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"Wir glauben nicht, dass einseitige Schritte weiterhelfen"

Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas

Mitschrift der Pressekonferenz vom Donnerstag, 05.05.2011, in Berlin

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass Präsident Abbas heute wieder einmal Berlin und Deutschland besucht. Wir haben natürlich in unserer ersten Unterhaltung, die wir gleich beim Abendessen noch fortsetzen werden, bereits wichtige Punkte besprochen.

Sie wissen, dass die Bundesrepublik Deutschland der Meinung ist, dass der Friedensprozess im Nahen Osten durch Verhandlungen sehr schnell wieder in Gang kommen muss. Wir sind der Überzeugung, dass die Zeit drängt, und ich freue mich, dass Präsident Abbas genau dies auch noch einmal unterstrichen hat. Wir wollen eine Zwei-Staaten-Lösung, und an dieser Zwei-Staaten-Lösung muss gearbeitet werden. Wir glauben nicht, dass einseitige Schritte weiterhelfen.

Wir haben natürlich darüber gesprochen, dass es gestern einen erneuten Schritt zur Zeichnung eines Abkommens zwischen der Fatah und der Hamas gab. Ich habe noch einmal für unsere Seite klargemacht, dass es ganz, ganz wichtig ist, dass die drei Kriterien, die wir vielfach benannt haben, auch wirklich erfüllt werden. Das ist zuerst einmal die Anerkennung der Sicherheit und Existenz Israels, dann der Verzicht auf Gewalt und das Bekenntnis zu einem Verhandlungsprozess. Präsident Abbas hat noch einmal deutlich gemacht, dass die Verhandlungen über ein Friedensabkommen zwischen ihm, Präsident Abbas, und Israel geführt werden, und genau so sollte es auch sein.

Deutschland wird sich weiter dafür einsetzen, dass dieser Prozess beginnen kann. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass gerade auch das Nahost-Quartett in diesem Zusammenhang wieder seine Rolle spielen kann. Wir haben uns immer wieder dafür eingesetzt und sind bereit, hierbei auch Verantwortung zu übernehmen. Das sage ich als Vertreterin eines Mitgliedslands der Europäischen Union, die ja Teil des Quartetts ist.

Wir haben natürlich auch über die wirtschaftliche Entwicklung im Westjordanland gesprochen. Ich glaube, es gibt hier erhebliche Fortschritte. Deutschland hat an vielen Stellen versucht, hierbei auch hilfreich zu sein. Ich glaube, dass in den letzten Jahren wirkliche Fortschritte erzielt wurden - sowohl, was die Sicherheitslage anbelangt, als auch, was die wirtschaftlichen Perspektiven anbelangt. Das ist ja für die betroffenen Menschen immer am allerwichtigsten. Deshalb glaube ich, dass die von den palästinensischen Behörden unternommenen Anstrengungen auch unter der Führung des Premierministers Fajad, der vor einiger Zeit mit etlichen der Minister auch hier in Berlin war, wirklich Erfolge gezeitigt haben.

Wir werden weiterhin in einem sehr engen Gedankenaustausch bleiben. Wir wollen, dass es zu einer wirklichen Zwei-Staaten-Lösung kommt. Angesichts der sehr stark veränderten Situation im gesamten nordafrikanischen Bereich ist, glaube ich, eine Friedenslösung noch dringlicher und genauso im Interesse Israels wie natürlich auch der Palästinenser, als dies bislang schon der Fall war. Deshalb drängt die Zeit, und Deutschland wird alles tun, was es leisten kann, um hierbei hilfreich zu sein. Noch einmal herzlich willkommen!

P Abbas: Vielen Dank! Ich danke Frau Bundeskanzlerin Merkel und dem deutschen Volk für die große Unterstützung hinsichtlich der Stabilität und Sicherheit in unserer Region sowie für die Programme zum Aufbau der palästinensischen Institutionen und alle finanziellen und politischen Unterstützungen Deutschlands für den Frieden in unserer Region.

Wir haben mit der Bundeskanzlerin die Wege für das Voranbringen des Friedensprozesses und unsere Einhaltung der ernsthaften Verhandlungen auf der Grundlage des Völkerrechts besprochen. Wir haben auch erklärt, dass eine Unterzeichnung des Versöhnungsabkommens zwischen den Palästinensern keinen Einfluss auf den Friedensprozess nehmen wird. Ganz im Gegenteil: Es wird den Prozess unterstützen und die Zwei-Staaten-Lösung stärken. Auch bekannt ist, dass diese Verhandlungen und der politische Prozess Zuständigkeiten des Präsidenten sind, ebenso die Zuständigkeit für die PLO. Jede Übergangsregierung, die gebildet wird, wird nur von unabhängigen Technokraten gebildet, die an unser politisches Programm gebunden sind. Wir haben der Bundeskanzlerin auch erklärt, dass die Versöhnung auch die Wiederherstellung eines demokratischen palästinensischen Lebens zum Ziele hat und dass wir uns auch an die Wahlurnen begeben werden, an denen die Wahlen des Legislativrats, des Präsidenten und auch eines nationalen Rats in einem Jahr stattfinden werden. Das wird unsere Verpflichtungen und unsere eingegangenen Vereinbarungen, die bis jetzt mit Israel unterzeichnet worden sind, nicht berühren.

