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Russland ruft Israel zum Siedlungsbaustopp auf

Staatschef Medwedjew traf in Jericho mit Palästinenserpräsident Abbas zusammen / Panzer im Gaza-Streifen *

Russlands Präsident Dmitri Medwedjew hat sich persönlich in den Nahost-Friedensprozess eingeschaltet.

Russlands Präsident Medwedjew hat Israel zu einem vollständigen Baustopp in seinen Siedlungen im Westjordanland sowie im arabischen Ostteil Jerusalems aufgefordert. Zugleich unterstützt Russland nach den Worten von Medwedjew einen unabhängigen Palästinenserstaat mit einer Hauptstadt Ostjerusalem. Der russische Staatschef war am Dienstag (18. Jan.) mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Jericho im Westjordanland zusammengetroffen. Einen geplanten Besuch in Israel musste Medwedjew wegen eines wochenlangen Streiks im israelischen Außenministerium streichen.

Medwedjew übernahm nicht das Beispiel einer Reihe von südamerikanischen Staaten, die in den vergangenen Wochen einen Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967 anerkannt haben. Allerdings fügte der Präsident an, dass sich die Position Russlands seit Ende der 80er Jahre nicht verändert habe. »Mit einem Palästinenserstaat ist jeder ein Gewinner«, erklärte Medwedjew.

Der russische Präsident hatte sich während seines ersten Besuches in den Palästinensergebieten seit Amtsantritt erstmals persönlich vor Ort in den Nahost-Friedensprozess eingeschaltet. Russland sei mit der derzeitigen Situation nicht zufrieden, sagte er. Medwedjew forderte Israel und die Palästinenser zu einem Höchstmaß an Zurückhaltung und einem völligen Verzicht auf einseitige Maßnahmen auf, um die gegenwärtige Krise zu überwinden.

Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat sprach von einem »historischen und sehr wichtigen Besuch«. Die Palästinenserführung hofft, dass Russland im Weltsicherheitsrat eine Resolution unterstützen wird, mit der Israels Siedlungspolitik verurteilt werden soll. Die Palästinenser wollen die Resolution gegen den Widerstand der US-Regierung am heutigen Mittwoch einbringen.

In den Norden des von der radikalislamischen Hamas beherrschten Gaza-Streifens sind nach palästinensischen Angaben sieben israelische Panzer eingerückt. Die Panzer seien am Dienstagmorgen begleitet von einem Bulldozer nahe Beit Hanun rund 400 Meter in den Gaza-Streifen vorgedrungen, sagten Sicherheitsvertreter der Hamas und mehrere palästinensische Zeugen. Zu möglichen Zusammenstößen machten sie keine Angaben. Ein israelischer Armeesprecher wollte ein Vorrücken von Panzern zunächst weder bestätigen noch dementieren.

Unterdessen hat die Stadtverwaltung von Jerusalem den Bau von 122 neuen Wohnungen für jüdische Siedler im Osten der Stadt genehmigt. Die Planungs- und Baukommission habe ihre Zustimmung für die Bauprojekte in zwei Siedlungen gegeben, sagte am Montag (17. Jan.) Elischa Peleg, Vorsitzender der Abgeordneten der rechtsgerichteten Likud-Partei im Stadtparlament. Dies sei »Routine«, schließlich werde ständig in Jerusalem gebaut. Erst am Sonntag hatte die Stadtverwaltung den Bau von 1400 Wohnungen in der Siedlung Gilo nahe von Bethlehem im Westjordanland angekündigt.

UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte von Israel einen Stopp seiner Siedlungsaktivitäten.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Januar 2011


Jubel in Jericho

Von Roland Etzel **

Medwedjew in Jericho – das wird fast etwas ungläubig zur Kenntnis genommen. Lange, sehr lange hatte sich Russland aus den Vorgängen im Nahen Osten herausgehalten. Waren multilaterale Nahostrunden einst ohne Moskauer Teilnahme praktisch nicht beschlussfähig, so ist seine Anwesenheit heute kaum bemerkbar. Obwohl noch immer – neben EU und UNO – mit den USA im sogenannten Nahostquartett, hat man den Part des Verhandlungsmoderators in den vergangenen Jahren völlig Washington überlassen. Dass westliche Kommentatoren zum jetzigen Besuch des russischen Präsidenten anmerken, er habe sich in der Vergangenheit wiederholt für eine Zwei-Staaten-Lösung ausgesprochen, bestätigt diesen Zustand, hatte sich Russland doch – wie einst die Sowjetunion – als erste Vetomacht auch für einen Staat Palästina ausgesprochen.

Deutet der Besuch Präsident Medwedjews bei den Palästinensern also auf wiedererwachtes Engagement in der Region hin? Die von beinahe aller – westlichen wie östlichen – Welt im Stich gelassenen Palästinenser sehnen das sicher herbei. Doch selbst wenn – es dürfte für Russland Jahre dauern, auf dem einst aufgegebenen Terrain vom Zuschauer wieder zum Mitspieler zu werden. Aber vielleicht gibt es dem Nahostprozess wenigstens einen Impuls. Die USA sind dazu offenbar nicht in der Lage.

** Aus: Neues Deutschland, 19. Januar 2011


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