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Gegner, Befürworter und - Westerwelle: UN-Generalversammlung debattiert über den Status von Palästina

Von Peter Strutynski

Heute vor 65 Jahren hat die UN-Generalversammlung den Plan zur Errichtung eines jüdischen und arabischen Staates auf dem Gebiet Palästinas verabschiedet. Damit hätte der Weg für eine Zwei-Staaten-Lösung frei sein können.

Doch es kam anders. Während ein israelischer Staat seit über 60 Jahren existiert, bleibt die versprochene Staatsgründung den Palästinensern immer noch vorenthalten. Mehr noch: Große Teile des ihnen zugestandenen Territoriums sind von Israel annektiert bzw. heute noch besetzt.

Allerhöchste zeit, diesen Zustand zu beenden. Daher liegt der UN-Generalversammlung heute, am 29. November 2012, eine Resolution vor, die zu einer Aufwertung Palästinas führen soll.

Hier geht es zur Resolution, die von vielen Staaten einschl. der palästinensischen Behörde eingebracht wurde (englisch): www.un.org [externer Link].

Reiner Bernstein (München) hat die wesentlichen Forderungen aus der Resolution auf Deutsch zusammengefasst. Dies sind die Punkte:
  1. wird das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit in ihrem Staat Palästina im palästinensischen Territorium bekräftigt, das seit 1967 besetzt ist;
  2. wird von den Vereinten Nationen verlangt, Palästina den Status eines „Non-member Observer State“ zuzuerkennen, ohne die errungenen Rechte, Privilegien sowie die Rolle der PLO als Repräsentantin des palästinensischen Volkes in den Vereinten Nationen gemäß den einschlägigen Resolutionen und der Praxis zu beschädigen;
  3. drückt der Entwurf die Hoffnung aus, dass der UN-Sicherheitsrat die Bewerbung vom 23. September 2011 seitens des Staates Palästina zum Erwerb der vollen Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen günstig bedenkt;
  4. bestätigt der Entwurf die Entschlossenheit, zur Erlangung der unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volkes und zu einer friedlichen Regelung im Nahen Osten beizutragen, die die Besatzung seit 1967 beendet und die Vision der zwei Staaten erfüllt, eines unabhängigen, souveränen, demokratischen, [territorial] zusammenhängenden und lebensfähigen Staates Palästina an der Seite Israels in Frieden und Sicherheit auf der Grundlage der Grenzen vor 1967;
  5. drückt der Entwurf das dringende Bedürfnis nach Wiederaufnahme und Beschleunigung von Verhandlungen im Nahost-Friedensprozess aus auf der Grundlage der einschlägigen UN-Resolutionen, der Anleitungen [der internationalen Friedenskonferenz Ende Oktober 1991] von Madrid, einschließlich des Prinzips „Land für Frieden“, der Arabischen Friedensinitiative und der „Road Map“ des [Nahost-]- Quartetts, zur Erlangung einer gerechten, dauerhaften und umfassenden Friedensregelung zwischen der palästinensischen und der israelischen Seite, die alle ausstehenden zentralen Themen regelt, vor allem das der palästinensischen Flüchtlinge, Jerusalems, der Siedlungen, der Grenzen, der Sicherheit und des Wassers;
  6. verlangt der Entwurf von allen Staaten, speziellen Einrichtungen und Organisationen im System der Vereinten Nationen, dem palästinensischen Volk Unterstützung und Beistand bei der frühzeitigen Realisierung seines Rechts auf Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Freiheit zu leisten;
  7. fordert der Entwurf den [UN]-Generalsekretär auf, die notwendigen Maßnahmen zur Erfüllung der aktuellen Resolution3 zu treffen und der Vollversammlung innerhalb von drei Monaten über diesbezügliche Fortschritte zu berichten.
    Quelle: Reiner Bernstein, www.reiner-bernstein.de [externer Link])
Diesen Antrag haben fast 60 Staaten einschließlich der palästinensischen Behörde unterzeichnet und eingebracht. Es handelt sich ausschließlich um Staaten der "Blockfreien-Bewegung". [siehe Kasten]

Antragsteller der Resolution A/67/L.28 (englisch):