Wir schätzen die große Unterstützung, die wir von Deutschland erfahren, und die guten bilateralen Beziehungen, die wir zu Deutschland haben. Deutschland hat schon einen Lenkungsausschuss gebildet, der uns hilft. Er ist ein gutes und starkes Zeichen für die Unterstützung, die wir von Deutschland zum Aufbau der palästinensischen Institutionen bekommen. Die historische Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel und seiner Sicherheit steht nicht im Widerspruch zu unserer Ansicht hinsichtlich der Unterstützung Deutschlands für den Aufbau eines unabhängigen palästinensischen Staates neben dem Staat Israel. Dies würde dazu führen, dass der Frieden in unserer Region stattfindet. Vielen Dank!

Frage: Frau Bundeskanzlerin, wie bewerten Sie es denn, dass Frankreich in der Frage der Anerkennung eines palästinensischen Staates wieder vorangeprescht ist? Läuft das nicht Ihrem Postulat zuwider, dass einseitige Schritte nicht helfen?

BK'in Merkel: Ich bin in der Tat der Meinung - das gilt in jeder Richtung -, dass einseitige Schritte nicht helfen. Aber das, was der französische Präsident gestern zum Ausdruck gebracht hat, ist ja auch genau das, was mich leitet: Wir wollen, dass schnell Verhandlungen in Gang kommen, damit wir einen Fortschritt erzielen. Dieser Wunsch eint uns, Deutschland und Frankreich, und den erkennen wir auch in den Worten des Präsidenten Abbas. Deshalb, glaube ich, ist das der Punkt, auf den wir uns konzentrieren sollten. Wir haben jetzt den Mai dieses Jahres. Ich glaube, die Zeit drängt, und es ist schon sehr viel Zeit verstrichen. Deshalb sollten wir uns darauf konzentrieren, und ich glaube, in diese Richtung arbeitet auch Frankreich.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie sagten, Sie wollen keine einseitige Anerkennung. Wenn man die Anerkennung des Kosovo betrachtet, dann ist das eine einseitige Anerkennung. Auch Deutschland war vehement für diese Anerkennung, obwohl nach UNO-Beschlüssen und –Verträgen das Kosovo ein Teil von Serbien ist und keine Chance auf eine Anerkennung vonseiten der Vollversammlung der UNO hat. Wie kann Ihre Regierung begründen, dass Deutschland die Anerkennung eines palästinensischen Staates im Moment ablehnt, obwohl diese Gebiete kein Teil Israels sind, sondern seit 1967 okkupiert sind?

BK'in Merkel: Ich habe eben schon einmal darauf hingewiesen, dass wir jetzt den Mai des Jahres 2011 haben. Wir wollen eine Zwei-Staaten-Lösung. Das heißt, wir wollen, dass der jüdische Staat Israel anerkannt ist, und wir wollen, dass ein Palästinenserstaat anerkannt ist. Der Weg, den wir dafür sehen, ist der Weg von Verhandlungen genau darüber. Dann wird die Bundesrepublik Deutschland einen palästinensischen Staat natürlich anerkennen. Jetzt lassen Sie uns daran arbeiten - das ist wirklich mein Verständnis von dem, was jetzt dringend geschehen muss -, dass Verhandlungen in Gang kommen. Dabei wird Deutschland hilfreich sein. Dabei wollen wir über die Europäische Union alles unternehmen. Darüber führen wir auch die internationalen Gespräche. Ich freue mich, dass Präsident Abbas genau diesen Punkt teilt. Darauf sollten wir uns jetzt konzentrieren, das führt zu dem besten Ergebnis. - Ich habe jetzt das gesagt, was ich zum jetzigen Zeitpunkt sagen möchte.

Frage: Herr Präsident Abbas, Sie haben zwar gesagt, dass Sie die Verhandlungen für die Palästinenser führen, aber trotzdem möchte ich fragen: Wie ist denn um Ihre Glaubwürdigkeit bestellt, wenn Sie jetzt mit der Hamas ein Übereinkommen treffen und die Hamas sich weiterhin weigert, Israel anzuerkennen?

