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"Man entkommt der Wahrheit nicht, indem man sie verbietet"

Tag der Staatsgründung Israels - Tag der Katastrophe für die Palästinenser: Norman Paech zum 65. Jahrestag der "Nakba"


Sehr geehrter Herr Botschafter, lieber Herr Abdel Shafi, Exzellenzen, meine Damen und Herren,

wenn an diesem Tag ein Deutscher gebeten wird, zu Ihnen zu sprechen, so hat das nicht nur mit dem Ort Berlin, an dem sie derzeit leben und arbeiten, zu tun. Sondern dies ist auch ein Ort der notwendigen Erinnerung. Von ihm ging ein Aggressionskrieg aus, der die Völker der Nachbarstaaten in die Katastrophe stürzte, und ein Völkermord, der Sinti und Roma sowie die Juden nicht nur in Deutschland selbst, sondern in der ganzen Welt vernichten sollte – eine Katastrophe, die weder von den Opfern noch von den Tätern bis jetzt überwunden werden konnte. Erinnern und Gedenken ist uns zur Pflicht geworden. Nicht nur am 8. Mai, dem Tag der Befreiung und des Sieges über den Faschismus, sondern an vielen Tagen im Jahr. Sie zwingen uns, die Augen vor der Wahrheit zu öffnen, so schmerzhaft das sein kann. Sie zwingen uns täglich, die Lehren aus diesen Katastrophen zu ziehen, nicht nur, dass sie sich nicht wiederholen, sondern dass wir Wege öffnen zu einem friedlichen, produktiven und solidarischen Zusammenleben. Wir wissen um die Schwierigkeiten des Erinnerns, wir müssen besonders sorgfältig damit umgehen.

Israel hat zahlreiche Tage des Gedenkens und Erinnerns. Gestern, der 14. Mai, galt der Proklamation Israels durch Ben Gurion im Jahr 1948. Staatsgründungen sind in den vergangenen Jahrhundert vor allem Ereignisse der Befreiung, der Erfüllung nationaler Identität und der Beendigung gewaltsamer Kämpfe um die Unabhängigkeit und Selbständigkeit gewesen – Anlass großer Feiern, so auch alljährlich in Israel. Allerdings entsprach dieses Datum nicht dem Fahrplan und dem Konzept der UNO, wie sie es in der Teilungsresolution von 1947 vorgesehen hatte. Die einseitige Entscheidung stürzte den neugegründeten Staat sofort in einen Krieg mit seinen Nachbarn, den beide Seiten nur in einen zeitweiligen Waffenstillstand, nicht aber in einen dauerhaften Frieden vertrauensvoller Nachbarschaft umwandeln konnten. Der andere Staat wurde nie gegründet, seine Bevölkerung kolonisiert, enteignet und unterdrückt.

Vor kurzem erinnerte sich Israels Präsident Shimon Peres anlässlich des in Israel gefeierten „Unabhängigkeitstages“ „wie alles begann. Der ganze Staat Israel ist ein Millimeter des ganzen Mittleren Ostens. Ein statistischer Irrtum, unfruchtbares und enttäuschendes Land, Sümpfe im Norden, Wüste im Süden, zwei Seen, einer tot und ein überschätzter Fluss. Keine natürlichen Ressourcen außer Malaria. Es war nichts hier. Und nun haben wir die beste Landwirtschaft in der Welt? Das ist ein Wunder: ein Land geschaffen durch Menschen.“ (Maariv, 14. April 2013)

