wo die Arbeitslosigkeit täglich neue Höchststände erreicht und die Menschen in der Regierung Fajads den Hauptverantwortlichen sieht. Mehrere Hundert Demonstranten fordern laut rufend und auf Transparenten den Rücktritt der Regierung. Sie tun es immer lauter, immer wütender. Neu hinzu gekommen ist an diesem Abend allerdings die Forderung nach Demokratie. »Wir wollen eine Wahl«, rufen die Menschen.

Am Rande beobachtet ein Team des palästinensischen Fernsehens PBC, eine Art Stimme der Fatah, das Geschehen. »Wir Palästinenser sind ein sehr politisches Volk«, sagt Adnan Schweiki, der Reporter: »Eine Diktatur, wie man sie aus anderen arabischen Ländern kennt, wäre hier kaum möglich und die Leute haben das Gefühl, dass sie nun auf dem Weg dorthin sind. Hier geht es nicht um den Konflikt von Fatah und Hamas. Das ist ein Konflikt zwischen der Fatah und der Bevölkerung.« Ein Konflikt, der zunehmend auch in die Fatah selbst Einzug hält. Nicht nur PBC geht auf Distanz zur eigenen Regierung, auch recht viele Politiker der Fatah haben vor den Wahlen Lebwohl gesagt und sind entweder als Unabhängige oder auf alternativen Wahllisten angetreten. Auch hier wurde von Einschüchterungsversuchen berichtet.

Genutzt hat es allerdings sehr wenig. In Nablus beispielsweise, wo eine Fatah-Liste gegen eine Ex-Fatah-Liste antrat, war mit gerade einmal 36,5 Prozent die Wahlbeteiligung am niedrigsten. Anders sah es hingegen in den wenigen Orten aus, in denen es eine Auswahl gab: In Beit Jala, südlich von Jerusalem, bildeten sich lange Schlangen vor den Wahllokalen. In Hebron, wo bereits seit 36 Jahren kein Stadtrat mehr gewählt wurde, musste sogar zusätzliches Personal angefordert werden.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 23. Oktober 2012


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