Afghanistan, Algeria, Argentina, Bahrain, Bangladesh, Bolivia (Plurinational State of), Brazil, Brunei Darussalam, Chile, China, Comoros, Cuba, Democratic People’s Republic of Korea, Djibouti, Ecuador, Egypt, Guinea-Bissau, Guyana, Iceland, India, Indonesia, Iraq, Jordan, Kazakhstan, Kenya, Kuwait, Lao People’s Democratic Republic, Lebanon, Libya, Madagascar, Malaysia, Maldives, Mali, Mauritania, Morocco, Namibia, Nicaragua, Nigeria, Oman, Pakistan, Peru, Qatar, Saint Vincent and the Grenadines, Saudi Arabia, Senegal, Seychelles, Sierra Leone, Somalia, South Africa, Sudan, Tajikistan, Tunisia, Turkey, United Arab Emirates, Uruguay, Venezuela (Bolivarian Republic of), Yemen, Zimbabwe and Palestine



Gegner, Befürworter - und Westerwelle

Klar ist, dass Israel alle Hebel in Bewegung setzte um einen solchen Antrag zu verhindern bzw. Regierungen zu beeinflussen ihm nicht zuzustimmen. Israel hat kein Interesse an der Internationalisierung des Nahost-Konflikts und beharrt auf seinem Standpunkt, alle Probleme in Zweierverhandlungen zu klären. Dies allerdings hat in den letzten 20 Jahren (seit Oslo) zu keinerlei Fortschritt geführt. Im Gegenteil: Israel setzte den Siedlungsbau fort, enteignete palästinensisches Land, annektierte Ost-Jerusalem (das laut UN-Plan die Hauptstadt eines künftigen palästinensischen Staates werden sollte), baute eine Mauer, die z.T. auf besetztes Land ausgreift, riegelte den Gazastreifen fast vollständig von der Außenwelt ab und ist nicht bereit, das Besatzungsregime zu beenden - alles Maßnahmen, die zu Lasten der Palästinenser gingen und einen lebensfähigen Palästinenserstaat fast schon utopisch erscheinen lassen.

Klar ist auch, dass die USA sich - wie auch sonst - auf die Seite Israels geschlagen haben und vehement gegen den Antrag in der UN-Generalversammlung Stimmung machen. Zuletzt wurde die Drohung ausgestoßen, keine Hilfszahlungen mehr an die palästinensische Behörde zu zahlen, falls diese auf ihrem Antrag besteht und er verabschiedet werden sollte. Präsident Obama setzt mit dieser Haltung die traurige Politik seines Vorgängers George W. Bush umstandslos fort - und setzt damit das Rest-Vertrauen, das er in der arabischen Welt noch genießt, mutwillig aufs Spiel.

Die Europäische Union ist gespalten. Von einer "gemeinsamen Außenpolitik" kann überhaupt nicht die Rede sein. Es gibt Staaten wie Frankreich, Österreich oder einige skandinavische Länder, die den Palästinenser-Antrag unterstützen. Deutschland zieht es vor, zwischen "uneingeschränkter Israel-Solidarität" und dem Gesichtsverlust gegenüber der arabischen Welt zu lavieren. Außenminister Westerwelle tut das, was er am besten kann: Er enthält sich der Stimme. In Wahrheit ist das natürlich auch ein NEIN, aber es soll möglichst niemand merken.

Am Ende fragt man sich, warum die ganze Aufregung? Bei angenommener Resolution (und sie wird wohl eine Zweidrittel-Mehrheit erhalten) haben die Palästinenser eine Aufwertung ihrer internationalen Vertretung erfahren; es ist ein diplomatischer Erfolg. Real wird sich an dem unbefriedigenden bis skandalösen Zustand im Nahen Osten nichts ändern. Dennoch: Die Tatsache, dass Tel Aviv und Washington so nervös reagieren, zeigt, dass diese protokollarische Aufwertung des palästinensischen Anliegens eine politische Langzeitwirkung entwickeln könnte, die dereinst über den Status quo hinaus führen wird. Vielleicht gibt es ja noch eine Chance auf eine Zweistaaten-Lösung.


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