Das ist der alte zionistische Mythos vom Land ohne Volk, welches erst die jüdischen Siedler zum Leben erweckt haben. Wenn der erste Mann im Staat Israel, Simon Peres, dieser Lüge – „Es war nichts hier“ - auch noch im Jahr 2013 anhängt, so können wir das nur als die offizielle Bestätigung und Rechtfertigung der Vertreibung und ethnischen Säuberung verstehen. Sie begann bereits vor 1948, setzte sich nach 1948 und 1967 fort und dauert bis heute an. Die Leugnung eines autochthonen palästinensischen Volkes zieht sich wie ein roter Faden durch die über hundertjährige Geschichte zionistischer Kolonisierung. Sie wird immer wieder offen ausgesprochen, ob von Golda Meir oder Benjamin Netanjahu und Avigdor Liebermann, und findet hier ihr hässliches Echo in Stellungnahmen der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. (Brief der Vorsitzenden Bärbel Ill der DIG Stuttgart an den Deutschen Evangelischen Kirchentag v. 12. April 2013). Nicht, dass behauptet würde, das Land sei menschenleer gewesen. Nein, schlimmer, den Arabern auf die sie trafen, denen sie das Land abkauften oder wegnahmen, sprachen und sprechen sie die Identität eines palästinensischen Volkes ab, ein Volk von etwa 12 Mio. Menschen, die in oder in der Nähe ihres Landes leben. Für die Zionisten waren es Eingeborene auf der Stufe nord- und südamerikanischer Indianer, ohne eigene Geschichte und Kultur, der fremden Willkür ausgesetzt außerhalb jeder Rechtsordnung. Wie tief das Konzept der Räumung des Landes von der eingeborenen Bevölkerung im politischen Denken des Zionismus seit Theodor Herzl verankert war, zeigt die Äußerung eines der liberalsten Vertreter der Bewegung, Leo Motzkin. Er schrieb 1917: „Nach unserer Vorstellung muss die Kolonisierung Palästinas in zwei Richtungen erfolgen: Jüdische Ansiedelung in Eretz Israel und Umsiedlung der Araber aus Eretz Israel in Gebiete außerhalb des Landes. Die Umsiedlung so vieler Araber mag zunächst wirtschaftlich unvertretbar erscheinen, ist aber dennoch machbar. Es erfordert nicht allzu viel Geld, ein palästinensisches Dorf auf anderem Land neu anzusiedeln.“ (Ilan Pappe, Die ethnische Säuberung Palästinas, S. 27.) Ben Gurion sprach später, 1938, von der Zwangsumsiedlung, in der er nichts Unmoralisches finden könne. Zehn Jahre später artete sie dann in die Katastrophe panischer Flucht und Vertreibung aus.

Es ist das Verdienst israelischer und palästinensischer Historiker wie Simcha Flapan, Benny Morris, Ilan Pappe und Edward Said, uns aus den seit 1978 zugänglichen Quellen die andere Seite der Geschichte von 1948 erzählt zu haben. Sie haben endlich den dichten Schleier vom falschen Gründungsmythos gelüftet. Die Fakten sind nun nicht mehr zu bestreiten, sie sollten auch nicht mehr verschwiegen werden, selbst wenn noch die Regierung von Ariel Scharon alle Schulbücher und Lehrpläne, die nur am Rande Naqba erwähnten, säubern ließ.

Bereits bis zum Tag der Staatsgründung wurden ca. 250 000 Palästinenser vertrieben, bis zum Waffenstillstand 1949 dann weitere 550 000. 1948 lebten in den Gebieten des heutigen Israels – ohne Westbank und Gazastreifen – ca. 700 000 Palästinenser, nach Ende des Krieges 1949 waren es noch 156 000. Sie verließen nicht freiwillig ihre Häuser und Dörfer, sondern unter dem Druck militärischer Drohung, Gewalt und zahlreicher Massaker. Über 400 Ortschaften wurden dem Erdboden gleichgemacht, das „verlassene Land“, ca. 300 000 ha Gärten, Felder, Olivenhaine und Zitrusplantagen liquidiert und in jüdischen Besitz überführt. Die Kinder der damaligen Flüchtlinge sind heute verstreut über die Nachbarstaaten Libanon, Syrien, Jordanien, im Westjordanland und Gaza, zumeist in Lagern, an die 7 Mio. Flüchtlinge. Nichts ist ihnen geblieben, als ein abstraktes Recht auf Rückkehr, welches ihnen die UNO-Generalversammlung in der Resolution 194 zwar bestätigt hat aber nicht gegen den Widerstand Israels und der USA durchsetzen kann. Ihnen bleibt nur die Erinnerung an das, was uns immer noch versucht wird zu verschweigen und was wahrlich den Namen Katastrophe, Naqba, verdient.