P Abbas: Die Hamas ist zunächst einmal ein Teil des palästinensischen Volkes, ob sie nun eine Opposition bildet oder nicht. Wir sprechen zurzeit im Namen des palästinensischen Volkes und sind beauftragt vom gesamten Volk - ob Opposition oder nicht Opposition -, eine politische Lösung mit Israel zu erreichen. Wenn wir diese Lösung erreichen, werden wir sie einer Volksbefragung stellen. Wie in allen Völkern auf der Welt gibt es Opposition, gibt es akzeptierende und gibt es ablehnende (Meinungen) usw. Wenn wir uns in Israel umsehen, sehen wir sehr viele, die weder Frieden noch Verhandlungen wollen. Vertreter dieser Meinung gibt es auch in der Knesset und auch in der israelischen Regierung selbst. Im Ergebnis ist Netanjahu jetzt aber der Vertreter für Israel, und er hat die Legitimation für die Verhandlungen. Wenn die Verhandlungen zum Erfolg führen, sind wir bereit, zu unterschreiben und dies einer Volksentscheidung zu überlassen. Das ist ganz normalen bei allen Völkern.

Frage: Herr Präsident, ich wüsste gerne, ob Sie die Ausrufung eines Palästinenserstaates im September davon abhängig machen wollen, wie weit die Friedensgespräche mit Israel gegangen sind, oder ob die Ausrufung eines Staates auf jeden Fall kommen wird.

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, dass Deutschland bereit wäre, Verantwortung zu übernehmen. Was genau heißt das. Geht das so weit, dass man dann im Falle einer möglichen Friedenslösung auch Sicherheitsgarantien für den einen oder den anderen übernimmt?


P Abbas: Unsere grundsätzliche Option ist, dass wir eine Lösung durch Verhandlungen erreichen. Nun haben wir darüber gesprochen. Wir haben in der Vergangenheit jederzeit gesagt und sagen auch jetzt, dass die Verhandlungen der Weg für die Erreichung einer Lösung sind. Wir haben neulich erklärt, dass wir bereit sind, die Dreiererklärung, die Großbritannien, Frankreich und Deutschland im Weltsicherheitsrat abgegeben haben, in der es darum geht, dass man ohne Diskussionen zu den Verhandlungen zurückkehrt, zu akzeptieren. Von heute an - oder von gestern oder vorgestern - sind wir stets bereit, zu den Verhandlungen zurückzukehren. Wir wissen ganz genau, dass die Zeit eng geworden ist. Wir können diese Zeit trotzdem nutzen. Wir sind bereit, den Vorschlag, der von den drei genannten Ländern - dazu sind auch noch Spanien und Italien gekommen - gemacht worden ist, als Grundlage für den Frieden zu akzeptieren. Das ist unsere grundsätzliche Option.

Wir haben auch gesagt: Wenn diese Option scheitert, gehen wir zu den Vereinten Nationen; denn die Vereinten Nationen sind praktisch die Stelle in der Welt, die darüber zu entscheiden hat. Wir fragen die Welt, was sie dazu sagt. Wir gehen nicht dorthin, um einen Staat auszurufen, sondern wir gehen dorthin, um die Welt zu fragen, was sie zu dem, was im Nahen Osten stattfindet, meint. Wird die Welt akzeptieren, dass ein Volk, das palästinensische Volk, wie seit 63 Jahren stets unter Besatzung bleibt? Wir sind das einzige Volk in der Welt, das noch unter Besatzung lebt. Wir gehen also dorthin, um die Welt zu fragen, was sie will. Präsident Obama hatte bei der Versammlung im letzten September gesagt, dass er den Staat Palästina als Mitglied in den Vereinten Nationen sehen möchte. Was steht dem entgegen, dass wir ein Mitglied der Vereinten Nationen werden? Das ist ja nicht allein unser Beschluss; wir können ja der UN nicht sagen: Ihr habt das zu akzeptieren. Wir sagen der Welt: Das ist die Lage, wir möchten gerne ein unabhängiger Staat sein - was meint ihr dazu? Akzeptiert ihr, dass das palästinensische Volk stets unter Besatzung bleibt? Das ist die Frage.

BK'in Merkel: Wir wären ja schon sehr weit, Herr Rinke, wenn wir erst einmal wieder in einen Verhandlungsprozess eintreten würden. Ich habe immer wieder gesagt, dass es für uns wichtig ist, dass es eine Zwei-Staaten-Lösung gibt und dass innerhalb dieser Zwei-Staaten-Lösung natürlich auch die entsprechenden Sicherheiten für jeden der beiden Staaten gegeben sind. Welche Formen von Verantwortlichkeiten dafür notwendig sind, kann nur ein Verhandlungsprozess zeigen. Wir sind der Meinung, dass gerade die Themen Sicherheit und Grenzen sehr schnell auf die Tagesordnung sollten, weil die Themen Grenzen und Sicherheit sehr eng miteinander zusammenhängen. Ich kann nur daran erinnern, dass sich Deutschland zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Libanon zu einer Beteiligung an UNIFIL entschieden hat. Auch das war ein sehr neuer Schritt. Aber ob es Schritte geben wird und welche Schritte es geben wird, kann heute keiner sagen. Wir müssen endlich wieder an den Verhandlungstisch kommen und auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung ein Stück weiterkommen.

* Quelle: Website der Bundesregierung, 5. Mai 2011; www.bundesregierung.de


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