Doch selbst diese Erinnerung, zumindest das öffentliche Gedenken, soll unterbunden werden. Im Januar vergangenen Jahres hat der Oberste Gerichtshof in Jerusalem das sog. Naqba-Gesetz bestätigt, welches den Finanzminister ermächtigt, die Finanzierung öffentlicher Institutionen zu streichen, die Israel als jüdischen Staat ablehnen oder den Unabhängigkeitstag als Trauertag begehen. Es ist den palästinenischen Israelis gesetzlich verwehrt, ihre Geschichte zu studieren, was während der Naqba geschah. Sie können nicht palästinensische Literatur und palästinensische Lyrik studieren. Dieses Verbot greift weit über die Grenzen Israels bis zu uns nach Deutschland, wo derzeit eine Ausstellung zur Dokumentation der Naqba sich gegen die Ablehnung von Ausstellungsräumen und inhaltliche Interventionen zur Wehr setzen muss. Es ist nur konsequent, die Vertreibung bis in die Köpfe der Überlebenden voranzutreiben und es nicht nur bei der Enteignung ihres Hab und Guts zu belassen, sondern sie mit der Enteignung ihrer Geschichte zu vollenden.

Es gibt viele Methoden, die Geschichte im kollektiven Gedächtnis eines Volkes auszulöschen. Ich werde nur eines hier erwähnen, den Bau eines „Museums der Toleranz“ in Jerusalem durch das Simon-Wiesenthal-Zentrum. Schon 2004 wurde der Grundstein gelegt. Doch dann verzögerten sich die Arbeiten durch den Widerstand der Palästinenser. Denn das Museum soll auf der ältesten und größten muslimischen Grabstätte in Jerusalem, dem Mamilla-Friedhof errichtet werden. Nach der Überlieferung diente er den Gefährten Mohammeds im siebten Jahrhundert als letzte Ruhestätte. Saladin ließ die Gebeine seiner Soldaten, nachdem sie Jerusalem von den Kreuzfahrern zurückerobert hatten, auf dem Friedhof bestatten. Sufi-Scheichs, Emire und Gelehrte liegen hier. Bis 1948 diente er noch als Begräbnisstätte, danach wurde der muslimischen Waqf-Stiftung von den israelischen Behörden verboten, sich um den Friedhof zu kümmern, er verfiel. Bulldozer entfernten Grabsteine und Knochen – trotz massiver Proteste auch aus der israelischen Gesellschaft. Vor drei Jahren billigte der Oberste Gerichtshof in Jerusalem den Museumsbau und vor zwei Jahren hat das israelische Innenministerium die endgültige Baugenehmigung erteilt. Untersuchungen der Altertumsbehörde haben ergeben, dass sich noch mehr als 2000 unentdeckte Gräber unter dem Areal befinden. Es ist offener Hohn, einen solch geschichtsträchtigen Friedhof durch einen Museumsbau zu vernichten, der gerade der Toleranz zwischen Juden, Muslimen und Christen gewidmet werden soll.

Die Erinnerung an Naqba lässt sich nicht auf das Jahr 1948 begrenzen. Die Katastrophe umfasst nicht nur das Trauma der Vertreibung. Sie war nur der Ausgangspunkt einer klar umrissenen Vorstellung, einen palästinensischen neben einem jüdischen Staat zu verhindern. Denn das zionistische Projekt war mit der Gründung eines israelischen Staates noch nicht beendet und der Prozess der Kolonisierung nicht abgeschlossen. Es galt, ihn als ausschließlich jüdischen Staat zu errichten und mit dem bereits vor der Staatsgründung beschlossenen Plan der ethnischen Säuberung zu verwirklichen. Schon im Dezember 1947 hatte Ben Gurion vor der israelischen Arbeiterpartei Mapei bekannt, dass „nur ein Staat mit mindestens 80% Juden (…) ein lebensfähiger und stabiler Staat (ist)“ (Ilan Pappe, a.a.O., S. 79.) Wie aus ferner Vergangenheit mahnten die Worte von Chaim Weitzmann, die er auf dem zionistischen Weltkongress 1931 in Basel gesprochen hatte, und an die sich kaum jemand mehr erinnerte: „Die Araber müssen fühlen und überzeugt werden durch Tat und Wort, dass, welches immer das künftige numerische Verhältnis der beiden Völker in Palästina sein mag, wir für uns keine politische Beherrschung planen (…) Eine numerische Mehrheit wäre keine genügende Garantie für die Sicherheit unserer nationalen Heimstätte. Die Sicherheit muss geschaffen werden durch verlässliche politische Garantien und durch freundschaftliche Beziehungen zu der nichtjüdischen Welt, die uns umgibt.“

Wladimir Jabotinskys aggressiver Zionismus hatte mit Ben Gurion gesiegt. Während der defensive, auf Ausgleich und Toleranz bauende Zionismus vorwiegend in der israelischen Friedensbewegung vertreten wird, hat sich der expansive, auf Konfrontation angelegte Zionismus vor allem in der militantan Siedlerbewegung und in den Regierungen Netanjahu über Barak, Scharon und Olmert bis wieder zu Netanjahu und Liebermann eingegraben. Die deutsch-jüdische Philosophin Hannah Arendt hat die Gefahren dieser Wende im offiziellen Zionismus deutlich hervorgehoben, als 1944 die Amerikanische Zionistische Bewegung sich zu dem neuen Programm Ben Gurions bekannte. Sie schrieb 1945: „Dies ist ein Wendepunkt in der Geschichte des Zionismus; denn es besagt, dass das revisionistische Programm, das so lange scharf zurückgewiesen wurde, nun am Ende siegreich ist (…) Dieses Mal sind die Araber in der Resolution einfach nicht erwähnt worden, was ihnen offensichtlich die Wahl lässt zwischen freiwilliger Auswanderung und Bürgerrechten zweiter Klasse (…) Dies ist ein Todesstoß gegen diejenigen jüdischen Parteien in Palästina selbst, die unermüdlich die Notwendigkeit einer Verständigung zwischen dem arabischen und dem jüdischen Volk predigten… Nationalismus ist schlimm genug, wenn er auf nichts anderes aufbaut als auf die bloße Stärke der Nation. Ein Nationalismus, der notwendigerweise und zugegebenermaßen von der Stärke einer auswärtigen Nation abhängt, ist gewiss noch schlimmer (…) Nur Torheit kann eine Politik vorantreiben, die auf den Schutz einer entfernten Weltmacht vertraut, während sie sich dem Wohlwollen der Nachbarn entfremdet.“

Das waren prophetische Worte, sie nahmen die Entwicklung von 1948 bis in unsere Tage vorweg. Denn die Grenzen des jüdischen Staates waren für die zionistische Führung noch nicht endgültig gezogen – in ihrer Vorstellung ist Eretz Israel größer als die nach dem Waffenstillstand von 1949 etablierte Grüne Linie. "Unser Ziel", so beschrieb David Ben Gurion im Jahre 1947 die zionistischen Absichten, "ist nicht ein jüdischer Staat in Palästina, sondern ganz Palästina als jüdischer Staat." Seit der Besetzung des Westjordanland und des Gazastreifens nach dem kurzen Krieg vom Juni 1967, der mit einer weiteren Vertreibung von 350 000 Palästinensern endete, gehen Landnahme und Vertreibung der einheimischen Bevölkerung durch die Ansiedlung jüdischer Siedler weiter. Es ist nicht überflüssig, immer wieder daran zu erinnern, dass die Genfer Konventionen von 1949, die auch für Israel und die besetzten Gebiete gelten, den Transfer der eigenen Bevölkerung in das besetzte Gebiet ausdrücklich verbieten (Art. 49 Abs. 6 IV. Genfer Konvention). Alle israelischen Regierungen haben jedoch die Gültigkeit dieses Verbots für sich geleugnet und sich niemals darum gekümmert. Die Anzahl der jüdischen Siedler im Westjordanland und Ostjerusalem hat die 500 000 bereits überschritten, 45 % des Westjordanlandes befinden sich unter ausschließlicher israelischer Oberhoheit, ohne dass ein Ende des Prozesses der Landnahme abzusehen ist.

Vor knapp 100 Jahren, im November 1923, schrieb Wladimir Jabotinsky, der 1937 Oberkommandant der radikalen Terrororganisation Irgun wurde, einen zukunftsweisenden Artikel mit dem Titel „Die eiserne Mauer – Wir und die Araber“. Er war von Anfang an der Überzeugung, dass die vollständige Vertreibung der Araber unmöglich sei. Es könne sich also nur darum handeln, die jüdische Immigration auch gegen den Willen der Araber abzusichern. Er plädierte für die Errichtung einer „eisernen Mauer“, welche Juden und Araber trennen solle und schrieb u.a.: „Die zionistische Kolonisierung, (…) muss entweder aufgegeben oder in Missachtung des Willens der eingeborenen Bevölkerung ausgeführt werden. Diese Kolonisierung kann daher nur weitergeführt werden unter dem Schutz einer Macht, welche unabhängig von der lokalen Bevölkerung ist – durch eine eiserne Mauer, welche die eingeborene Bevölkerung nicht durchbrechen kann.“ Diese „eiserne Mauer“ besteht politisch und sozial bereits seit langem zwischen den beiden Völkern. Der jüdische Historiker Avi Schleim hat deshalb diesen Begriff im Jahr 2000 wieder aufgegriffen und vier Jahre vor Errichtung der realen Mauer als Titel seines Buches „The Iron Wall. Israel and the Arab World“ verwendet. Was Jabotinsky angekündigt hatte, realisierte Ariel Scharon ganz in dessen Sinn mit dem Bau der Mauer, die in Israel lieber Sperrzaun genannt wird. Sie verläuft zu etwa dreiviertel auf palästinensischem Gebiet, was der Internationale Gerichtshof als eindeutig völkerrechtswidrig verurteilt hat. Während die Grüne Linie des Waffenstillstandes 300 km lang ist, wird sich die Mauer über 700 km erstrecken. Selbst wenn wir die israelische Begründung für das gigantische Bauwerk akzeptieren, das israelische Territorium vor den gefürchteten Selbstmordanschlägen zu schützen, Faktum bleibt, dass sich schließlich 250 000 Palästinenser in der Falle zwischen Grüner Linie und Mauer eingepfercht finden werden. Ihnen wird von der Armee der Status „vorübergehender Bewohner“ in „geschlossenen Militärzonen“ aufgezwungen, was nicht etwa den vorübergehenden Charakter der Mauer andeuten soll. Dieser Status verbietet ihnen, die Grenzen nach Westen wie nach Osten ohne Passierschein zu überschreiten, und bedeutet ihnen, dass sie diese Enklave, dieses Gefängnis, getreu der zionistischen Vision, eines Tages verlassen müssen.

Die Erinnerung gibt nur dann Sinn, wenn sie mit der Frage nach der Zukunft verbunden wird. Diese aber öffnet sich nur dann, wenn sie der Versöhnung eine Chance gibt und den Frieden in diesen zerrissenen Ländern Palästina und Israel den Weg bereiten kann. Solange auch dieser Konflikt die Völker belastet, wir stehen noch am Anfang der Erinnerungsarbeit. Wir sind immer noch dabei, die Mythen, Verdrehungen und Leugnungen der Verbrechen beiseite zu räumen, um die wirklichen Wurzeln des Konfliktes freizulegen und zu begreifen. Wir werden bei dieser Arbeit scheitern, wenn wir sie nicht unter die unbedingte Forderung nach Offenheit und Wahrheit ohne Vorbehalte und Umwege stellen. Edward Said hat seine Landsleute aufgefordert, die Bedeutung des Holocausts für die jüdische Existenz, ihre Angst und ihr Verhalten zu akzeptieren. Die jüdische Bevölkerung Israels sollte ebenso die Bedeutung der Naqba für die palästinensische Existenz, ihre Ängste und die Forderung nach Befreiung von der Besatzung begreifen und akzeptieren. Man entkommt der Wahrheit nicht, indem man sie verbietet.

* Rede von Prof. Dr. Norman Paech anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 65. Jahrestag der Nakba, Berlin, 15. Mai 2013 (im Maritim-Hotel).


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